Die Rinderkiller von Kongwa

von Brian Nicholson

Als ich im Jahr 1961 von meinem langen Urlaub zurückkehrte, hatte Tanganjika seine vollständige Unabhängigkeit erreicht. Ich entschied mich dafür, unter der neuen afrikanischen Regierung, die die britische Kolonialverwaltung abgelöst hatte, weiterzuarbeiten. Bruce Kinloch, der als Leiter der Wildschutzbehörde ebenfalls weitermachte, hatte die Struktur der Behörde und die Hierarchien revidiert und den neuen Verhältnissen angepasst. „Game Rangers“, also die europäischen Beamten meines Ranges, hießen jetzt „Game Wardens“. Aus dem „Head Game Scout“, der höchsten Position, die erfahrene afrikanische Scouts bisher innehatten, wurden „Sergeanten“. Dann wurde eine neue Hierarchieebene zwischen den „Game Wardens“ und den „Sergeanten“ geschaffen, die „Game Assistants“. Sie war gedacht für Feldpersonal mit einer gewissen Ausbildung oder längerer Berufserfahrung. Beim Mannschaftsdienstgrad, dem einfachen „Scout“ änderte sich nichts. Kinloch wusste natürlich, wie das vorhandene Personal neu eingestuft werden sollte, aber er musste jetzt die Genehmigung der Regierung abwarten. Ich wurde deshalb vorübergehend in der Zentralprovinz in Dodoma eingesetzt, hauptsächlich um die Zeit zu überbrücken.

 

6X.IAbb.: Der 16-jährige Brian Nicholson mit seinem ersten Löwen.

 

Es war ein ziemlich eintöniges und trostloses Gebiet ohne größere, nennenswerte Wildbestände. Nomadisierende Rinderzüchter und Ackerbauern schlugen sich mühsam auf schlechten Böden bei geringen Niederschlägen durch. Ich schoss einige Problemelefanten in den Distrikten Dodoma, Manyoni sowie Kondoa Irangi und besuchte den Ort, an dem ein Bekannter von mir, der Distriktbeamte Gerry Nettleton, von einem Elefantenbullen getötet worden war, den er auf der Lizenzjagd angeschweißt hatte. Etwas Besonderes während meines kurzen Aufenthalts in Dodoma war die Jagd nach einer Löwin, die seit langer Zeit auf der Kongwa-Ranch im Mpwapwa-Distrikt Rinder tötete. Die Ranch war ein weiteres Überbleibsel des vom Unglück verfolgten Erdnussprojekts der britischen Regierung. Das inzwischen völlig gescheiterte Vorhaben hatte ursprünglich hier als das Kongwa-Pilotprojekt begonnen. Als es fehlschlug, verlegte man es nach Nachingwea im Süden und nach Usoke im Westen. Große Bereiche dichten Buschlands hatte man zwecks Kultivierung gerodet. Dazwischen lagen aber mehrere isolierte, zwei- oder dreitausend Morgen große Gebiete, die unberührt geblieben waren. Nahe dem Ranchhaus, auf der westlichen Seite des gerodeten Landes, erstreckte sich eine lange, von dichtem Busch und hohen Felsen bedeckte Hügelkette. Nach dem Misserfolg mit den Erdnüssen hatte man das geräumte Land in eine Ranch umgewandelt und hielt einen hochwertigen Rinderbestand von über viertausend Tieren.

Verantwortlich für das Anwesen war ein europäischer Manager namens Clayton. Als versierter Rinderzüchter in den Mittfünfzigern lebte er mit seiner Frau zusammen in dem Ranchhaus. Er züchtete hochwertige Fleischrinder, bemühte sich aber auch, die einheimischen Wagogo zu lehren, die Qualität ihrer mageren Tiere zu steigern. Ich traf Clayton und seine Frau kurz nachdem ich in Dodoma ankam. Ich hatte einen Bericht erhalten, dass einer seiner Stiere getötet worden war. Begleitet von Goa machte ich mich sofort auf zur Kongwa-Ranch. Clayton bot mir Unterkunft im Wohnhaus an, Goa wurde im Quartier des Personals untergebracht. Es war schon zu spät, um noch die Verfolgung aufzunehmen, aber Clayton hatte, wie ich es am Telefon erbeten hatte, den Kadaver dort gelassen, wo das Tier getötet worden war, und mit Zweigen gegen Geier verblendet. Die Löwin, begleitet von zwei sechs Monate alten Jungen, hatte nicht viel gefressen, und ich hoffte, sie würde in der nächsten Nacht zu ihrer Beute zurückkehren.

