von Dr. Robert Hofrichter
Essbare Pilze sind am wenigsten giftig
Die Meister der organischen Chemie kochen auf
Das letzte Wort des Besserwissers:
Diese Pilze sind nicht giftig!
Sprichwort
Eine deutsche Urlauberin, die auf einer Südseeinsel durch ein Mimosenfeld wanderte, zeigte eine allergische Reaktion. Auf dem Rückflug kollabierte sie, das Flugzeug musste in Neufundland notlanden, und die Touristin wurde anschließend 16 Tage lang medizinisch behandelt. Dennoch: Wer fürchtet sich schon vor Mimosen? Obwohl unzählige Pflanzen und Tiere sehr giftig sein können, zeigen die meisten Menschen, wenn es um chemische Bedrohungen aus der Natur geht, eine nicht selten irrationale Angst vor Pilzen.
Bereits der berühmte griechische Arzt Pedanios Dioscurides zeichnete im ersten Jahrhundert nach Christus ein schwarz-weißes Bild von Schwämmen, von denen es seiner Meinung nach bloß zwei Kategorien gab: Die einen sind zum Essen bequem, die anderen aber ein tödlich Gift. Dioscurides vermutete, dass die Giftigkeit eines Pilzes von seinem Standort abhänge: Pilze, die neben verrostetem Eisen, faulendem Tuch, Schlangenhöhlen oder Bäumen mit giftigen Früchten wüchsen, seien alle miteinander giftig. Wenn das auch Unsinn ist, so erkannte der Arzt immerhin schon damals, dass der übermäßige Genuss von Speisepilzen den Magen belasten kann.
Die Frage, wann welche Pilze giftig sind oder nicht, blieb dagegen noch lange umstritten und unklar. Besitzen auch Sie noch verstaubte Pilzbücher aus Großelterns Zeiten im Bücherregal? Ich habe viele und liebe ihre wunderschönen, kolorierten Illustrationen. Antiquarisch und aus Gründen des Sentiments sind sie wahre Schätze, doch wäre es mehr als unvernünftig, sich auf ihre Expertise zu verlassen. Je weiter zurück das Erscheinungsjahr liegt, desto unhaltbarer sind die Ratschläge, die zur Unterscheidung essbarer von giftigen Pilzen dienen sollen. Bis heute hat zum Beispiel der Trugschluss überlebt, dass Fruchtkörper, die von Tieren angefressen wurden, nicht giftig seien. Ein möglicherweise tödlicher Irrtum! Und auch darauf, dass Löffel aus Zinn oder Silber bei Berührung mit Gift braun anlaufen, Zwiebeln sich schwarz verfärben, wenn man sie mit giftigen Pilzen in Kontakt bringt, Eiweiß bleigrau und Salz gelb wird, verlässt man sich besser nicht.
Die Mykotoxikologie, die Erforschung der Pilzgifte, und die medizinische Mykologie haben in den letzten 20 Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Computer- gestützte molekularbiologische und biochemische Methoden liefern heute Erkenntnisse, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten. Immer wieder werden selbst bei harmlos geltenden Pilzen gefährliche Substanzen entdeckt, die völlig andere Wirkungsmechanismen zeigen als die Wirkstoffe der altbekannten Giftpilze. Zunehmend wird auch klar, dass Pilze allergische Reaktionen auslösen können. Doch welche Nahrungsmittel können das in Zeiten wie diesen nicht?
Denn nicht immer sind Pilzgifte simple Stoffe. Sie können vielmehr aus einer Mischung unzähliger flüchtiger oder sich in Reaktionen verändernder Substanzen bestehen, die sich rätselhaft benehmen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat die bisher bekannten Vergiftungen systematisch in bestimmte Kategorien eingeordnet. Damit verfügen wir heute über eine mykotoxikologische Übersicht der derzeit bekannten Pilz- bzw. Vergiftungskategorien. Danach gibt es ungiftige Pilze, auch Speisepilze genannt. Es kommen unechte Pilzvergiftungen vor oder auch Pilzunverträglichkeiten wie das Indigestionssyndrom, die Shiitake-Dermatitis oder das Grünlings-Syndrom (Tricholoma equestre). Daneben gibt es Vergiftungen wie das gastrointestinale Syndrom, das man sich durch verschiedenste Arten zuziehen kann. Es äußert sich in Brechdurchfällen und Übelkeit, die tagelang anhalten können, und macht bis zu 40 Prozent aller Pilzvergiftungen aus. Beschrieben wer- den daneben Syndrome, die durch den Kahlen Krempling (Paxillus), durch den Knollenblätterpilz (Phalloides-Syndrom), die Frühjahrslorcheln (Gyromitrin-Syndrom), die Risspilze (Muscarin-Syndrom), den Pantherpilz (Pantherina-Syndrom), durch Fliegenpilze (Amanita muscaria-Syndrom) oder auch durch Tintlinge (Coprinus-Syndrom) und die Schleierlinge (Orellanus-Syndrom) ausgelöst werden können. Auch das Psilocybin-Syndrom, das durch die Magic Mushrooms ausgelöst wird und das sich viele Menschen mehr oder weniger bewusst zufügen, findet in dieser Liste Erwähnung.
Pilzmorde – seltener als gedacht
Pilze können also einiges anrichten und Agatha Christie meinte darum: Wenn irgendwo Pilze schmoren, wird der Kriminalist unwillkürlich hellhörig.

