Buchvorstellung
Aale sind mystische Wasserwesen, weswegen sie die Menschen seit altersher in ihren Bann ziehen. Gefischt und verspeist wurden sie schon in der Steinzeit, wie beispielsweise die vor 17.000 Jahre alten Höhlenwandmalereien von Lascaux zeigen. Der erste, der den Aal wissenschaftlich untersuchte war Aristoteles (* 384 v. Chr.; † 322 v. Chr.).
Das Leben der Aale beginnt in den salzigen Tiefen vor Mittelamerikas Ostküste, der Sargassosee. Anschließend wandern sie als Glasaale durch den Atlantik, steigen in das Süßwasser der Flüsse Nordamerikas, Nordafrikas und Nordeuropas auf. Eine Verwandlung, die nicht vielen Fischen gelingt. Kurze Strecken wandern sie sogar sogar schlangengleich über Land. Sie sind flexible Nahrungsopportunisten wie wir und in den unterschiedlichsten Gewässern erfolgreich. Der nachweislich älteste bekannte Südwasseraal lebte in Nordschweden und erreichte ein Alter von mindestens 155 Jahren. Irgendwann folgen die Tiere dem Ruf ihrer Natur und kehren zurück an den Ort ihrer Geburt, um sich zu paaren und anschließend zu sterben.
Wo genau und wie genau dies geschieht, hat noch niemand herausgefunden. Und wir wissen dies auch erst seitdem vor ungefähr 100 Jahren der Däne Johannes Schmidt gegen den Golfstrom reiste und immer kleinere Leptocephalus-Larven fand.
Während dieses Lebenszyklusses, der sie um die halbe Welt führt, verändert sich der Aalkörper mehrfach. Ausgewachsene Weibchen können bis zu 150 cm lang und 6 kg schwer werden. Männchen hingegen erreichen nur 60 cm Länge.

Aale gehören zu keinem Land und beeinflussen doch aus ihren Habitaten jede angrenzende menschliche Kultur. Und sie führen uns eine absurd-komische Eigenheit unserer Wissenschaften vor Augen: Je mehr wir über sie wissen, um so mehr wird uns bewusst, dass wir allenfalls an der Oberfläche des Lebens kratzen.
Doch dieses geheimnisvolle Lebewesen, scheint vom Aussterben bedroht zu sein. Und wenig überraschend sieht es so aus, als ob sich diese Tragödie, wie das weltweite Artensterben, als direkte Folge unserer menschlichen Aktivitäten erweist. Dabei ist es nicht so leicht, wie beispielsweise bei dem Pandabären, aus dem Aal in eine Umweltikone zu verwandeln, schleimig und schlangenartig wie er ist.
Auch dem Autoren, der in seiner Freizeit angelt und jagt, erschien der Aal bis zum Beginn dieses Buches als wenig attraktiver Beifang. Lange benötigte er zu begreifen, dass es »gerade die Störungen sind, die interessant sind, das, was wir nicht unbedingt beherrschen und was wir nicht verstehen. Das, was uns entgleitet. Das, was uns paradoxerweise einerseits ganz nahe und andererseits dennoch verborgen ist. Wenn dies dann noch als vom Aussterben bedroht definiert wird, geht es ans Existenzielle. Was sind wir noch, wenn wir es verlieren?
Es ist also eine Art Dunkelheit. Etwas, das man schwer in Worte fassen kann. Etwas wie ein großes Loch des Nichtwissens. Und dann ist es auch eine Art Ariadnefaden, mit dessen Hilfe man zur Lösung findet. Interessiert man sich für einen Gegenstand, merkt man oft plötzlich, dass er sich überall, wo man hinkommt, in den verschiedensten Formen wiederfindet. Das sind sozusagen Algoryihmen der Wirklichkeit.«
Spätestens hier wird dem Leser klar, Reise mit Aal ist weder ein anklagendes Öko-Buch, kein Fachbuch der Ichthyologie und auch keine Lektüre für Sonntagsangler, sondern all dies und Literatur. Auf KRAUTJUNKER stellte ich mit Genuss schon mehrere Bücher dieses Genres vor, welches man in Großbritannien als New Nature Writing bezeichnet.
