von Sven Halletz
Europa ist anglerisch mittlerweile ziemlich gut erschlossen und es gibt kaum noch weiße Flecken auf der Landkarte. Eines der letzten Abenteuer kann der Angler im hohen Norden des Kontinents erleben. Die Rede ist von Lappland. Hier angelt man während des kurzen Sommers in ungezähmten Gewässern auf Fische, die noch nie einen Angler bzw. einen Köder gesehen haben.
Abb.: Den Köder auswerfen, wo noch niemand geangelt hat – in Lappland ist das möglich.
Um den äußersten Norden von Skandinavien ranken sich wahre Horrorgeschichten: Kalt und dunkel soll es in Lappland sein. Und voller Mücken, die nur darauf warten, sich kompanieweise auf ahnungslose Touristen zu stürzen und sie leerzusaugen wie eine Tüte Caprisonne. Mit anderen Worten: Kein normaler Mensch begibt sich freiwillig in die nördlichste Wildnis Europas, wo sich inmitten endloser Sümpfe und menschenleerer Wälder Bär und Vielfraß „Gute Nacht“ sagen.
Um ehrlich zu sein: Ich finde diese Gruselgeschichten großartig. Denn der wahre Kern, der ihnen innewohnt, hat dafür gesorgt, dass die Nordkalotte – so nennt man das „Nord-Ende“ von Skandinavien wegen seiner Form – bislang in weiten Teilen vom naturverbrauchenden Massentourismus verschont geblieben ist. Wer es als Individualtourist dennoch wagt, hier Urlaub zu machen, findet sich abseits der Europastraßen in einer fast unberührten Wildnis wieder, die nur aus Bergen und Bäumen, Sümpfen, Flüssen und Seen besteht. Diese raue Landschaft, die an die prähistorischen Kältesteppen am Ende der letzten Eiszeit erinnert, ist eines der letzten Anglerparadiese Europas.
AT THE END OF THE ROAD,
THE ADVENTURE BEGINS
Echte Geheimtipps für Angler sind selten geworden in Europa. Doch hinterm Polarkreis in arktischen und subarktischen Gefilden warten Bäche, Flüsse und Seen, die auch im 21. Jahrhundert kaum von Anglern frequentiert sind. Ja, abseits der Europastraßen warten dort Fische in Gewässern, die tatsächlich noch nie eines Anglers Haken kennengelernt haben.
Das kommt nicht von ungefähr. Die menschliche Besiedlungsdichte ist gering und beträgt weniger als zwei Einwohner pro Quadratkilometer. Die meisten dieser wenigen Menschen leben in verstreut liegenden Städten und Dörfern von Bergbau oder Holz- und Rentierwirtschaft, dazwischen erstrecken sich Hunderte und Tausende von Quadratkilometern, auf denen sich Gewässer an Gewässer reiht und wo es praktisch gar keine Menschen gibt.
WO SICH GEWÄSSER
AN GEWÄSSER REIHT
Hinzu kommt außerdem: Der Sommer hinterm Polarkreis und damit auch die klassische Angelsaison auf dem offenen Wasser ist kurz. Erst im Mai bricht das Eis auf, und oft schon im September oder Oktober frieren die stehenden Gewässer bereits wieder zu. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass sie nur drei bis vier Monate im Jahr eisfrei sind. Doch als ob das noch nicht reichen würde, macht die Natur selbst viele eisfreie Gewässer im Sommer nahezu unerreichbar. Geschützt von unpassierbaren Sümpfen ohne jeden Weg und Steg und oftmals viele Kilometer weit von der nächsten Straße oder dem nächsten Weg entfernt, leben hier seit dem Ende der letzten Eiszeit eine Vielzahl von Fischen ihr eigenes Leben, ohne jemals einen Angelköder gesehen zu haben: Hechte und Barsche, Äschen und Renken, Forellen, Saiblinge und Quappen bevölkern diese Einsamkeit in einer Dichte und Durchschnittsgröße, von denen die meisten mitteleuropäischen Angler nicht mal zu träumen wagen. Ein exklusiver Bonus sind die in einigen wenigen Seen ausgesetzten Namaycush-Saiblinge, die vor Ort auch Kanada-Röding genannt werden.
Abb.: Ein kapitaler Namaycush-Saibling ist gelandet. Auf diesen Fang kann der Angler stolz sein.
WENIGER IST MEHR
Eines muss man jedoch wissen: In den Gewässern hinterm Polarkreis gibt es insgesamt weniger Fischarten als bei uns. Außerdem setzen sich die Fischbestände auch anders zusammen. Beispielsweise sucht man hier vergeblich die zahlenmäßig großen und artenreichen Weißfisch-Bestände, die wir aus Mitteleuropa kennen. Lediglich Rotauge, Brassen und Aland werden noch angetroffen – und auch diese nur noch selten und in geringen Stückzahlen.
