von Thomas Thelen
Der pensionierte Deutschlehrer Peter Krauss, zweifach promoviert und mit 60 Semestern an unterschiedlichen europäischen Universitäten ein Bildungsbürger durch und durch, hat mit seinem Handwörterbuch der Vogellaute ein Kompendium geschaffen, das einzigartig ist in all den Welten zwischen zwei Buchdeckeln.

Krauss, 1942 in Bad Cannstatt geboren, ist Germanist, Romanist und Sinologe, begeisterter Jazzpianist und Übersetzer. Er hat sich mit all seinen Sinnen auf die Pürsch begeben, um in der deutschen Sprache, aber auch in seinem gesamten persönlichen Sprachenuniversum lautmalerische und abstrakte Begriffe zu erkunden und zu kartografieren, die der Mensch ersonnen hat, um die unendliche Vielfalt der Vogelstimmen zu beschreiben. Als Übersetzer stieß Krauss bei seiner Arbeit immer wieder auf treffende, oft skurril klingende Wortschöpfungen wie Waldschnepfen quorren, Lerchen quinkelieren, Strandläufer winseln, Enten wuchteln, Finken schlagen und Wachteln bickwewicken. In dem reich illustrierten Band stellt Krauss mehr als 300 solcher Lautäußerungen von rund 100 Vogelarten vor, dazu kommen Quellenangaben, Etymologien, Literaturzitate, Notenbilder und Anekdoten. Kurz: Dieses ebenso hochinformative wie unterhaltsame Werk ist ein schier unerschöpflicher Fundus für Natur- und Sprachfreunde.
Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er? ist weder ein klassisches Bestimmungs- noch ein Synonymwörterbuch; vielmehr ist es ein Differenzierungs- und Präzisierungswörterbuch, das dem Leser Sprach-, Wahrnehmungs- und damit auch Denkräume zur Beschreibung von Vogellauten in unterschiedlichen Situationen und Stimmungslagen in einer Vielfalt wie nirgends sonst eröffnet. Zwei weitere Beispielsequenzen (einmal Verben beginnend mit qu…, danach beginnend mit kr…) aus den herrlich informativen Registern, Übersichten und Listen im Anhang des Büchleins mögen das aufzeigen: Sind Sie rechtschreib-sicher, wenn ich Ihnen diktiere, dass Möwen quaken, Grünlinge quäcken, Finken quäken, Möwen quarren, Teichrohrsänger quärksen, Enten quärren, Girlitze quätschen, Gimpel dagegen quetschen, Birkhühner quieken, Pelikane quietschen und Geier quiken? Oder die Wachteln kreisen oder kreisten, Zaunkönige krispeln, Auerhähne kröchen, Krähen kröchsen, Blauracken kröchzen, Birkhühner krollen und Auerhähne krolzen? – Jetzt qualmt die Rechtschreibprüfung…
Das so geschärfte Bewusstsein für die Bandbreite der Vogellaute sensibilisiert auch den erfahrenen Naturbeobachter für die große Varianz der Sprache der Vögel und hilft zu vermeiden, dass der Hauptruf einer Art als „das“ Erkennungsmerkmal überbewertet wird – Ohren und Kopf stets offenhalten!
Ebenso erhellend wie die Wortsammlungen sind die präzisen, anregenden Illustrationen zu jeder Vogelart – ein wahrlich zeitlos bibliophiles Werk! Der Sinologe Krauss ergänzt die visuelle Information um chinesische Ideogramme; diese erlauben einen winzigen Einblick in die Sprache eines ganz anderen Kulturkreises. Über den wundervollen Band, der mit 12,1 x 18,5 cm und 224 Seiten klein genug in seinem physischen Format ist, um Wanderungen, Exkursionen oder auch Jagdansitze stets zu begleiten, ist – zu Recht! – seit seinem Erscheinen im Jahr 2016 so viel Wohlwollendes geschrieben und gesagt worden, dass jede weitere Rezension nur eine Zitatensammlung bereits veröffentlichter Besprechungen sein kann.

Daher möchte ich hier das Spielfeld erweitern und neben dem Buch weitere Bausteine und Aktivitäten rund um die Vogelstimmen einbeziehen.

Eine moderne, im direkten Vergleich aber fast seelenlos erscheinende, wenn auch sehr praktische Ergänzung ist der Kosmos-Band Unsere Vögel und ihre Stimmen von Felix Weiß, in dem ebenfalls 100 Vogelarten präsentiert werden (samt erstklassiger Fotos), denn der hier mitgelieferte Soundgenerator erlaubt es, Tondokumente der vorgestellten Arten abzuspielen. Das hilft zumindest dem Laien sehr bei den ersten Hör-Schritten und bei der Bestimmung unbekannter Laute. In der Kombination beider Bücher wird schnell anschaulich, dass unterschiedliche Laute zu so vielen lautmalerischen Wortkreationen inspiriert haben.

