Buchvorstellung von René M. Kieselmann
Nun ist es schon einige Zeit her, dass das Buch „Bock auf Wild“ (Heel-Verlag) von Markus Bitzen dank Jens Werkmeister vom KRAUTJUNKER-Blog bei mir eingetroffen ist. Doch wie es so ist – die Weihnachtszeit kommt, der Jahreswechsel und andere Dinge nehmen einen ein.
Das umfangreiche Wild-Kochbuch vermittelt einen wertigen Eindruck. Ein stabiler Karton sichert das Know-How im Innern – für richtigen Wasserschutz in Herdnähe empfiehlt sich eine Folierung.
Schon beim ersten Durchblättern überzeugen die Fotos von Sandra Then: Stimmungsvoll, detailreich und voller Abwechslung – so wie der Inhalt des Buches. Markus Bitzen, der Autor, ist Küchenchef und Jäger. Er ist Mitglied in der Slowfood-Allianz und betreibt mit seiner Familie in Rech bei Bad Neuenahr-Ahrweiler (ca. 30 km südlich von Bonn) ein Jagdhaus mit Hotel, Restaurant und Hofladen. Westlich grenzt der Naturpark Hohes Venn – Eifel an.
Das Kochbuch präsentiert die „Ahrtaler Küche“ in einer sinnvollen Gliederung: Nach dem Beginn mit Fond, Brühe, Suppe folgen einzelne Wildstücke (einen Einblick in das Buch bekommt man auch unter https://www.heel-verlag.de/Bock+auf+Wild.htm)
- Hinterkeule
- Vorderkeule
- Rücken
- Filet
- Hackfleisch
„Etwas andere Gerichte“ zeigen, dass die Ahrtaler Küche über den Tellerrand hinausschaut. Vom „Geschnetzelten von der Wildschweinleber mit Schokolade“ (!) und Steinpilzen bis hin zu den asiatisch inspirierten Frühlingsrollen vom Wildschwein oder Wan-Tan mit Wildgans gibt es mannigfache Anregungen, die auch der interessierte Wildkoch sicher noch nicht alle kennt.

Die marinierte Wildschweinzunge oder der Salat aus dem Wildschweinkopffleisch verdeutlichen den nachhaltigen Ansatz des „from nose to tail“.


Das mag für den einen oder anderen ungewohnt sein, ist aber eine erfrischende Ergänzung, die zum Nachdenken und Nachkochen anregt. Schlussendlich jagen die meisten, um nachhaltiges und gesundes Biofleisch zu gewinnen. Die möglichst umfassende Nutzung ist vom ethischen Aspekt her zu begrüßen. Dass wir in Deutschland und Europa genug zu essen haben, war nicht immer so und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) rät zum Notvorrat:
https://www.bbk.bund.de/DE/Ratgeber/VorsorgefuerdenKat-fall/VorsorgefuerdenKat-fall_node.html
Die Gliederung des Buches in die einzelnen Fleischteile des Schalenwildes ist für den Leser schon deswegen sinnvoll, weil der Jäger des Vertrauens nicht immer genau das gewünschte Stück parat hat.
Nicht jeder kann den Rücken und die Filets haben. Der Rest ist auch lecker. Insofern kann man sich einfach ein Stück Wildfleisch beschaffen und schaut dann im Buch nach, welche Rezepte für den Einkauf passen. In der Regel lassen sich Rezepte von der einen Wildart auf die andere mit mehr oder weniger Modifikationen auch übertragen.
Vor den Rezepten findet man kurze, aber lehrreiche Ausführungen zu Wildfleisch allgemein. Markus Bitzen stellt klar, dass Wild nicht mehr schwere Hausmannskost darstellt, sondern ein wichtiger Bestandteil leichter und gesunder Küche ist.