Als wir uns am Abend im Farmhaus entspannten, erzählte mir Clayton etwas über die Aktivitäten der Löwin. Sie war seit mindestens zwei Jahren in der Gegend und hatte Rinder der höchsten Güteklasse im Wert von mehreren Tausend Pfund gerissen. Alle Versuche, ihrer habhaft zu werden, wie Ansitzen über der Beute, Vergiften von Kadavern und organisierte Treibjagden waren fehlgeschlagen. Clayton war wirklich besorgt und keineswegs zuversichtlich, dass ich das Problem lösen könnte. Mein Kollege Bill Moore-Gilbert, der in Manyoni stationiert gewesen war, hatte ebenfalls mehrfach erfolglos versucht, sie zu erlegen. Ein Scout, den man auf der Ranch stationiert hatte, erzählte mir, dass er Moore-Gilbert auf allen Jagden begleitet hatte. Wegen des dichten Busches, in den sich die Löwin bei Tageslicht zurückzog, sei man nie dicht genug herangekommen, um sie zu sehen. Sie habe sich jedes Mal schon vorher davongemacht.

Der Mann trug schwere Armeestiefel. Als ich fragte, ob er und Moore-Gilbert solches Schuhwerk auch auf der Jagd trugen, bejahte er. Ich sagte ihm, er solle sich früh am nächsten Morgen bei mir melden, und zwar ohne die Stiefel. Bei der Löwenjagd in dichter Deckung sind zwei Dinge entscheidend. Das eine ist die zeitliche Koordinierung. Verfolgt man einen Löwen, während er noch hellwach ist, hört er einen fast immer, bevor man ihn sieht. Das andere sind Geräusche. Man muss sich quasi völlig lautlos durch den dichten Busch bewegen. Hat man dem Löwen genug Zeit gegeben, tief einzuschlafen, sollte man sich seine Chancen nicht verderben, indem man ihn mit schweren Stiefeln weckt, unter deren Sohlen trockene Zweige brechen und lose Steinchen knirschen. Wo immer ich war, ob auf der Jagd oder auf Fußmärschen, ich trug stets leichte Turnschuhe und Shorts. Die üblichen langen Khakihosen sind auf der Jagd auch zu laut und von Nachteil.

Am nächsten Morgen näherten Goa, der lokale Scout, jetzt ungestiefelt, und ich uns vorsichtig dem geschlagenen Stier. Die Löwin mit den zwei Jungen war schon fort, hatte aber während der Nacht ziemlich viel gefressen. Unter Führung von Goa folgten wir der Spur bis zum Rand des dichten Busches auf dem Hügelrücken etwa zwei Meilen vom Ranchhaus entfernt. Es war immer noch früh, sodass wir im Haus frühstückten und dann zu der Stelle zurückkehrten. Mittlerweile war es etwa neun Uhr geworden, die Sonne stand bereits hoch und es wurde warm. Goa nahm die Spur auf, ich ging hinter ihm, gefolgt von dem Scout. Langsam und vorsichtig bahnten wir uns einen Weg durch den dichten Busch. Es hatte kürzlich geregnet, alles war frisch belaubt. Nach etwa einer halben Stunde legten wir eine erste Rast ein, um den Nerven etwas Ruhe zu gönnen. Wir hatten erst wenig mehr als eine Meile zurückgelegt, als wir vor uns und zur Linken schwaches „huuh“ hörten. Wir wussten also nun, wo sich die Katzen aufhielten und dass sie nah waren.

