Zauberpilze und Schamanen

 von Dr. Robert Hofrichter

Die Entdecker der Magic Mushrooms lebten in der Urzeit
Der Konsum von Pilzen traf beim Menschen irgendwann auf ein Bedürfnis, das Tiere nicht haben. Das Bedürfnis nämlich, auf existentielle Fragen eine Antwort zu finden. »Woher kommen wir?«, »Wohin gehen wir?« und »Was können wir gegen die Angst vor dem Tod tun?« – Weil der Mensch über sich selbst nachdenken und nach dem Sinn seines Lebens fragen konnte, begann er Religion und Spiritualität zu entwickeln.
Eine Begleiterscheinung dieser Entwicklung war die Herausbildung einer Gruppe spiritueller Spezialisten unter den Menschen, der Schamanen. Sie lernten, sich mit Hilfe von Pilzen in geistig entrückte Zustände zu versetzen.
Noch heute können wir Felsen- und Höhlenmalereien betrachten, in denen Menschen der Steinzeit ihre religiösen Vorstellungen auch künstlerisch ausgedrückt haben. Zu den ältesten Kulturzeugnissen dieser Art zählen die Felsenmalereien von Tschukotka im äußersten Nordosten Russlands. In dieser rauen, von Tundra bedeckten Gegend, in der Stürme zu jeder Jahreszeit oft Orkanstärke erreichen, fand man in Höhlen Zeichnungen, die Menschen darstellen, über denen schematisierte Pilze schweben. Sowohl die Datierung als auch die Interpretation dieser Bilder fallen schwer. Manche Ethnologen sind der Meinung, dass es sich um Zeugnisse eines Fliegenpilz-Kultes handle, der in dieser Gegend uralte Wurzeln hat.
Vielleicht noch älter sind ähnliche Felsenmalereien aus der Zentralsahara im südlichen Algerien. Die Tassili n’Ajjer, eine Gebirgsgegend, ist für ihre prähistorischen Felsmalereien und andere archäologische Fundstätten aus einer relativ kühlen und feuchten Phase vor ungefähr 6.000 Jahren bekannt. Neben Elefanten, Giraffen und Krokodilen finden sich hier allerhand Pilzmotive, die aufs Engste mit menschlichen Körpern verwoben sind. Die Darstellungen der Menschen wirken, als ob ihre Körperteile die Form von Pilzen hätten oder diese aus ihren Köpfen wachsen würden. Man vermutet einen Zusammenhang mit dem berauschenden Einsatz von Pilzen.


Im Rausch der Fliegenpilze
Inhaltsstoffe der Fliegenpilze mit halluzinogener, aber auch toxischer Wirkung sind Ibotensäure, Muscimol und Muscazon. Todesfolgen nach dem Verzehr sind zwar kaum überliefert, doch können sie Übelkeit, Erbrechen und Herzrasen hervorrufen. Ibotensäure hat man in Tierversuchen als starkes Nervengift entlarvt, doch wird sie beim Lufttrocknen in weniger giftige Derivate abgebaut. Es den alten Schamanen nachmachen zu wollen, ist dennoch nicht besonders klug. Das Risiko besteht in der Unberechenbarkeit der Wirkstoffkonzentration in einzelnen Pilzen und an verschiedenen Standorten. Unterschiedliche Quellen geben Schwankungen bis zum Faktor 100 oder sogar 500 an, was den Gehalt der Toxine und Halluzinogene angeht. So sollen die von den Ureinwohnern Sibiriens konsumierten Fliegenpilze ein anderes Verhältnis der drei Wirkstoffe zueinander haben als die heimischen Fliegenpilze in Mitteleuropa. Das Glück der sibirischen Schamanen war vielleicht, dass die halluzinogene Komponente in Relation zur Giftwirkung dort mehr in den Vordergrund tritt.
Eine eher unappetitliche Geschichte dieser Fliegenpilz- Kulturgeschichte ist ebenfalls aus Sibirien überliefert. Nach Drogen Wikia geht sie wie folgt: Da Muscimol fast vollständig wieder ausgeschieden wird, lässt sich der Urin von Fliegenpilzkonsumenten oder auch von mit Fliegenpilz gefütterten Tieren ebenfalls als Droge verwenden. Diese Konsumform bietet den Vorteil, dass Giftstoffe wie Ibotensäure, Muscazon und Muscarin abgebaut werden und nur das psychotrop wirksame, aber trotzdem noch giftige, Muscimol erhalten bleibt. Damit wurde das Trinken des Urins eines berauschten Schamanen zum sicheren Weg, selbst einen Trip anzutreten. Oder aber der Schamane trank den Urin von Rentieren, die Fliegenpilze verzehrt hatten. Die genannte Internetseite bezeichnet diese Praktiken als »gewöhnungsbedürftig«.


