Mittelsteinzeit, ein Leben im Paradies? Ein praktischer Versuch zur Archäologie der letzten Jäger, Fischer und Sammler im Norden Europas

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Buchvorstellung von Beate A. Fischer

Der Steinzeitpark Dithmarschen  – ca. eine halbe Autostunde entfernt von mir – hat mich ehrlich gesagt nie wirklich interessiert. Als das Rezensionsexemplar des Forschungsbandes zur Mittelsteinzeit auf dem Küchentisch lag, nahm ich mir vor, den Park zu besuchen.

Eines Samstag Morgens schnappe ich mir den Lebensabschnittsgefährten und wir machten uns auf den Weg nach Albersdorf. Als Zweitfrau eines mit Vor-Kindern gesegneten Mannes löst der Satz „Da war ich mit den Kindern mal“ eine gewisse Vorspannung aus, aber gut, wir fuhren zusammen dahin.

Auf der Fahrt las ich mich in das Buch ein und war von Seite zu Seite mehr fasziniert. Der vorliegende Band beschreibt das Experiment des Lebens einiger Wissenschaftler und Steinzeitbegeisterter als Steinzeitmensch  im Steinzeitpark Dithmarschen / Albersdorf in verschiedenen Projekten seit 2015. Seit 2017 wurde das Steinzeittreffen als europaweites Treffen umgesetzt. Bis zu 80 Menschen versuchen sechs Wochen lang wie Steinzeitmenschen zu leben und zu arbeiten. Ihr tägliches Leben bezieht sich auf Forschungs- und Ausgrabungsergebnisse wie auch auf tatsächliches Ausprobieren, was funktioniert und was nicht. Wir reden hier über das Leben von Menschen vor 10.000 bis 6.000 Jahren und das eine oder andere Werkzeug oder Kleidungsstück mag seitdem verloren gegangen sein. Ich finde das Vorgehen für einen extrem spannenden Ansatz der Museumspädagogik und vielmehr noch der Wissenschaft  – man geht davon aus, dass man nicht viel weiß über das Leben damals und deshalb probiert man es einfach aus.

Abb.: aus Buch fotografiert; Bildquelle: Beate A. Fischer
Abb.: aus Buch fotografiert; Bildquelle: Beate A. Fischer

Der Park ist umgeben von einem großen parkartigen Gelände, das teilweise mit extensiver Weidewirtschaft genutzt wird und teilweise von einem Märchenwald umgeben ist, in dem man sich steinzeitliche Jäger sehr gut vorstellen kann. 

Abb.: Umgebender Wald; Bildquelle: Beate A. Fischer

Auch während unseres Besuches zeigten Mitarbeiter des Museums das Ledergerben und die Herstellung von Pfeilspitzen aus Feuerstein in praktischen Vorführungen.

Abb.: Ledergerber; Bildquelle: Beate A. Fischer
Abb.: Flintsteinschnitzer; Bildquelle: Beate A. Fischer

Das sehr reich bebilderte Buch zeigt das praktische Probieren aller Lebensbereiche – von Jagd, Spurenlesen, Fischen, Sammeln, Nahrungszubereitung über Behausung, Bekleidung, Werkzeuge, Waffen, Boote bis hin zu Spiele, Kunst, Schmuck, Musik. Die kurzen Texte sind informiert und motivieren, dass manches selbst mal auszuprobieren.

Abb.: aus Buch fotografiert; Bildquelle: Beate A. Fischer
Abb.: aus Buch fotografiert; Bildquelle: Beate A. Fischer

Ein Thema, welches fehlt, ist der Tod. Wie sind die Steinzeitmenschen mit dem Tod umgegangen? Als wandernd herumziehende Jäger und Sammler hatten sie wahrscheinlich keine aufwändigen Grabstätten wie ihre sesshaften Nachfolger, mutmaßlich wurden ihre Toten verbrannt, um die Leichen vor Wildschweinen zu schützen. Auch die Frage, ob die Steinzeitmenschen Haustiere wie z.B. Hunde hatten, bleibt ungeklärt. Die Entwicklungsgeschichte des Hundes als Begleiter des Menschen beispielsweise nimmt bei einem ähnlichen Projekt im Raum Bonn einen breiten Raum ein.  

Abb.: Parkkarte aus Buch fotografiert; Bildquelle: Beate A. Fischer

Der Steinzeitpark zeigt Ausstellungsstücke der Jäger- und Sammlerkulturen wie auch den Anfängen der bäuerlichen Nutzung in der Jungsteinzeit. Man geht davon aus, dass die ersten Bauern vor 7000 Jahren aus Griechenland und Südeuropa eingewandert sind. Sie lebten zunächst neben den nordischen Jäger- und Sammlerkulturen und verdrängten diese durch Assimilation und Vertreibung innerhalb eines Zeitraumes von 1.000-2.000 Jahren. Ein Grund dafür war wohl eine langandauernde Warmzeit, die Ackerbau und Viehhaltung begünstigte.