Äußerst vorsichtig schlichen wir weiter. Die Spur führte den Hang hinunter und dann parallel in ein mit Felsen und dichten Sträuchern übersätes Gebiet. Da blieb Goa urplötzlich stehen und zeigte leise nach links. Ich brauchte ein, zwei Sekunden, bis ich ein kleines, verstecktes Stück Löwenfell ausmachte. In diesem Moment drang wieder ein leises Grummeln zu uns: Die Löwen schliefen tief und träumten. Ich konnte nicht genau sehen, ob dies ein erwachsenes oder junges Tier war und welchen Körperteil ich vor mir hatte. Gleichwohl nahm ich die Chance wahr und schoss eine .470er Teilmantel mitten auf den Fleck. Sofort ertönte ein beängstigendes Knurren und mit lautem Krachen flüchtete ein Löwe weg von einer Stelle, die wir gerade passiert hatten. Dann wurde alles still. Ich lud den rechten Lauf nach und bewegte mich vorsichtig in Richtung des Tieres, auf das ich geschossen hatte. Der Fleck war immer noch da, nicht mehr als fünf Meter entfernt von der Stelle, von der aus ich geschossen hatte. Er hatte sich nicht bewegt. Der Löwe war längst verendet, als ich an ihn herantrat. Eher zufällig hatte die Kugel das Herz durchschlagen. Es war aber eines der Jungen, sodass das Problem noch nicht gelöst war.

Nach reichlich Fraß, einem Riesenschreck und dem Verlust eines Jungen war es wahrscheinlich, dass die Löwin erst in einigen Tagen zum Rindertöten zurückkam. Ich brach daher auf und bat Clayton, mich sofort anzurufen, sollten Löwen wieder Beute auf der Ranch gemacht haben. Obwohl ich nur ein Junges getötet hatte, war er bei Weitem nicht mehr so skeptisch, was zukünftige Erfolge betraf.

 

Nachdem ich einen Tag in Dodoma verbracht hatte, besuchte ich kurz die Bahe-Senke und ging dann nach Kilima Tinde und Kondoa Irangi, um mich Beschwerden über Elefantenschäden zu widmen. Während der zwei Wochen, die ich unterwegs war, regnete es und alles war nass. Ständig mussten wir das Fahrzeug ausgraben oder mit dem Wagenheber befreien, wenn es sich festgefahren hatte, sodass ich mich freute, als es wieder zurück nach Dodoma ging. Das aufregendste Schauspiel auf dieser Safari war die Migration Zehntausender Enten in der überfluteten Bahe-Ebene. Zu Hause angekommen, erwartete mich die Nachricht von Clayton, dass in der vergangenen Nacht wieder ein Stier getötet worden war. Für mich kam das nicht überraschend. Wieder fuhr ich direkt zur Ranch und nahm diesmal meine älteste Tochter Susan mit. Ich dachte, die etwas matronenhafte Frau Clayton würde nichts dagegen haben, auf sie im Haus etwas aufzupassen, während ich die Löwin jagte. Gegen 14 Uhr kamen wir an der Ranch an. Ich ließ Susan bei den Claytons und fuhr direkt zu dem frischen Riss. An dem mit Dornbüschen bedeckten Kadaver war von einer Löwin mit Jungem gefressen worden, die Alte war zweifellos das Tier, das ich gejagt hatte.

Der Jungbulle war in offenem Gelände, einige Hundert Meter von einem über tausend Morgen großen Dickicht gerissen worden. Ich war zuversichtlich, dass sich die Löwin und ihr Nachwuchs noch in diesem Gebiet aufhielten und eine gute Chance bestand, sie dort zu finden. Ich ließ den Scout jetzt zurück, weil wir zu zweit natürlich weniger Lärm machten als zu dritt. Goa nahm die Spur auf, ich folgte. Inzwischen bauten sich schwere Regenwolken auf und ich wollte die Jagd möglichst beenden, bevor der Regen alle Spuren vernichtete.

Langsam bewegten wir uns durch das Dickicht und entfernten vorsichtig trockene Äste oder Zweige, die uns hätten verraten können. Wir hatten gerade mal zweihundert Meter zurückgelegt, als wir einen Platz fanden, an dem die Löwin geruht hatte. Erde und auf dem Boden liegende Blätter waren platt gedrückt. Anscheinend hatte sie den Großteil des Tages dort verbracht. Nach einer Ruhepause von zehn Minuten schlichen wir weiter, dann begann der Regen. Er stürzte in Schwaden aus eisigem Wasser herunter, aber wir ließen uns nicht beirren. Nach drei Minuten fanden wir Prantenabdrücke im weichen Schlamm, in denen noch kein Wasser stand. Die Löwin war also sehr nah. Der frischen Spur konnte sogar ein Blinder folgen. Es regnete immer noch stark. Ich war sicher, dass die Löwin uns durch das Trommeln der Tropfen auf den Blättern und Büschen nicht hören konnte.