Allerdings sind tatsächlich nur wenige mit Pilzen ausgeübte Morde bekannt geworden. Ein gewisser Girard, der im Frankreich des beginnenden 20. Jahrhunderts als Heirats- und Versicherungsschwindler unterwegs war, vergiftete reihenweise Frauen mit Pilzen – oder er versuchte es zumindest. Zu jener Zeit galt der Gelbe Knollenblätterpilz als ebenso giftig wie sein todbringender Verwandter, der Grüne Knollenblätterpilz. Allerdings: Das ist nicht richtig. Sein Wirkstoff ist Bufotenin, ein psychedelisch wirkendes Alkaloid. Es ist in der Regel nicht tödlich, und büßt obendrein durch Erhitzen seine Wirkung ein. Girard »arbeitete« auch mit diesem Pilz, weil seine ungenauen mykologischen Kenntnisse ihm die Unterscheidung der beiden Arten nicht möglich machten. Das rettete manchen Frauen das Leben, brachte dem Attentäter aber keinen mildernden Umstände: Er beendete sein Leben auf dem Schafott.
In der Kriminalstatistik Großbritanniens sind für die Jahre 1837 und 1838 rund 545 Giftmorde verzeichnet. Doch nur vier davon wurden durch Pilze verübt. In Frankreich ist zwischen 1851 und 1872 sogar nur ein einziger solcher Fall überliefert. Und auch wenn der amerikanische Privatgelehrte und Mykologe Robert Gordon Wasson (1898 – 1986) nachzuweisen versuchte, dass berühmte Persönlichkeiten wie der römische Kaiser Claudius, Papst Clemens VII., eine russische Zarin und Kaiser Karl VI. möglicherweise durch das Gift des Knollenblätterpilzes starben, das ihnen manchmal in mörderischer Absicht in Form eines Pilzgerichtes gereicht wurde, so gestaltet sich eine retrospektive kriminalistische Beweisführung über viele Jahrhunderte hinweg doch als schwierig. Das Gift der Pilze als Mordwaffe regt die Fantasie an, ohne dass dieses immer einen festen Halt in der Wirklichkeit findet.
Gift – alles eine Frage der Dosis
Was also ist überhaupt ein Gift? Und wann ist etwas ein Gift? Im Englischen bedeutet gift Gabe oder Geschenk. Es ist verblüffend, dass die Etymologie des furchteinflößenden Begriffs ausgerechnet auf diese Wortherkunft hindeutet, denn Gift steht auch althochdeutsch für Gabe, Geschenk oder Schenkung. So finden wir das Wort noch bei Goethe gebraucht. Diese ursprüngliche Bedeutung ist aus dem Deutschen zwar längst verschwunden, doch blieb das Wort zumindest als Bezeichnung für das Heiratsgut der Braut, die Aussteuer erhalten: die Mitgift.
Mit dem Begriff der Gabe verbindet sich in der Medizin das griechisch-spätlateinische Wort dosis. Es bezeichnet die bestimmte Menge einer Gabe. Und an der Menge hängt nun, ob eine Gabe tatsächlich zum Gift wird. Es war der berühmte Arzt, Alchemist und Reformator der Medizin Philippus Theophrastus Paracelsus (1493 – 1541), der in meiner Heimatstadt Salzburg begraben liegt, von dem einer der berühmtesten Sätze der Pharmakologiegeschichte überliefert ist, in dem genau dieser Zusammenhang festgehalten wird: Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei.
Paracelsus hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen, auch, wenn es um die Frage der Giftigkeit von Pilzen geht. Denn Pilze sind nicht entweder giftig oder ungiftig. Sie sind nur mehr oder weniger giftig, je nachdem, welche Dosis an toxischen Substanzen sie enthalten bzw. welche Menge wir von ihnen zu uns nehmen. Essbare Pilze sind darum jene, die am wenigsten giftig sind. Tatsächlich können uns nämlich alle möglichen Fungi auf mehreren Wegen vergiften, wenn sie beispielsweise nicht mehr frisch sind, falsch gelagert werden oder wir sie nach zu kurzer Wärmebehandlung konsumieren.
Die Schlüsselerkenntnis lautet also noch ein wenig präziser: Essbare Pilze sind jene, die nach einer ausreichend langen Garzeit und in angemessenen Mengen keine Beschwerden oder gar Vergiftungssymptome hervorrufen.
Viele Speisepilze können zum Beispiel in rohem Zustand und manchmal schon in geringsten Mengen durchaus giftig sein, wie etwa der teuflisch klingende Satanspilz (Rubroboletus satanas). In rohem Zustand verursacht er heftige Vergiftungen, die sich bereits nach einer kleinen Verkostung innerhalb kurzer Zeit bemerkbar machen.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Das geheimnisvolle Leben der Pilze – Die faszinierenden Wunder einer verborgenen Welt
Autor: Dr. Robert Hofrichter
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
ISBN: 978-3-579-08676-7
https://www.zukunftsfreude.com/buch/robert-hofrichter-das-geheimnisvolle-leben-der-pilze/
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Der Film zum Buch: https://www.youtube.com/watch?v=3uKxPZ_BATk
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Bereits auf KRAUTJUNKER veröffentlichte Buchvorstellung und Leseproben:
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Titelbild: Die unvergessene Margret Rutherford in ihrer Paraderolle als Miss Marple. Unbedingt die Filme auf DVD, im Fernsehen oder einem Streaming-Portal anschauen.

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