von Christian Carl Willinger
In den fünfzehn Jahren vor dem Großen Krieg wurde in Ostafrika eine Form der Löwenjagd praktiziert, die als die sportlichste von allen galt: galloping lions, also Löwen zu Stande zu reiten.
Fand man einen oder mehrere Löwen, so glaste man zunächst einmal sorgfältig das Terrain ab, um schwierigen Boden und wahrscheinliche Zufluchtsorte für die Löwen auszumachen. Dann preschte man in vollem Galopp auf den Löwen zu, trieb ihn vor sich her, bis er sich stellte oder angriff, wendete dann das Pferd seitlich zur Flucht, bis der Löwe wieder abließ, verfolgte ihn aufs Neue, bis er ermüdet genug war, um sich auf größere Entfernung, das heißt auf 150–200 Meter zu stellten. Dann stieg man vom Pferd und versuchte den Löwen mit einem präzisen Schuß zu töten. Da man meist nur das Haupt des niedergeduckten, angriffsbereiten Tieres zu sehen bekam, mußte man meist auch aufs Haupt zielen, stehend freihändig über Kimme und Korn. Kam es dann zum Angriff, hatte man gerade noch Zeit, sich in den Sattel zu schwingen und die Sporen zu geben. Als Regel durfte man sich, um einem Angriff sicher zu entkommen, dem Löwen im Galopp nie auf weniger als fünfzig Meter nähern, im Stand zu Pferde sollte man hundert Meter nicht unterschreiten, und abgestiegen 150 Meter. War man auf geringere Entfernung abgestiegen, mußte man im Falle eines Angriffs, und ein solcher war mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, die Sache eben auskämpfen. Diese grundsätzliche Strategie wurde um viele taktische Züge erweitert oder ergänzt, die notwendig waren, wenn man zu mehrt war, mehreren Löwen folgte oder diese ein Dickicht als Rückzugsgebiet erreichten. Damit erforderte die berittene Löwenjagd ein hohes Maß an Kunstfertigkeit, ein geübtes Auge, rasches und sicheres Einschätzungsvermögen, viel Mut sowie eine überragende Reit- und Schießfertigkeit.
Die wenigen, welche dazu Erfahrungen aus erster Hand niedergeschrieben haben, hielten diese Form der Jagd einhellig für die großartigste von allen: „Lion-hunting on horseback in Africa is first class sport“, schrieb etwa Bror v. Blixen-Finecke, und Sir Alfred Pease konstatierte: „For real fun it is difficult, as far as African sport is concerned, to beat hunting lions on horseback“; „Of all big game the lion is the most sporting beast.“ Philip Percival hielt in seinen 1961 komplettierten Memoiren fest: „It was terrific fun and I have always regarded this as the most sporting way of killing a lion“, und sein Bruder Blayney Percival meinte: „To my mind there is no sport equal to ‘galloping’ lions“; it is „the finest sport in the world.“
Mit dem Ersten Weltkrieg und der Ankunft des Automobils sollte diese glorreiche Ära jedoch nur allzubald ihr Ende finden. Auch war die dichte Löwenpopulation auf den Hochebenen um Nairobi schon weitgehend dezimiert worden, hatte man dort doch seit Beginn des Bahnbaus, also seit mehr als fünfzehn Jahren aus dem Vollen geschöpft. Dabei ging es durchaus nicht nur um Jagdvergnügen, sondern vor allem auch um den Schutz der Farmtätigkeit. Diese Jagdart benötigte ebenso wie die unten beschriebene Meutejagd relativ offenes Terrain und war deshalb nur auf dem Steppenhochland Ostafrikas und in ähnlich gearteten Gegenden möglich.
Mit der unnachahmlich feinen Ironie englischen Humors beschreibt Sir Alfred eine noch gewagtere Methode der Löwenjagd: „In Abessinien traf ich einen Grafen Wickenberg, der sich noch eine weitere Art Löwen niederzureiten zu eigen gemacht hatte, eine Methode jedoch, von der ich denke, daß er sie nicht länger empfehlen würde; es ist jedenfalls eine, die zu versuchen ich nie den Mut hatte. Er ritt Löwen wörtlich nieder als wären es Keiler, und wenn er fast über ihnen war, schoß er sie mit seiner 6,5×54 Mannlicher. Einige Wochen lang amüsierte er sich solcherart auf den Ebenen von Somalia, doch nachdem er großen Spaß gehabt und etwa ein Dutzend auf diese simple Weise getötet hatte, setzte sich einer neben ihn aufs Pony und verdarb die Show. Was er bei dieser Gelegenheit durchmachte, brachte ihn ein wenig um das Vertrauen in sein System – zumindest machte er den Eindruck, als er mir diese Erfahrung erzählte, und ich denke, daß es seitdem weder er noch irgend jemand sonst praktiziert hat.“ Bei jenem Grafen Wickenberg handelte es sich um den Altösterreicher Eduard Graf Wickenburg (1866–1936).
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Verlagsinformation über den Autor:
Dr. Christian Carl Willinger, Jahrgang 1962, studierte an der Universität Innsbruck Humanmedizin und bereiste von Jugend an zahlreiche Länder Europas, Afrikas und Asiens, seit 1990 vor allem mit der Büchse oder im Sattel.
Schon früh begann er seine Eindrücke aufzuzeichnen und durch vielfältige Lektüre zu vertiefen. Seine Interessen sind geprägt von Dualismen: Natur und Kultur, Askese und Genuß, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften.

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Anmerkungen
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Titel: Good Sport & Fair Chase: Weidwerk im Geiste ritterlicher Jagdkultur
Autor: Christian Carl Willinger
Verlag: CCW-Verlag
ISBN: 978-3200033016
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Titelbild des Blogbeitrages: Ian Lindsay auf Pixabay
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Erste Leseprobe aus dem Buch:
https://krautjunker.com/2019/05/10/weidgerechtigkeit-und-sportsmanship/
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