Ebenfalls räumt er mit dem Vorurteil auf, dass Wild einen strengen Geschmack hat – der „Hautgout“ stammt aus Zeiten, in denen Kühlmöglichkeiten beschränkt waren und die Wildbrethygiene weniger fortschrittlich war. Heute ist der Stellenwert dieses Prüfungsfaches in der Jägerprüfung hervorgehoben und soll noch weiter verstärkt werden. Der Abschnitt „Wissenswertes rund um den Einkauf“ informiert den Leser über Aspekte, die selbst nicht jeder Jäger kennt. Die recht harsche Kritik am Wild aus Drückjagden ist meines Erachtens nur teilweise berechtigt. Auch dort kommt es auf den konkreten Fall an. Ich habe schon viele Stücke aus Drückjagden erlegt und verzehrt und bislang noch keine nachteilige Auswirkung geschmeckt. Richtig ist jedoch der Ansatz, dass der Schuss ohne vorherige Hatz eine höhere Wahrscheinlichkeit für gute Fleischreifung erzeugt (hier wird übrigens nur die Reifung im Vakuumbeutel erwähnt, andere Methoden nicht, was der Qualität des Buches keinen Abbruch tut – die Reifung in Asche, Mineralwasser oder im dry-aged-Schrank muss nicht jeder beherrschen ;-)).
Das Einführungskapitel über Fleischteile und deren Verwendung ist eine wichtige Grundlage für Einkauf und Zubereitung: Oft ängstigt sich der Verbraucher vor einem zu zähen Stück.

Diese Angst ist unbegründet. Markus Bitzen stellt klar, dass unterschiedliche Muskelgruppen auch unterschiedlich aufgebaut sind und daher auch eine differenzierte Behandlung in der Küche benötigen: Das Filet (gut der Vorbereitungstipp!) kann man kurzbraten oder sous vide zubereiten, Stücke mit höherem Sehnen- und Faszienanteil muss man schmoren, bis das Bindegewebe weich umgebaut ist. Lesenswert: https://www.fleischglueck.de/magazin/kollagen-gelatine-schmoren/
Noch unbekannt war mir, dass man „pulled pork“ auch sous vide zubereiten kann – das muss ich noch nachholen. Der wilde Cowboy und der städtische Hobby-SUV-Jäger bevorzugen vermutlich den Smoker.
Die Seite mit „Ein bisschen Technik“ gibt kurz und leserlich wichtige Hinweise für den, der sich mit Dingen wie Kerntemperatur oder „Rückwärtsgaren“ noch nicht befasst hat.
Danach wird im Einzelnen gezeigt, wie die entsprechenden Stücke diverser Wildarten aussehen – wertvolles Grundwissen für den Verbraucher. Auch hier begeistern das hervorragende Fotomaterial.

Wichtig als Basis für eine gelungene Zubereitung ist auch das Kapitel „Fond, Brühe, Suppe“. Dort werden wichtige Details genannt, vom Abschöpfen von trüberen Bestandteilen über die Herstellung von Mehlbutter zum Abbinden einer Sauce bis hin zu Tipps für die Freunde des „Thermomix“ – auch die Zubereitung der Rahmsuppe vom Wild ohne den Zauberkessel wird vermittelt (Anmerkung meiner Tochter: „Papa, das musst Du unbedingt noch machen, das sieht lecker aus!“). Die vier Saucenvarianten sind lecker und machen Lust auf Variation.

Die einzelnen Kapitel von Hinterkeule, Vorderkeule über Rücken und Filet bis zum Hackfleisch bieten solide und schmackhafte, aber nicht altbackene Hausmannskost von bewährt bis kreativ. Die Hirschschnitzel in Schwarzbrot-Haselnuss-Panade sehen lecker aus.

Nicht nur warme Gerichte werden präsentiert. Die Anleitung zum selbst gepökelten Wildschweinschinken ist einfach zuzubereiten, auch das Carpaccio von der Hirsch-Semerrolle lässt – wie der gebeizte Wildschweinrücken – das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Es finden sich diverse Rezepte für Gulasch, die man ohne weiteres kombinieren kann. In die Mode gekommen ist das „pulled pork“. Das findet sich im „Burger von der gezupften Wildschweinkeule“ wieder („pulled wild boar“?) – ein Gedicht.

