Jagdmesser: Waffe und Werkzeug im Wald

Neben dem Gewehr ist das Wichtigste bei der Jagd: das Messer. Nur mit der richtigen Klinge lässt sich die Beute fachgerecht ausweiden oder ein verletztes Tier vom Leid erlösen.

Das Jagdgewehr auf die linke Hand gestützt, die seinen mannshohen Wan­derstock umgreift, nimmt Corbinian Kohn den Gamsbock ins Visier. Er steht etwa 60 m entfernt am gegenüberliegenden Hang, scheint etwas zu wittern, gibt einen zischenden Pfeifton ab – der typische Warnlaut. Kohn drückt ab, ein Knall peitscht durch die Bergwälder nahe der oberbayerischen Gemeinde Ettal. Das Tier fällt sofort um.

„Blattschuss“, sagt Kohn und eilt mit seinem Hund Gustl zur Beute. Dort angekommen, legt er das Gewehr zur Seite und holt eine Lederscheide aus dem Rucksack, in der sein Jagdmesser steckt. „Die kalte Waffe, wie wir Jäger sagen, ist unser wichtigstes Werkzeug“, so der 30-Jährige. Sein Exemplar hat ihm ein befreundeter Schmied gefertigt, genau so wie Kohn es haben wollte: den ergonomisch geformten Griff aus wunder­schönem und ebenso widerstandsfähigem indi­schem Apfelholz, die feststehende Klinge scharf und robust.

Er richtet das tote Tier auf, überkreuzt die Vorderläufe hinter dem Kopf, lehnt es mit dem Rücken an den Hang. „Aufbrechen“ nennen die Jäger das, was nun folgt: das Entfernen der Eingeweide. „Man macht das vor Ort, weil das Tier dadurch für den Transport erheblich leichter wird“, erklärt Kohn. „Einmal habe ich mein Mes­ser zu Hause vergessen, das passiert mir nicht wieder. Ich musste 35 Kilo zum Wagen schlep­pen, anderthalb Stunden lang.“ Der zweite, ebenso wichtige Grund für das sofortige Auswei­den sei das schnellere Auskühlen des entleerten Körpers: „Wenn das Fleisch zu lange warm bleibt, besteht die Gefahr, dass es verdirbt.“

Also verliert Kohn keine Zeit. Er schneidet das Fell oberhalb des Geschlechtsteils auf, zieht es Richtung Hinterläufe und durchtrennt mit schnellen, kurzen Schnitten Harnleiter und Sa­menstrang. Dann schneidet er unten den Bauch ein kleines Stück ein, gerade so weit, dass er mit Zeige-und Mittelfinger unter die Bauchdecke kommt. Die Finger dienen als Führung für die Messerspitze, mit der er nun nach oben fährt und die gesamte Bauchdecke aufschlitzt. Vor allem aber fungieren sie als Abstandhalter zu den Innereien, die nicht mit der Klinge in Kontakt kommen dürfen. Nach wenigen Sekunden liegen Magen, Darm und Leber frei.

 

2Abb.: Robuste Klinge, ergonomischer Griff – Kohns handgefertigtes Jagdmesser

 

Kohn greift sich den Strang, wo die Milz in den Schlund übergeht, drückt ihn fest zusammen und schneidet ihn durch. Er durchtrennt weitere Sehnen, entfernt die Gallenblase, schneidet zum Schluss noch den After auf, das sogenannte „Waidloch“, um den Enddarm zu lösen. Schließ­lich hat er das Tier komplett ausgeweidet, ohne die Innereien zu verletzen. „Man muss mit dem Messer sehr vorsichtig und präzise arbeiten, damit weder Unverdautes noch ätzender Gallen­saft austritt“, sagt Kohn, der in Kochel am See den Wildhandel WUID betreibt und das kernige Gamsfleisch zu Salami und Schinken veredeln lässt.

Das Ausweiden ist die filigranste Arbeit, die ein Jagdmesser verrichten muss. Aber Kohns Klinge wäre am Rücken nicht fast einen halben Zenti­meter dick, wenn er nicht auch für andere Aufga­ben gerüstet sein müsste. Der Jäger nimmt den Kopf des Gamsbocks und zeigt auf eine Stelle am Nacken. „Wenn das Tier nur angeschossen ist, kann man es mit einem gezielten Stich ins Rückenmark tierschutzgerecht erlösen, das nennt man ‚Abnicken‘. Dafür braucht man eine stabile Klinge, die gleichzeitig spitz genug sein muss, um leicht einzudringen.“ Der Gamsbock heute passt als Ganzes in den Rucksack, aber bei Rotwild komme es vor, dass man die Beute vor Ort zerlegen müsse, erzählt Kohn. „Da muss ich Kraft ausüben und brauche ein Messer, das so was mitmacht und die Schärfe hält.“