HUNDERTE VON
HECHTEN PRO TAG
Dafür kommen die Vertreter jener Arten, die die Kälte lieben, umso zahlreicher vor. So gibt es beispielsweise Seen und Flüsse, in denen man Dutzende, ja sogar hundert und mehr Hechte, Barsche oder Äschen pro Tag fangen kann. In Mitteleuropa mit seinen über Jahrhunderte verbauten, oft trüben und in jedem Falle hart befischten Gewässern wäre dies nahezu undenkbar. Deutlicher als zwischen Mitteleuropa und Lappland kann der Gegensatz zwischen einer Kultur- und einer Naturlandschaft nicht sein. Das einmal erlebt zu haben, halte ich für eine „Pflichtveranstaltung“ im Leben eines jeden Anglers.
ZWISCHEN LIEBE
UND HASS
Doch Vorsicht: Eine Angeltour in den Hohen Norden ist keine Spazierfahrt und auch kein Rundum-Sorglos-Pauschurlaub! Und wer von dort wiederkommt, wird sich auch kaum zu einem halbseidenen „Wischiwaschi-Urteil“ in der Art wie: »War ja eigentlich ganz nett« hinreißen lassen. Lappland ist knallhart: Entweder Du liebst es oder Du hasst es! Dazwischen gibt es kaum etwas. Dieses schöne, aber auch spröde Lappland polarisiert.
Das Polarisieren beginnt schon bei den sommerlichen Temperaturen: In der Zeit von Juni bis September können die Tageshöchsttemperaturen zwischen über 30 Grad Celsius einerseits und um null Grad Celsius andererseits erheblich schwanken. Die Bandbreite der Wetterkapriolen ist also vergleichbar mit dem Monat Mai bei uns: Von T-Shirt bis Parka ist alles möglich.
REINE LUFT
UND KLARES WASSER
Das Polarisieren geht weiter mit den Plagegeistern. Denn davon hat der Norden reichlich zu bieten, und zwar nicht nur die klassischen Wald- bzw. Stechmücken, sondern auch Stechfliegen (Bremsen) sowie verschiedene Arten von Kriebelmücken und Gnitzen, die meist allesamt als „Knots“ bezeichnet werden.
Allerdings sind diese Plagegeister gut zu händeln: An Hals und Handgelenken dicht abschließende Oberbekleidung, Mückenschleier bzw. -hüte und sogenannte „Bugstopper“-Handschuhe setzen mechanische Grenzen. Zusätzlich helfen auf der Haut aufgetragene Mückenschutzmittel auf chemischem Wege, dass die Zahl der Stiche möglichst gering bleibt. Mückenschutzmittel sollte man sich übrigens vor Ort kaufen, denn die meisten der bei uns üblichen „Chemiekeulen“, beeindrucken die lappländischen Stechinsekten kaum. US 622, Björkolja, Djungelolja und Mygga sind die Mittel der Wahl.
UND JETZT ALL
DAS SCHÖNE
Okay, warum sollte man doch nach Lappland reisen? Weil es einfach wunderschön ist. Lappland ist das Kanada Europas: Dünn besiedelt, mit einer intakten Natur, der saubersten Luft Europas und einem immensen natürlichen Reichtum an Pilzen, Beeren und Fischen gibt es kaum etwas Vergleichbares anderswo auf dem sogenannten „alten“ Kontinent. Doch wie angelt man hier im „arktischen Outback“? In den flachen Lagen habt Ihr es überwiegend mit flachen bis mitteltiefen Gewässern zu tun – sowohl bei den Seen als auch bei den Fließgewässern mit teils ordentlicher Strömung. Es sind immer Naturgewässer, die niemand beräumt. Reichlich Hindernisse wie Holz, Steine und Pflanzenwuchs müssen also einkalkuliert werden. Lediglich die großen Gebirgsseen in den Fjell-Hochlagen erreichen teils fantastische Tiefen von mehr als 50 Meter.
Ihr benötigt mehrere Geräte-Kombinationen: Zum Ersten benötigt Ihr ein leichtes Spinngerät für Forelle, Äsche und Barsch mit 20 bis 40 Gramm Wurfgewicht, 0,25 monofiler oder 0,12er geflochtener Hauptschnur und 0,30er bis 0,35er Fluorocarbon-Vorfach.
Zum Zweiten benötigt Ihr eine Hecht-Kombo. Diese sollte robust und belastbar ausfallen, denn viele Hechte stehen mitten im Kraut bzw. flüchten dort im Drill hinein. Die Hechte in Lappland kämpfen im Verhältnis zu unseren heimischen Hechten deutlich härter, Steine und Holz tun ihr Übriges. Nicht zu feine geflochtene Hauptschnur (0,18er bis 0,20er) sowie dickes Fluorocarbon-Vorfach (0,80 mm oder mehr) bzw. robustes Stahlvorfach (9 Kilo oder mehr Tragkraft) sind Pflicht.