Der Naturschutzbund Deutschland führt auch in diesem Jahr die Wahl zum Vogel des Jahres durch. Doch zum 50. Jubiläum des „Vogel des Jahres“ findet erstmals eine öffentliche Wahl statt. Auf www.vogeldesjahres.de kann bis zum 19. März jeder einen der zehn Kandidaten auswählen: Stadttaube, Rotkehlchen, Amsel, Feldlerche, Goldregenpfeifer, Blaumeise, Eisvogel, Haussperling, Kiebitz oder Rauchschwalbe können gewählt werden. Noch am gleichen Tag wird der gefiederte Wahlsieger verkündet und zum „Vogel des Jahres 2021“ ernannt.
Besonders inspirierend ist im Jubiläumsjahr der Beitrag des bekannten Techno-DJs, Ornithologe und Ökologen Dominik Eulberg, der den zehn Kandidaten eine ebenso informative wie künstlerische Plattform mit seinen „Synthi-Birds“-Sounds gibt. Reinhören können Sie hier – es lohnt sich! Die schön gestaltet Website von Eulberg ist mehr als einen Blick und jedes Zuhören wert: https://dominik-eulberg.de. Und nach der Lektüre der beiden Bücher können Sie die schönen Schallbeispiele besonders goutieren und kompetent zur Wahl schreiten.
Wem all das moderne Zeugs zu technisch, zu kalt, zu digital daherkommt, dem seien handgeschnitzte Vogellockpfeifen aus Frankreich empfohlen: Die Handschmeichler der Manufaktur Quelle est belle company sind ein Schatz an kunsthandwerklicher Präzision und formvollendeter Schlichtheit. Auf der Website finden Sie Lockpfeifen für eine Vielzahl unterschiedlicher Vogelarten, deren Anwendung Sie um so schneller erlernen, je umfassender Sie sich anhand der beiden Bücher bereits eine Vorstellung von den Rufen der jeweiligen Vogelart erarbeitet und imaginiert haben. Ganz besonders die Präsentationsboxen mit einem Dutzend Pfeifen haben es mir angetan, sie sind ebenso schmuck wie beeindruckend. Und wie erfüllend ist es erst, wenn bereits unbeholfene Pfeifversuche mit wohlwollenden Antworten aus der Tiefe des Waldes oder des Gartens beantwortet werden! Allerdings werden die Jäger (und Anwälte) unter den Lesern wissen, dass – bei enger Auslegung des Rechtes – bereits das Anlocken von Wild als Wilderei ausgelegt werden kann. Trifft das auch auf auf Lockpfeifen reagierende Vögel zu? – Freue mich auf sachdienliche Hinweise…
Ein ganz anderes Schlaglicht wirft eine aktuelle Studie der Pacific University, Oregon, auf das Schall- und Lärmempfinden von Vögeln: Dort wurde mit überraschender, erschreckender Klarheit nachgewiesen, dass andauernder Lärm Vögel „verblöden“ lässt, wie „Der Spiegel“ Ende Februar 2021 berichtete. Sie benötigen fast doppelt so lange wie Tiere aus einer Vergleichsgruppe, um Futter zu finden…
Daher sollten wir den wundervollen Gesang der Vögel in der freien Natur genießen und ihnen wie der gesamten Flora und Fauna mit Respekt und Zurückhaltung begegnen.
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PRESSESTIMMEN
Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?
Gut möglich, dass dies das schönste deutsche Buch dieses Jahres ist.
– Denis Scheck, druckfrisch
Ein so schönes wie verwunderliches Buch. Welcher Vogel knippt oder zippt, schmält oder schäckert und welcher murxt? Das Deutsche besitzt einen ungeheuren Reichtum an Ausdrücken für die lautmalerischen Entsprechungen von Vogelrufen und -gesängen. Beide, die Vielfalt der wirklichen Vogelwelt als auch die ihrer sprachlichen Entsprechung, sind im Verschwinden begriffen. Peter Krauss‘ umfassendes Wörterbuch ›Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?‹ ist beides: eine einzigartige ornithologische und bibliophile Preziose und als Bestandsaufnahme eines aussterbenden Wortschatzes, ein Dokument des Niedergangs, der zunehmenden Verwüstung von Natur und Sprachkultur.«
– Anselm Weidner, Deutschlandradio Kultur