Abb.: Ausstellung; Bildquelle: Beate A. Fischer
Abb.: Bogenfalle; Bildquelle: Beate A. Fischer
Abb.: Trichterfalle für Auerhuhn und Birkhuhn; Bildquelle: Beate A. Fischer

Der Konflikt zwischen Jägern und Sammlern und sesshaften Landnutzern ist ein uralter, der die Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden begleitet. Er bedrohte die Lebensform der nordischen Jäger und Sammler vor 6.000 Jahren genauso wie die San in der Kalahari. Großer Wildreichtum und dichte Wälder waren und sind – überall auf der Welt – Konkurrenten der Landwirtschaft.

Der Übergang von der wandernden zur sesshaften Lebensweise brachte die Möglichkeit der Akkumulation von Besitztümern mit sich, immerhin musste nicht alles ständig transportiert werden. Mit der Akkumulation kam auch die Ungleichheit der Menschen. Man geht davon aus, dass der persönliche Besitz der Steinzeitmenschen auf wenige Gegenstände wie Kleidung, Waffen und Werkzeuge beschränkt war. Der Sesshafte konnte mit Geschick und Nachdruck, Besitz erwerben und diesen in ökonomische Macht umwandeln.

Die These des Buches, die Steinzeit wäre vielleicht das Paradies gewesen, stützt sich zum einen auf die ökonomische Gleichstellung aller Gruppenmitglieder, als auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse über Gesundheitszustand und Lebenserwartung der Menschen. Dabei zeigt sich, dass die heute wieder in Mode gekommene „Steinzeit- oder Paläodiät“ mit viel Fisch, Fleisch sowie Obst und Gemüse der menschlichen Gesundheit deutlich zuträglicher ist als die getreidelastige Ernährung der Bauern.

Man darf jedoch bei aller Begeisterung für das naturnahe Leben der steinzeitlichen Blumenkinder nicht vergessen, dass neben den sozialen, ökonomischen und ökologischen Problemen, die mit der Sesshaftigkeit kamen, auch unsere heutigen Errungenschaften in Technik, Medizin und Kultur erst durch die Sesshaftigkeit ermöglicht wurden.

Der Autor – selbst Museumspädagoge im Steinzeitpark – macht keinen Hehl aus seiner persönlichen Sympathie für die Lebensweise der Steinzeitmenschen in Nordeuropa. Ob das Buch allen Kriterien der Wissenschaftlichkeit standhält, vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist eine spannende, didaktisch gut aufbereitete Lektüre für Laien und Steinzeiteinsteiger. Und; der Spaziergang durch den Steinzeitpark lässt mit dem Buch in der Hand, den Spaß der Projektteilnehmer lebendig werden – denn; Selbst erleben bringt Erkenntnisgewinn. Dem Lebensabschnittsgefährten und mir hat beides gefallen, dieses erfreulich praktische kleine Büchlein und auch der sich ständig weiter entwickelnde Park mit vielen Besuchern.

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KRAUTJUNKER-Kommentar: Der Titel Mittelsteinzeit, ein Leben im Paradies? bezieht sich wohl auf die Ausstellung Eiszeitjäger – Leben im Paradies (siehe: https://landesmuseum-bonn.lvr.de//de/ausstellungen/archiv/eiszeitjaeger/eiszeitjaeger_1.html).

Aus dem Begleitband zur Ausstellung finden sich ebenfalls mehrere Beiträge auf dem Blog:
https://krautjunker.com/?s=eiszeitj%C3%A4ger+-+leben+im+Paradies

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KRAUTJUNKER-Rezensentin:

Beate A. Fischer, geboren 1973, Jägerin seit 6 Jahren, Hundeführerin – verliebt in einem Vizsla sowie Co- und Stiefmutter eines Fox, schießt leidenschaftlich gern Jagdparcour und Flugwild, außerdem hat sich die afrikanische Sonne in ihr Herz gebrannt. Sie lebt im kühlen Nordfriesland auf einem Resthof, arbeitet als Rechtsanwältin und schreibt manchmal auch mal andere schöne Texte. 

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille…

Titel: Mittelsteinzeit, ein Leben im Paradies? Ein praktischer Versuch zur Archäologie der letzten Jäger, Fischer und Sammler im Norden Europas

Autor: Werner Pfeifer

Verlag: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft

ISBN-13: 978-3898769730

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Besuchsempfehlung

Steinzeitpark Dithmarschen
https://steinzeitpark-dithmarschen.de/

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Carsten Bothe sagt:

    Toller Text, macht Spaß zu lesen, ich werde mir das Buch bestellen. Ich bin selber Anthropologe und habe früher selber experimentelle Archäologie betrieben. die Toten wurden bestattet, also Körpergräber, Einäscherungen kamen erst viel später. Die Beigaben zeugen von einem Glauben an ein Leben nach dem Tode. Die Nahrung haben – so zeigen Vergleiche zu heutigen Wildbeuterkulturen – zu 80 % der Kalorien die Frauen beigesteuert, die Männer nur zu 20 %. Dann allerdings das hochwertige und begehrte Fleisch und noch wichtiger das Fett. Die gesamte tägliche Arbeitszeit betrug nur etwa 4 Stunden (Vier!) am Tag. Sicherlich paradiesische Verhältnisse, bis der Höhlenbär unangemeldet vorbeischaute.

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