Zum Dritten (und wer’s mag): Fluggerte mit Schwimmschnur (AFTMA-Klasse 5-6) sowie Nymphen und verschiedene Trockenfliegen sowie Nymphen fürs Äschenfischen. Ersatzweise funktionieren Kunstfliegen auch an einer Sbirulino-Montage.
Nicht vergessen solltet Ihr einen Watkescher mit Sicherungskordel (Gummizug)! Handlandungen sind bei den wild um sich schlagenden Fischen (v.a. Salmoniden und Hechte) in Lappland nicht zu empfehlen. Denn falls der Drilling in der Hand sitzt: Das nächste Krankenhaus ist oftmals 50 Kilometer weit entfernt! Kleinteile wie Hakenlösezange, Priest, Vorfachmaterial, Hakenschleifstein, kleines Messer, Einhänger, No Knots, Wirbel, eventuell Ersatz-Hauptschnur wegen starken Verschleißes an Felsen und Holz komplettieren Euer Equipment. Kochgeschirr und Kaffeekanne für die Outdoor-Küche am offenen Feuer sind ebenfalls notwendig, damit das richtige Outdoor-Gefühl aufkommt.
DAS EQUIPMENT
MUSS STIMMEN
Last but not least: Eine Pol- oder Sonnenbrille aus Polycarbonat darf keinesfalls fehlen! Und dies nicht nur wegen der manchmal sehr grellen Sonne, sondern vor allem auch, um die Augen vor umherfliegenden Ködern und Haken beim Hängerlösen oder beim Landeversuch eines knapp gehakten Fisches zu schützen.
Als Angelköder solltet Ihr Folgendes dabeihaben: Oberflächenköder aller Art, Spinner zwischen Größe 2 und Größe 6 für Barsch, Äsche, Forelle und Hecht (Myran, Mepps Aglia und Aglia Long sowie Vibrax), Blinker in verschiedenen Größen und Gewichten fürs Fließwasser, Spinnerbaits und andere krautgeschützte Köder fürs Angeln in Kraut und Holz. Außerdem fangen Jerk- und Swimbaits im krautfreieren Flachwasser sehr gut und beim Schleppen in tiefen Seen haben sich Wobbler in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlicher Lauftiefe bewährt.
Die Köderfarben sind (meist) von untergeordneter Bedeutung, denn Lapplands Fische sind nicht allzu wählerisch. In sehr klarem Wasser können jedoch extrem natürliche Dekore gefragt sein, besonders bei den Salmoniden. Und wenn das Beißen mal schwierig werden sollte, müsst Ihr dunkle Köder zur Hand haben! Es gibt auch in Lappland diese seltsamen Tage, da fangen gedeckte Farben mit Kupfer, Messing und Schwarz besser als Silber oder Weiß!
Wichtig ist in jedem Fall: Wer mit Weichplastikködern angelt, sollte sich wegen der vielen Hechte auf einen hohen Verschleiß einstellen und einen entsprechend großen Vorrat mitnehmen. In der Regel ist es jedoch einfacher, von vornherein auf Köder aus »bissfesten« Materialien zu setzen.
EIN KAJAK
ÄNDERT ALLES
Und jetzt kommt der mit Abstand „heißeste“ Gerätetipp: Besorgt Euch für Euren Lapplandtrip ein Kajak oder Kanu! Genauso wie im Amazonas-Urwald sind auch in der nordischen Wildnis viele Gewässer anders kaum zugänglich. Nur der Weg übers Wasser bringt Euch an die geheimsten Geheimspots, die Europa noch zu bieten hat! Eine solide Vorbereitung ist bei solchen Kajaktouren in der weglosen Wildnis das A und O.
Abb.: Mit dem Kajak erreicht man Stellen, die für Uferangler nicht zu befischen sind.
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Ende der Leseprobe. Auf den folgenden Seiten gibt es weitere Informationen zum Angeln vom Kajak, weitere Reiseinformationen und Empfehlungen zu Camps, den Steckbrief des Hechtes (Esox lucius) und viele Fotos samt Bildbeschreibungen.
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HINWEIS: Das Töten wild lebender Tiere ist vom Gesetzgeber streng reglementiert. Der tierschutzgerechte Umgang mit Fischen wird Dir bei den Vorbereitungskursen zur staatlichen Fischerprüfung vermittelt. Sei Dir immer Deiner Verantwortung bewusst, die Dir mit dem hier beschriebenen Wissen anvertraut wird.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.
Titel: DMAX Angel-Abenteuer weltweit für echte Kerle
Autoren: Gregor Bradler und Olivier Portrat
Verlag: Müller Rüschlikon
Verlagslink: https://www.motorbuch-versand.de/product_info.php/info/11114
ISBN: 978-3-275-02141-3
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Bereits veröffentlichte Leseproben aus dem Buch:
https://krautjunker.com/2018/10/20/angelabenteuer-mongolei-flusswoelfe-und-einzigartige-hechte/
https://krautjunker.com/2019/01/03/angelabenteuer-spanien-der-ebro-alles-im-fluss/
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