Pilze? Ab in den Wald!

von Inge Fasan

Für eine erfolgreiche Pilzsuche wartet der Volks- bzw. Aberglaube mit einigen nützlichen Regeln auf. Dass das Wachstum von Pilzen mit dem Regen zusammenhängt, war bekannt, insofern scheint es logisch, dass an einem Donnerstag, der dem germanischen Donnergott Donar/Thor gewidmet war, mit der Suche begonnen werden soll. Abgesehen davon solle man sich beim ersten Donner auf dem Boden wälzen. Zusätzlich empfiehlt sich Folgendes:

  1. Niemals Frauen zur Pilzsuche mitnehmen. Die riefen nämlich, sobald sie eines Pilzes ansichtig würden: „Jessas, a Schwamm!“ (Jesus, ein Pilz!) Bei dem Wort „Jessas“ würden sich die Pilze verstecken. So erzählt man sich jedenfalls im steirischen Pöllau. Pilze scheinen also den Namen des Gottessohns zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser. In diese Richtung zielt auch die nächste Regel. Sie lautet:
  2. Möglichst „nicht richtig getauft“ zur Pilzsuche aufbrechen. Solche Menschen, sagt man, fänden besonders viel. Wie sich Kirchenaustritte auf das „Schwammerlglück“ auswirken, gehört noch untersucht.
  3. Die Waldgeister positiv stimmen. Das macht man, indem man die ersten drei gefundenen Pilze in einem hohlen Baum versteckt oder den ersten hinter sich wirft. Bevor man das tut, sollte man sich mit eben jenem ersten Pilz über die Augen streichen. Das, so geht die Mär, schärfe die Sehkraft. Eine christliche Umdeutung der Sache mit den drei Pilzen im hohlen Baum gibt es ebenfalls: Um sich Glück für die gesamte Pilzsaison zu sichern, solle man sich beim ersten Donner des Jahres in einen hohlen Baum legen und drei Vaterunser beten.
  4. Eine „Schwammuhr“ basteln. Die Spitze eines Grashalms in etwas mehr als Daumennagellänge abreißen. Mit einem großen Speicheltropfen darunter auf den Daumennagel setzen und die Richtung beachten, in die die Grashalmspitze zeigt. Dort ist reiche Pilzernte zu erwarten.
  5. Ungewaschen und schlecht angezogen in den Wald gehen. Diese Regel ist die einfachste, weil sie ohne Schwierigkeiten zu befolgen ist, vor allem wenn man sehr früh aufbricht. Angeblich funktioniert es auch, wenn man seine Schürze verkehrt herum anzieht oder barfuß geht. Beides habe ich noch nicht versucht. Oder gehen Sie mit Schürze in den Wald?
  6. Viel und gut lügen. Gesellschaftlich unangepasstes Verhalten (siehe Punkt 5) dürfte der Schlüssel zur erfolgreichen Pilzsuche sein. Diese Regel mag auch damit zusammenhängen, dass passionierte Pilzsucher ihre Sammelplätze nicht verraten oder ihre Kontrahenten in die Irre schicken.
  7. Und wenn Sie Ihre Pilzplätze »fruchtbar« halten wollen, empfiehlt es sich, bereits im Frühling vor Ort zu sein und mit einer Wacholder- oder Haselrute auf den Boden einzuschlagen. Die Lebenskraft der frischen, saftigen Zweige soll so auf die Pilze übertragen werden.

Ob Sie sich diese Regeln zu Herzen nehmen oder nicht: Der passionierte Pilzjäger verändert jedenfalls sein Sensorium, sobald er geeignetes Terrain betritt. In unserer Familie nennen wir das den „Schwammerlblick“. Böse Zungen behaupten, einige von uns seien nicht mehr ansprechbar, sobald sie einen Wald betreten. Vielleicht stimmt das auch. Der Blick wird starr, scannt den Boden, prüft Lichtverhältnisse und Vegetation. Die Kommunikation wird einsilbig: „Reinschaun?“ – „Ja.“ – „Ich dort, du da?“– „Ja.“
Und dann sind wir weg. Erstaunlicherweise ist noch nie jemand verloren gegangen, obwohl gerade mein Orientierungssinn nicht der beste ist. Zur Standortbestimmung gibt es zwischendurch Pfeif- oder Piep-Laute, manchmal ist ein Jubelruf zu hören. Und manchmal muss der eine zur anderen hinüberlaufen, um ein besonders schönes Exemplar zu begutachten oder zu fotografieren, bevor es geerntet wird. Wir drehen die Pilze aus dem Boden und drücken die entstandene Öffnung leicht zu – wir tun das aus Gewohnheit, nicht weil es für den Pilz besser ist. Dem Myzel ist es nämlich egal, wie der Fruchtkörper geerntet wird. Das Myzel wird durch das Herausdrehen nicht kaputt, ein im Boden verbliebener Stumpf fördert nicht seine Zerstörung durch Bakterien oder Schimmel. Beides gehört in die Reihe der Pilzmythen. Und dann: Messer raus (es gibt tolle Pilzmesser mit ausklappbarer Bürste – so ein Gerät kann ich nur empfehlen), Pilz grob putzen und in den mitgebrachten Stoffbeutel verfrachten. Körbe sind zwar geeignet, mir aber ein bisschen zu sperrig, weil man damit nicht gut durch Jungwälder kriechen kann. Und wenn’s dann genug ist, hören wir auf.

pilze suchen 2

„Genug“ ist es, wenn es keine Pilze gibt (das lässt sich manchmal schon nach 10 Minuten feststellen, allenfalls wird das Revier gewechselt), vom vielen Bergauf- und -ablaufen (unsere Pilzreviere sind meist steil) die Beine weh tun oder wenn die gesammelten Pilze die moralisch vertretbare Größe „Haushaltsmenge“ erreicht haben. Nie mehr. Das ist Ehrensache.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

Inge Fasan Mandelbaum

Titel: Steinpilz

Autorin: Inge Fasan

Verlag: mandelbaum verlag

Verlagslink: https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=760&menu=buecher

ISBN: 978385476-538-7

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Fotos: Private Fotos vom 27. Juli 2014 im Schaumburger Wald; © Jens Werkmeister

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Buchvorstellung: https://krautjunker.com/2018/12/28/steinpilz/

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