Ich übernahm nun mit meiner .470 in der Hand die Führung. Goa, hinter mir, trug das andere Gewehr. Wir waren noch nicht weit gegangen, der Regen prasselte immer noch, als Goa meinen Ellbogen berührte. Ich drehte mich sofort um, sah, dass er nach rechts zeigte, und als ich mit den Blicken dorthin folgte, registrierte ich die Löwin – nicht mehr als drei Meter entfernt. Sie ruhte auf der Seite, äugte von uns weg, ihr Rücken zeigte in die Richtung, aus der der Regen vom Wind getrieben wurde. Schultern und Kopf konnte ich nicht erkennen, aber der Rücken war frei. Das Jungtier sah ich nicht. Ich ging leise in Anschlag, den strömenden Regen nahm ich gar nicht mehr wahr, zielte mit Vorbedacht auf die Wirbelsäule und schoss. Ungeheures Brüllen war die Antwort. Fast in derselben Sekunde erschien am Ende meines Gewehrlaufs der Kopf der Löwin mit starren gelben Augen, den Fang weit aufgerissen. Sofort feuerte ich aus dem linken Lauf in ihren offenen Fang, zerschmetterte die Wirbel in ihrem Nacken, und sie sank verendet auf den Boden.

Mein erster Schuss hatte ihre Hinterhand gelähmt. Nur mithilfe der mächtigen Vorderpfoten hatte sie auf ihren Keulen blitzschnell zu mir herumschwingen können. Die Doppelbüchse hatte mich mal wieder vor schweren Verletzungen bewahrt. Die Löwin hätte mich zweifellos noch übel zurichten können. Der heftige Regen ließ bald darauf nach. Frierend und durchnässt bis auf die Haut liefen wir zum Fahrzeug zurück, wobei wir eine gut sichtbare Spur von abgebrochenen Zweigen hinterließen, um den Weg zu markieren. Auf der Ranch informierte ich Clayton, dass wir das Problem nun gelöst hatten. Das Junge war nicht aufgetaucht, auch nicht, als Goa und ich versucht hatten, es zu locken. Es hatte zwar ein paar Mal geantwortet, kam aber nicht näher. Es war noch zu jung, um allein zu überleben, und wird bald darauf eingegangen sein.

Nachdem wir unsere Kleidung gewechselt hatten, kehrten wir mit sechs Arbeitern zur toten Löwin zurück und schleiften sie ins offene Gelände. Ich hatte in jenen Tagen immer eine Kamera bei mir und fotografierte Susan mit meinem Gewehr neben der Löwin.

Brian Nicholson Grosswildjagd

Abb.: Goa hält den Kopf des Rinderkillers von Kongwa. Daneben seht Susan, die älteste Tochter Nicholsons. 

 

Anschließend luden wir unsere Beute in meinen Land Rover und fuhren sie zum Ranchhaus, damit Clayton an der Tierleiche Gott danken oder alternativ einen Freudentanz aufführen konnte.

 

Foto Brian Nicholson 1989_farbig

Abb.: Brian Nicholson bei seinem letzten Besuch im Selous. Kibambawe 1998.

 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

grosswildjagd im alten afrika

 

Titel: Großwildjagd im alten Afrika

Autor: Brian Nicholson

Hrsg.: Rolf D. Baldus

Verlag: Neumann Neudamm

Verlagswebsite: https://www.jana-jagd.de/detail/index/sArticle/7010

ISBN: 978-3788818432

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Erste Leseprobe: https://krautjunker.com/2018/07/30/von-menschenfressenden-loewen/

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Buchbesprechung: http://www.outfox-world.de/Geniesserwelt/buch-tipp-grosswildjagd-im-alten-afrika.html

Website des Herausgebers Dr. Rolf D. Baldus: http://www.wildlife-baldus.com/grosswildjagd_im_alten_afrika.html

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„Spannend erzählte Jagd aus dem alten Afrika.“
Bernd Kamphuis; Chefredakteur der Jagdzeit International

 

 

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