Die Idee zu diesem Buch entstand, als Torolf E. Kroglund am frühen Morgen mit Kaffee und Zeitung einen Artikel in der Lokalzeitung las.
»Fotos zeigen Aale, die von den Turbinen des Wasserkraftwerks am Storelva in Tvedestrand geschreddert wurden. Ein bärtiger Mann hält einen toten Aal in die Kamera, im Hintergrund ist ein ganzer Haufen Fischkadaver zu sehen. Der Mann schaut ziemlich besorgt.
Der Mann ist mein Vetter, Frode Kroglund. In dem Artikel spricht er reichlich dramatisch vom „großen Aalmassaker“. Frode ist Biologe (ich selbst habe Literatur studiert).
[gekürzt]
Das Schlimme an der Sache ist: Der Aal steht in Europa als vom Aussterben bedrohter Fisch auf der Roten Liste; in Norwegen gilt er aber lediglich als gefährdet. Immerhin ist es verboten, ihn zu fischen (das gilt für Berufsfischer wie Freizeitangler). Weltweit versuchen Forscher dahinterzukommen, warum der Aal verschwindet. Hier ist offensichtlich einer der Gründe dafür: Wenn die Aale aus dem großen Einzugsbereich des Storelva hinaus ins Meer wollen, um ihre lange Reise zurück in die Sargassosee anzutreten, treffen sie auf die Turbinen, die sie am Weiterschwimmen hindern und im schlimmsten Fall in Stücke hacken. Gegen Wasserkraftwerke anzukämpfen ist in etwa so schwierig wie Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen. In Norwegen steht an jedem zweiten Fluss eins, und auch die Wasserläufe im restlichen Europa sind voller Turbinen, Wehre und Dämme.
„Diese Aale“, wird Frode im Artikel zitiert, und er spricht aus, was die Bilder bereits unmissverständlich zeigen, „kehren nicht mehr in die Sargassosee zurück.“«
Die traurige Ironie daran ist, dass die Wasserkraftwerke gefördert werden, um umweltfreundliche Energiepolitik zu betreiben und möglichst wenig Schaden anzurichten. Doch das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.
Im GEO las ich gestern, »Allein in den vier norddeutschen Bundesländern sterben jedes Jahr mehr als 8500 Mäusebussarde an Windkraftanlagen. Das entspricht fast acht Prozent der gesamten Population in diesen Ländern.«
Und weiter: »Man hört immer wieder, dass die Windkraft unter allen anderen Faktoren ein vergleichsweise kleines Problem sei. Für Singvögel sind sicherlich Glasscheiben die größere Gefahr, was die Zahl der Kollisionen anbelangt, ebenso der Verkehr und der Lebensraumverlust durch die Intensivierung der Landwirtschaft. Wenn man allerdings die Energiewende insgesamt betrachtet, sieht das anders aus. Denn dazu gehört auch die Erzeugung von Energiepflanzen, die in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Mittlerweile wächst auf 20 Prozent der deutschen Ackerfläche Mais. Das sind Flächen, die für Vögel und andere Tiere ökologisch so wertvoll sind wie ein Parkplatz. Fatal ist häufig die Kombination aus einer verarmten Landschaft und Windkraftanlagen. Da kann die Windkraft der kleine, aber entscheidende Faktor sein, der einen Bestand zum Kippen bringt. So beim Mäusebussard, aber auch beim Rotmilan und dem seltenen Schreiadler, von dem es bei uns nur 120 Paare gibt.«
Es ist bis dato noch niemandem gelungen, Aale in Gefangenschaft zu vermehren, auch wenn die experimentelle Forschungen in den Niederlanden und Japan Anlass zur Hoffnung gibt. So ist der Aal das letzte Geschöpf dieser Welt, das wirklich wild ist, weil es bist jetzt nicht gelang, es vollständig zu analysieren und nach Belieben zu züchten. Eine Information die gleichzeitig traurig und auch wieder wild-romantisch ist. Das Ergebnis des Zusammenbruchs der Glasaalbestände wird eventuell sehr plötzlich und unumkehrbar sein. Und wird der Aal aussterben, so stirbt auch eine ganze Kultur um diesen Fisch.