 FÜR VIELE AUFGABEN GERÜSTET

Je erfahrener der Jäger, desto kürzer die Klinge – so heißt es. Kohn ist schon als Bub mit seinem Onkel auf die Pirsch gegangen, auch seine Messer wurden mit den Jahren immer kleiner. Seine jetzige Klinge misst 8,5 cm und dürfte noch kürzer sein, gäbe es nicht Situationen, die das sogenannte „Abfangen“ erfordern. „Wenn zum Beispiel Hunde um ein verwundetes Tier herumspringen und deshalb die Schusswaffe nicht infrage kommt, nimmt man das Messer und setzt einen Stich zwischen die Rippen in den Brustkorb – Luft strömt ein, die Lunge fällt zusammen, das Tier kollabiert.“ Bei der Jagd auf Wildschweine benutzt man dafür einen „Saufänger“, das ist ein Dolch mit langer, breiter Klin­ge. Manche Modelle lassen sich auf eine Stange schrauben und damit zur „Saufeder“ verlängern. „Wildschweine können einen umbringen“, sagt Kohn, „mit einem solchen Zwei-Meter-Spieß hat man beim Abfangen ein bisschen Sicherheitsab­stand zu dem gefährlichen Tier.“

 

EIN JAGDMESSER BRAUCHT KEINEN SCHNICKSCHNACK.

HEINRICH SCHMIDBAUER

 

Für die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten bietet der Jagdmessermarkt eine große Vielfalt: Das traditionellste Modell ist das Nickermesser, häufig mit klassischem Hirschhorngriff. Seine Klinge mit abgesenkter Spitze eignet sich zum Abnicken, Aufbrechen und Abziehen des Fells, überdies ist es ein beliebtes Trachten-und Brotzeitmesser. Als feststehende Messer sind Nicker robust und leicht zu reinigen. Mehrteilige Klappmesser verfügen zusätzlich zu einer Uni­versalklinge oft über eine gekrümmte und an der Oberseite stumpfe Aufbruchklinge sowie über eine Säge für Knochen oder Äste. Klappmesser sind klein und handlich, allerdings anfällig für Verschmutzung. Imposante Messertypen wie das große und schwere Waidblatt oder der Hirschfänger, eine Stichwaffe mit bis zu 70 cm Klingen­länge, waren im 18. und 19. Jahrhundert verbrei­tet und sind in der heutigen Jagdpraxis nur noch von geringer Bedeutung. Sie dienen jedoch als folkloristische Schmuckstücke und bieten Stoff für historische Anekdoten. So wurde die breite Klinge des Waidblatts früher benutzt, um Jäger für unwaidmännisches Verhalten zu bestrafen – mit Schlägen auf den Hintern.

 

Corbinian Kohn

Abb.: Den Gamsbock im Rucksack, macht sich der Jäger und Wildhändler Corbini­an Kohn mit seinem Hund Gustl auf den Heimweg.

AM ANFANG WAR DER FAUSTKEIL

Wie Corbinian Kohn schwört auch der Jäger und Messermacher Heinrich Schmidbauer auf Modelle mit einer einzigen, feststehenden Klinge. Der 53-Jährige fertigt in Finning nahe des Ammersees im schlichten nordischen Stil gehaltene Unikate für Berufsjäger, Förster und Sammler. „Ein Jagdmesser braucht keinen Schnickschnack“, sagt Schmidbauer. Wichtig sei ein Griff, der sicher in der Hand liegt und des­sen Material man gerne berührt. Eine rostfreie Klinge, weil kaum etwas so aggressiv den Stahl angreife wie Blut. Und als nützliches Detail eine Riffelung am unteren Übergang vom Griff zur Klinge. „So weiß ich auch bei Dunkelheit sofort, wo die Schneide ist.“

Für Schmidbauer, der als Jagdaufseher seit 20 Jahren durch die Wälder streift, ist ein gutes Jagdmesser „das Outdoormesser schlechthin, weil es jede Aufgabe in der Natur meistern kann – ob ich nun in einer Wanderpause einen Stock schnitzen oder beim Klettern ein Seil durchtrennen will“. Und gerne erinnert er daran, dass die Geschichte des Messers mit der Jagd ihren Anfang nimmt – mit dem schon damals erstaunlich scharfen Faustkeil des Steinzeitmen­schen. „In dem Moment, wo der Mensch begann, das Fleisch erlegter Tiere zu verarbeiten, hat er etwas zum Schneiden gebraucht.“

 

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KRAUTJUNKERAnmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.

TE+Messer_-1

Titel: TEUBNER Messer

Teubner Verlag/ Autoren: Oliver Lang-Geffroy, Uwe Rasche

Teubner Verlag/ Fotograf: Joerg Lehmann

Verlag: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Teubner Edition

ISBN: 9783833838460

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Verlagslink: http://www.gu.de/buecher/teubner/solitaere/731226-teubner-messer/

Buch-Rezension: https://krautjunker.com/2016/07/01/teubner-messer/

Wie man eine Rehschulter auslöst: https://krautjunker.com/2016/07/15/rehschulter-ausloesen/

Ein Rezept aus dem Buch: https://krautjunker.com/2016/07/29/gefuellte-rehschulter-aus-dem-roemertopf/

Wildhandel WUID: http://www.wildfleisch-oberbayern.de/home.html

Messermacher Heinrich Schmidbauer: http://www.messer-schmidbauer.de/

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