Ein Trank, der es in sich hat
Bei europäischen Völkern wurde dieser ungewöhnliche Fliegenpilzgebrauch der sibirischen Schamanen erst im 18. Jahrhundert einem breiteren Publikum bekannt. Der vielleicht früheste Bericht darüber stammt vom schwedischen Oberst Philip Johan von Strahlenberg, der in einem 1730 erschienenen Buch über seine Kriegsgefangenschaft in Kamtschatka über die dort beheimateten Völker berichtete:
     Die Russen, so mit ihnen handeln und verkehren, bringen ihnen unter anderen Waren auch eine Art Schwämme, die in Rußland wachsen, hin welche auf Rußisch Muchumor (Fliegenpilz) genannt werden, die sie vor Eichhörner, Füchse, Hermelinen, Zobeln etc. an sich tauschen, da denn die Reichen unter ihnen eine ziemliche Provision von diesen Schwämmen sich zum Winter machen können. Wenn sie nun ihre Festtage und Collationens halten wollen, giessen sie Wasser auf diese Schwämme, kochen selbige, und trinken sich davon voll, alsdenn lagern sich um der Reichen Hütten die Armen, die sich dergleichen Schwämme-Provision nicht machen können, und warten biß einer von den Gästen herunter kömmt, sein Wasser abzuschlagen, halten ihm eine hölzerne Schaale unter, und sauffen den Urin in sich, worinn noch einige Krafft von den Schwämmen stecket, davon sie auch voll werden, wollen also solche kräftige Wasser nicht so vergeblich auf die Erde fallen lassen.

So haben unsere Vorfahren die bewusstseinserweiternde Wirksamkeit von Pilzen entdeckt. Die Magic Mushrooms sind keine Erfindung der Hippie-Generation. Mit ihrer Hilfe konnten die Schamanen bei spirituellen Sitzungen, bei Befragungen der Geister und Toten, beim Rätselraten über das Schicksal eines Kranken und um als Orakel zu agieren den Zustand ihres Bewusstseins verändern. Vielleicht wuchsen dem Schamanen so hellseherische Kräfte zu, sodass er auch über den Verbleib eines gestohlenen Haustiers oder über die Treue des Partners Auskunft geben konnte.

Psychoaktive Pilze – Magie von Kuhfladen
Einer von denen, die sich intensiv mit den Fragen rund um Schamanismus und Pilze beschäftigt haben, war das im Jahr 2000 leider verstorbene US-amerikanische Multitalent Terence McKenna. Der Sprachwissenschaftler, Philosoph, Buchautor, Mathematiker und Historiker betätigte sich nebenbei auch als Biologe, Psychologe und Bewusstseinsforscher. Außerdem ist er einer der Wegbereiter der Ethnopharmakologie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie unterschiedliche Kulturen mit unterschiedlichen medizinisch wirksamen Substanzen umgehen. Besonders fasziniert haben ihn psychoaktive Pilze und ihre Rolle im Schamanismus. Für einen Pilzkenner ist darum einleuchtend, dass er sich vor allem für Fliegenpilze und verschiedene Spezies von Psilocybe wie den Kubanischen Kahlkopf interessierte.

 

Mckenna1

McKennas Theorien waren gewagt: Er sah bereits die Evolution des Menschen in Afrika in Zusammenhang mit dem Konsum von Magic Mushrooms aus der Gattung Psilocybe. Kein Wunder, dass andere Wissenschaftler manche seiner Vorstellungen als spekulativ ansahen und nicht wirklich ernst nahmen. Und dennoch kann niemand ausschließen, dass manche von McKennas Theorien vom »berauschten Affen« stimmen. Elemente seiner Überlegungen sind nicht neu, viele entsprechen allgemein anerkannten Annahmen: Der nord- und ostafrikanische Dschungel zog sich zurück, weite Steppen- bzw. Savannenlandschaften traten an seine Stelle, in denen riesige Tierherden umherstreiften und grasten. Es ist naheliegend zu vermuten, dass unsere Vorfahren diesen Herden folgten. Wer aber einer Herde folgt, der wird auch in den Dung der Tiere treten. Und auf diesen Haufen finden sich häufig bestimmte magische Pilze – Die Speisen der Götter, wie McKenna eines seiner Bücher nannte. Wirkliche Beweise für die Nutzung von Pilzen durch Menschen haben wir zwar erst für die letzten 20.000 Jahre. Doch um McKenna etwas in Schutz zu nehmen: Warum soll die Beziehung der Menschen zu Pilzen vor dieser Zeit eine andere gewesen sein? Auch was die Beziehung von Pilzen und Menschen anbelangt, dürfen wir das wissenschaftliche Prinzip der Gleichförmigkeit der Prozesse annehmen. Es besagt, dass beispielsweise geologische Vorgänge, die heute zu beobachten sind, in der Vergangenheit ebenso gewirkt haben. Von heutigen Abläufen wären damit Rückschlüsse auf Bildungsprozesse in der Vergangenheit möglich.

 

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KRAUTJUNKERAnmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.

Das geheimnisvolle Leben der Pilze

Titel: Das geheimnisvolle Leben der Pilze – Die faszinierenden Wunder einer verborgenen Welt

Autor: Dr. Robert Hofrichter

Verlag: Gütersloher Verlagshaus

ISBN: 978-3-579-08676-7

Verlagslink: https://www.randomhouse.de/Buch/Das-geheimnisvolle-Leben-der-Pilze/Robert-Hofrichter/Guetersloher-Verlagshaus/e518522.rhd

Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2017/06/30/wie-ich-die-pilze-und-meine-frau-fand-unsere-wurzeln-sind-in-der-erde-nicht-im-beton/

Zweite Leseprobe: https://krautjunker.com/2017/08/10/jeder-von-uns-ein-biotop/

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Fotoquellen: Wikipedia

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