In Reise mit Aal begibt sich der Autor nach dem Motto seines Untertitels auf die Spuren dieser aussterbenden Fischart, die »einst so gewöhnlich wie Butter« war. Wir begleiten Kroglund zu skandinavischen Fischern und Sportanglern, er spricht mit Wissenschaftlern in ihren Laboren, idealistischen Umweltschützern und Gastwirten in ihren Restaurants. Wir reisen mit ihm zu niederländischen Fischräuchereien, in das Herz des baskischen Aal-Kultur sowie in Berliner Szenerestaurants und kommen schließlich in Kontakt mit der Glasaal-Mafia. Er respektiert – bis auf die kriminelle – alle Seiten und gibt keiner ausschließlich den Vorzug.
Ob der Aal wirklich ausstirbt oder die Art die menschengemachten Veränderungen wegsteckt, wie verschiedenste natürliche Klimaveränderungen und Naturkatastrophen bleibt offen.
Als Kern des Problems stellt sich aus der Sicht des Autors das fehlende Bewusstsein für die uns umgebende Natur und ihre Bedeutung für unsere Kultur und Identität heraus. Zu oft schauen wir im Fernsehen Filme über die Serengeti, anstatt in der Nähe Pilze zu suchen, zu angeln, zu jagen und somit die Natur buchstäblich selbst zu begreifen.
»Warum sind wir so gedankenlos, so faul und so wenig neugierig? Warum begnügen uns mit Halbwahrheiten und Klischees, Kopien, Vereinfachungen und Vorverdautem, statt das Echte und Natürlichen – und Komplexe – zu suchen? Es stimmt ja keineswegs, dass das Einfache immer das Beste ist.«
Torolf E. Kroglund möchte in seinem Buch nicht nur dazu aufrufen, sich für einen wenig hübschen Fisch zu engagieren, sondern sich auch bewusst machen, was zum Besten im Leben gehört: »kindliche Leidenschaft und unbefangene Neugier, eine erwartungsfrohe Offenheit für die Vielfalt des Lebens.«
*
Über den Autor

Torolf Edgar Kroglund, ein norwegischer Schriftsteller, Journalist, Jäger und Angler. Er studierte Literaturwissenschaften und leitet die Ibsen- und Hamsuntage, die jährlich in Grimstad in Südnorwegen stattfinden. Er ist Verfasser mehrerer Bücher über den Geist skandinavische Subkulturen wie Angeln, Jagen und Skateboarding.
***

Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.

Titel: Reise mit Aal: Auf den Spuren einer aussterbenden Art
Autor: Torolf E. Kroglund
Übersetzung: Martin Bayer
Autorenfoto: ©Tomm W. Christiansen
Verlag: Edel Books – Ein Verlag der Edel Germany GmbH
ISBN 978-3-8419-0681-6
Verlagslink: https://www.edelbooks.com/books/978-3-8419-0681-6/
Dieser Ansatz, dass wir zu wenig Berührung mit der, uns umgebenden Natur, haben, findet sich auch in der Begeisterung für Kochsendungen und Food-Scout-Shows wieder, die häufig nur zum reinen Zeitvertreib konsumiert werden, während in der Mikrowelle das Fastfood auftaut…
LikeGefällt 1 Person
Viel zu oft habe ich Anlass, mir hier an die eigene Nase zu fassen. Immerhin, so langsam drehe ich mich in die Richtung, über die ich lange nur lamentiert habe.
LikeGefällt 1 Person
Der Weg ist das Ziel
LikeGefällt 1 Person