von Dr. Florian Asche
Der kynische Philosoph Diogenes von Korinth galt als besonders bedürfnislos. Nicht umsonst soll er in einer Tonne gelebt haben. Eines seiner wenigen Besitzstücke war eine Wasserschale. Er zerbrach sie als er ein Kind aus der hohlen Hand trinken sah. Eines Tages dreht er sich auf dem Markt von Korinth im Kreis, lachte und stellte für sich fest: „Wie glücklich bin ich doch, so viele Dinge zu sehen, derer ich nicht bedarf!“ Als Alexander der Große nach Korinth kam, da wollte er die berühmte Bedürfnislosigkeit des Diogenes auf die Probe stellen und ihm versprach, jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Doch der Philosoph hatte nur eine Bitte: „Gehe mir aus der Sonne!“.
Das ist sehr lang her.
Wir hatten Familienjagdtag. Die Strecke ist verblasen und wir sitzen mit Freunden, Hundeführern und Treibern zu Hause am gedeckten Tisch. Den üblichen Mecklenburger Rippenbraten hat es gegeben, Sauerkraut und Klöße, der Jagdkönig ist gekürt und das Jagdgericht bereits abgehalten. Nun stehen die Schnapsflaschen auf dem Tisch und die Luft beginnt sich vom Zigarettenrauch zu sättigen. Nun verrinnen die Stunden, in denen wir uns noch ganz und gar im eigenen Biotop fühlen. Ich fühle mich wie in einer Burg, an der die Zugbrücke hochgeklappt ist. Wer an der Alster arbeitet, der lebt ja eigentlich nicht mehr richtig in Deutschland, sondern in einer internationalen, urbanen Wirtschaftszone, die früher einmal Hamburg hieß. Deutschland, dieses gemütlichkeitsgesättigte, etwas melancholische, warme Lebensgefühl der Heimat mit den seltsamen Ritualen, das gibt es nur noch abseits der Städte. „Heimat“ ist ebenso auf dem Rückzug wie ein Sternenhimmel, der nicht vom Lichtsmog vernebelt ist. Wenn man für Heimat ein neues Ministerium einrichtet, dann kann es mit ihr nicht allzu gut stehen.
Ich gehe kurz nach draußen, tanke ein Stück Dunkelheit mit einem Blick auf den großen Wagen und setze mich wieder an den Tisch, an dem die ersten Lieder angestimmt werden. Die Jagd, so heißt es immer wieder, soll ein elitäres Vergnügen sein, eine Sache für die Reichen. Und tatsächlich muss man nur einen Messerundgang in Dortmund machen, um zu sehen, dass für diesen Teil unseres Lebens eine Menge Geld ausgegeben wird. Klamotten, Jagdwaffen, Messer, Jagdpacht, Reisen, Hunde, Optik und Kleinmaterial sind Teil einer Branche, deren Gesamtumsatz sich innerhalb der letzten 25 Jahre auf 1,6 Milliarden EUR mehr als verdoppelt hat. Durchschnittlich gibt jeder Grünrock im Jahr zwischen vier- bis fünftausend Euro für die Jagd aus. Das entspricht beinahe dem Hartz IV Regelsatz. Wenn man sich überlegt, dass dieser Aufwand erst verdient und versteuert werden muss, dann lässt sich schon an eine Lebensgestaltung der Elite denken.
Doch nackte Zahlen drücken nicht alles aus. Wer ist wirklich reich, wenn es um die Jagd geht? Ist es der Eigenjagdbesitzer, der nur an einer Handvoll Wochenenden ins Revier kommt oder sein Jagdaufseher, der dort lebt und gestaltet? Ist es derjenige, der im Jahr aus einer Luxusbüchse fünf Schuss abgibt oder der Inhaber eines von unzähligen Dickungen verschrammten und am Lauf weißgescheuerten Repetierers? Ich schaue mich in der Runde um und bleibe an unserem eigenen Revierleiter hängen. Die ersten 500 Sauen hat er noch mit der blanken Waffe zur Strecke gebracht, dann bekam er seine Doppelflinte mit Brennecke. DDR-Geschichte. Unzählige Hunde sind durch seine Ausbildung gegangen vom Teckel, über den Drahthaar bis zum Hannoveraner. Mit der Falle jagt er genauso souverän wie am Bau oder hinter der Saumeute. Mancher Grünrock verfügt über ein Mehrfaches seiner Rente, doch in der Welt der Jagd sind das keine Größenordnungen. In der Welt der Jagd ist das Ziel das Erlebnis und die Währung, mit der wir bezahlen, ist die Zeit.
Hier ist auch die Frage von arm und reich, von Elite und Fußvolk eine ganz andere als in der Welt der „normalen Menschen“. Die großen Heldentaten begehen hier nicht diejenigen mit den dicken Brieftaschen. Beim Schlüsseltreiben wird darüber gesprochen, wie Peter den Keiler abfing oder Jens mit seinem Hund gerade noch rechtzeitig zum Tierarzt gekommen ist. Niemand spricht vom teuren Gewehr eines Jagdgastes. Man erwähnt es höchstens, wenn der dreimal damit vorbeigeschossen hat. Ich blicke mich um und stelle fest, dass ich einen Großteil meines Lebens viel zu angespannt beruflichen Erfolgen hinterherhetze, um viel zu selten meine Erlebnisse in der wirklichen Währung bezahlen zu können, der Zeit. Das wäre wahrer Reichtum.
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Der Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ist Vorstandsmitglied der Max Schmeling Stiftung und der Stiftung Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern.
Einem breiten Publikum wurde er bekannt durch seinen literarischen Überraschungserfolg über den göttlichen Triatlhlon: Jagen, Sex und Tiere essen (siehe: https://krautjunker.com/2017/01/04/jagen-sex-und-tiere-essen/& https://krautjunker.com/2017/09/19/sind-jagd-und-sex-das-gleiche/)
Website der Kanzlei: https://www.aschestein.de/de/anwaelte-berater/detail/person/dr-florian-asche/
Titelbild: Photo by Sorin Gheorghita on Unsplash
Autorenfoto: Dr. Florian Asche