»Wir haben uns von der Natur, also auch von uns selber, entfremdet. Im Zuge dieser Entfremdung veramt auch unsere Sprache. So sind uns die Wörter abhanden gekommen, den Gesang der Vögel zu benennen. Ein Fehlen, das wir kaum bemerken. Dies ist eine erste, deprimierende Erkenntnis, wen man das ebenso wunderbare wie wunderliche Bändchen ›Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?‹ von Peter Krauss durchgeht.«
– Bernd Graff, Süddeutsche Zeitung
»Die Amsel pfeift und flötet, aber sie schackert auch und dackt. Der pensionierte Deutschlehrer Krauss erzählt zwischen all dem Wissenschaftlichen dann auch noch einschlägige, zum Teil recht witzige, Anekdoten. Was unbedingt noch erwähnt werden muss, sind die Abbildungen in dem Buch: zauberhaft altmodische Aquarelle.«
– Konrad Holzer, Flaneurin
»Selten hat ein linguistisches Werk so viel Spaß gemacht.«
-Tobias Becker, SPIEGEL Literatur
Sie werden es wie einen Gedichtband lesen, einzelne Wörter halblaut mitsprechen und auf der Zunge zergehen lassen.
-Eva Gaeding, MDR Kultur
Das Krolzen, Hiähen, Rülschen und Quinkelieren bringt nicht nur die erstaunliche Varianz der Vogellaute zum Ausdruck, sondern auch die deutsche Sprache selbst zum Singen. Und aus dem kühlen Jargon der Wissenschaft und der Armut der Alltagssprache wird wieder ein Fest der Verben, wie es früher begangen wurde.
– Markus Hofmann, NZZ
Wie und wo und wann der Vogel sich äußert, dass beschreibt dieses wunderschön gestaltete Buch auch anhand von Illustrationen und Notenlinien zum Nachspielen.
– Thomas Gralla, rbb
Es öffnet mir die Augen für die Komplexität der Schönheit der Welt.
– Denis Scheck, WDR2
Dass eine Amsel pfeift und flötet, wusste man ja, aber dass sie auch schackert und dackt. entzückt den Literaturkritiker. [Denis Scheck] Zudem sei der Band bezaubernd illustriert.
– Ingeborg Salomon, Rhein-Neckar-Zeitung
Ein „beglückenderes“ Buch als dieses wird es 2017 nicht mehr geben, jauchzt Rezensent Matthias Heine. Denn das, was der Germanist und Schriftsteller Peter Krauss dank sorgfältiger Quellenrecherche, begonnen bei „Brehms Tierleben“ über das „Deutsche Wörterbuch“ der Grimms bis hin zur schönen Literatur und Vogel-Fachbüchern, über die lautmalerischen Entsprechungen von Vogelrufen und -gesängen zusammengetragen hat, erscheint dem Kritiker geradezu wie ein „säkulares Gebet an die Wunder der Natur und der Sprache“. In dem wunderschön gestalteten und mit Reproduktionen aus alten britischen Vogelbüchern angereicherten Band entdeckt Heine nicht nur den Reichtum der deutschen Onomatopoetika – die Nachtigall etwa vermag im Deutschen zu „trillern, wirbeln, schluchzen, pfeifen, dichten, knarren, kadenzen, flöten, schmettern, russen oder girren“, erfährt der Rezensent – sondern auch eine Vielzahl französischer Lautmalereien. Dieses Buch feiert die „Schönheit einer untergehenden Welt“, schließt der hingerissene Kritiker.
– Die Welt
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KRAUTJUNKER-Rezensent Thomas Thelen

Thomas Thelen ist Deutsch-Drahthaar-Bändiger, Leihhund-Bespaßer, Fliegenfischer, Holzwerker und Genießer – und eher nebenher Unternehmensberater und Autor.
Zuhause in den südbadischen Weinbergen, hält er nicht nur nach Schwarz- und Rehwild Ausschau, sondern auch nach empfehlenswerter Lektüre und leckeren Rezepten. Wenn sie seinen Geschmackstest bestehen, werden sie hier umgehend weiterempfohlen – oder kritisch betrachtet.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er? Handwörterbuch der Vogellaute
Autor: Peter Krauss,
Grafikdesign: Judith Schalansky
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Verlagslink: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/singt-der-vogel-ruft-er-oder-schlaegt-er.html
ISBN: 978-3-95757-393-3
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Titel: Unsere Vögel und ihre Stimmen: 100 heimische Arten kennenlernen mit dem Kosmos-Soundmodul
Autor: Felix Weiß
Verlag: Franckh Kosmos Verlag
ISBN: 978-3440167588