Wer kein Sous-vide-Bad samt Vakuumierer hat oder einen Smoker hat, kann auch auf den normalen Grill oder den Backofen zurückgreifen, muss aber dann ebenfalls die Kerntemperatur beachten.
Sehr hilfreich sind diverse Tipps zur Zubereitung, die sowohl in einzelne Rezepte eingestreut sind (übersichtliche Kästen wie „Mein Tipp“ oder „Gut zu wissen“) als sich auch vorne in den Einleitungsartikeln befinden.
Mit dem Abschnitt zum Hackfleisch wird man sicher auch Kinder begeistern können, die je nach Alter Fleisch doch nicht so mögen, wenn dort sehnige oder knorpelige Anteile enthalten sind. Die Frikadellen vom Reh (wozu man ohne weiteres auch anderes Wild verwenden kann) finden so ihre Ergänzung in den „Fleischbällchen in Rahmsauce“. „Köttbullar reloaded“, die Alternative zum IKEA-Restaurant sozusagen. Auch die hausgemachten Ravioli und diverse andere Rezepte wie Bolognese vom Hirsch oder Lasagne vom Wild werden jedem Kind mit Sicherheit schmecken. Unsere drei haben auch den Wildschweinrücken im Blätterteig mit Wirsing gemocht 😉

Auch wenn die Beilagen bisweilen unterschätzt werden: Auf den letzten Seiten habe ich diverse Tipps gefunden, die schmackhafte Variationen erlauben. Salatrezepte und diverse Beilagengemüse sind kreativ aufbereitet. Auch für den Vorratskeller finden sich Anregungen vom Chutney über BBQ-Sauce bis zum selbstgemachten Wildgewürz.

Mein Gesamteindruck: Ein faszinierendes Kochbuch, das über die mehr als 70 Rezepte hinaus gut lesbar Wissen vermittelt, mit dem man schnell variieren kann. Kauftipp auch für nicht Erfahrene! Der persönliche Hintergrund des Autors als Jäger und Koch und die Verwurzelung im Ahrtal zeigen, dass hier fundiertes Wissen und Praxis die Geschmacksknospen anregen. Der Besuch bei Markus Bitzen im Jagdhaus Rech ist vorgemerkt.
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KRAUTJUNKER-Koch:
René M. Kieselmann ist seit 2013 Jäger (Hauptziel: tierschutzkonforme Gewinnung und Verarbeitung guten Biofleisches und Aktivität in der Natur), kommt aus dem Schwarzwald und kocht gerne – auch zusammen mit den Kindern. Aufgrund seiner Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt mit Familie kann er nicht jede Woche Jagen gehen und liest deshalb schon lange zur Kompensation u.a. den Weblog „Krautjunker“.

https://www.skwschwarz.de/personen/profil/skw/kieselmann/show/person/
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Verlagsinformation über den Kochbuchautor:
Markus Bitzen, geboren 1974, lebt seit seiner Kindheit im wunderschönen Ahrtal im Norden von Rheinland-Pfalz.

Durch den Gastronomiebetrieb seiner Eltern kam er bereits früh in Berührung mit dem Alltag in Küche und Restaurant, was prägend für seine weitere Laufbahn sein sollte. Nach einer Ausbildung im Steigenberger Hotel in Bad Neuenahr und etlichen beruflichen Zwischenstationen, verschlug es ihn 1998 wieder vollständig in den elterlichen Betrieb, in dem er, neben einem absolvierten Studium zum Hotelbetriebswirt, seitdem arbeitet.
2007 erfolgte schließlich die komplette Übernahme des Jagdhauses Rech und 2009 die Spezialisierung auf Wild. Markus Bitzen ist seit 2002 Mitglied bei Slow Food und seit 2017 Teil der Flow Food Chef Alliance Köche, deren Leidenschaft und Ideale sich ganz dem Erzeugnis von guten und fairen Produkten verschrieben haben. Er wohnt heute mit seiner Frau Marina, seinen drei Töchtern und Hund im Weinort Rech an der Ahr.
Jagdhaus Rech: https://www.jagdhaus-rech.de/
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Titel: Bock auf Wild – Wildrezepte authentisch und lecker
Autor: Markus Bitzen
Verlag: HEEL VERLAG
Verlagslink: https://www.heel-verlag.de/Bock+auf+Wild.htm
ISBN: 978-3958437890
Fotos: Sandra Then http://then-fotografie.de/
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Bereits veröffentlichte Rezepte aus dem Buch:
https://krautjunker.com/2018/10/30/wirsingbaellchen-mit-rehhackfleisch/