Aromen – Das Kochbuch

Buchvorstellung von Christoph Stumpf

Wenn bei uns zuhause von der Küche aus die Aromen von Bockshornkleesamen, Mandarinenöl oder Zimtkassie durch das Haus wabern, dauert es meist nicht lange, bis ein Familienmitglied in die Küche schaut und mit misstrauischem Blick und rümpfender Nase fragt: „Ist heute Experimentiertag?“ In der Regel ist meine Familie von solchen „Experimenten“ wenig begeistert. Freilich verstehen sie unter „Experiment“ vor allem ein manifestiertes Übermaß an Innovationsfreude. Bisweilen gibt es aber bei uns auch kulinarische Versuche, die gelingen: die werden dann aber nicht als „Experiment“ bezeichnet.

Das Eintreffen des hier vorstellenden Buches Aromen – Das Kochbuch von Heiko Antoniewicz wurde von meiner Familie folglich nur mit gedämpften Jubel quittiert. Tatsächlich lag die Überlegung nahe, seine Existenz im kulinarischen Teil unserer Bibliothek überhaupt zu verschleiern – das ist freilich auf die Dauer unmöglich, wenn man ein Praxistest durchgeführt werden soll. Um das Ergebnis vorwegzuschicken: Letztendlich wurden zwar manche Testtage in den Augen meiner Familie durchaus zu „Experimentiertagen“, durchaus aber nicht alle.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Regelmäßigen Zuschauern von Fernsehkochsendungen (zu denen sich der Autor dieser Zeilen nicht rechnet) wird Heiko Antoniewicz bereits ein Begriff sein, beispielsweise als Vorreiter der Molekularküche und Schöpfer avantgardistischen Fingerfoods. Aufmerksamen Konsumenten dieses Blogs wird er spätestens seit seiner Mitwirkung – neben Ludwig Maurer – an dem hier bereits rezensierten Wilden Wald bekannt sein. Allein dieser Umstand sollte auch dem hier im Fokus stehenden Werk die geneigte Aufmerksamkeit des hiesigen Publikums sichern.

Das hier zu betrachtende Werk ist 2021 erschienen in München bei Dorling Kindersley – kurz: DK. Es umfasst insgesamt 238 Seiten, einschließlich Rezepten und zahlreichen Bildern, die jeden Amateur mit einer Mischung zwischen Bewunderung und Neid zurücklassen.

Bildquelle: Dorling Kindersley Verlag

Nach einem Vorwort führt der Autor zunächst einmal in die Grundlagen der Geschmackskunde und Aromenkombinationen ein und vermag hier auch erfahreneren Amateurköchen durchaus eine Vielzahl neuer Erkenntnisse zu vermitteln; insbesondere wirbt er für ein Erlernen von Aromen im Selbstversuch. Der einführende Teil schließt mit 22 Grundrezepten, etwa für verschiedene Fonds, Vinaigrette, Öle, aber auch Ciabatta. Der Schreibstil von Antoniewicz ist angenehm und klar, er vermeidet oberlehrerhafte Gebrauchsanweisungen ebenso wie eine Unterforderung mit Banalitäten.

Der Hauptteil untergliedert sich in Abschnitte für Gemüse, für Fisch, für Fleisch und für Frucht. Der Abschnitt Gemüse weist 25 Rezepte auf, wobei Gemüse bei diesen Rezepten zwar die Hauptrolle spielt, hierin aber beispielsweise auch Sardellen und Speck verwendet werden. Beispiele für phantasiereiche Aromakombinationen finden sich in den Zucchinischiffchen mit Dattel-Ziegenkäse, Baharat-Speck und Portweinkaramell oder im Sardellenrisotto mit Parmesan, Urkarotten und Haselnüssen.

Hieran schließt sich der Abschnitt Fisch mit 23 Rezepten an, die Meeres- ebenso wie Binnenfische, Fischkaviar, Schalentiere und Oktopus abdecken; auch hier wird bisweilen Fleisch als Zutat verwendet, etwa im Speck-Tee-Fond mit Süßkartoffel und Kabeljau, im Pochierten Seebarsch mit Melisse, Hühnerfond und Senfgemüse oder im Schellfisch lackiert, Wan Tan mit Blutwurst und Majoran. Weitere Beispiele für die aromatische Weitherzigkeit der Rezepte sind Schokoladenschaum mit Erdbeertatar und Forellenkaviar oder Oktopus mit Kumquatkompott und rotem Mangold.

Hierauf folgt der Abschnitt Fleisch mit 28 Rezepten. Insoweit ist hier vor allem auf die Gerichte hinzuweisen, die den Einsatz von Wildbret voraussetzen oder zumindest anbieten, etwa der Hirsch mit Olivencreme, Brokkoli und gerösteten Pecannüssen, der Kaninchenrücken, gefüllt mit Bohnenragout und Zimtblüte, Petersilienwurzel mit Senf und gebratener Entenbrust oder das Hirschfilet mit Garam Masala auf geröstetem Reis.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Der Rezeptteil wird abgeschlossen durch den Abschnitt Frucht mit 13 Rezepten. Hierin finden sich beispielsweise Rezepte für Porcini mit grünem Apfel auf Mandelwirsing und Burrata oder für Gegrillte Ananas und Kürbis, Kürbiskerne, Kakaovinaigrette.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Die Rezepte sind durchweg herausfordernd, aber – mit etwas Erfahrung und gut sortierter Vorratshaltung – machbar. Letztendlich wird hier kein höherer Aufwand verlangt als beispielsweise für ein typisches Gericht aus einem Ottolenghi-Kochbuch. Im Praxistest stießen einige der Gerichte, wie etwa die Geschmorte Entenkeule mit Schokolade und Szechuanpfeffer bei meiner Familie auf begeisterte Reaktionen. Bisweilen stellen einen aber die vorgeschlagenen Garzeiten vor Rätsel: Im Rezept Weiße Schokolade, Kardamom und Hähnchen soll man beispielsweise Hühnerbrustfilets 20 Minuten lang in einem »Sud« (der nie Siedetemperatur erreicht) bei 65° Celsius ziehen lassen, bevor man sie herausnimmt und in längliche Stücke zupft. Selbst wenn man einmal die Diskussion um angemessene Gartemperaturen für Geflügel vor dem Hintergrund eines Salmonellenrisikos beiseitelässt und es tatsächlich mit dem Bratenthermometer schafft, die Flüssigkeit dauerhaft in einer Bandbreite von 60° bis 70° Celsius zu halten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man am Ende rohe Hühnerbrust mit leicht angegarter Oberfläche vor sich hat. Im Rezept Gambas, Quitte, Tomate, Kichererbse ist dagegen für die Gambas eine Garzeit von zwanzig Minuten vorgesehen, was doch manch einem ein wenig exzessiv erscheinen mag.

Bildquelle: Christoph Stumpf

Die wirkliche Freude an den Rezepten des Buches und den hinter ihn stehenden Konzeptionen stellt sich – jedenfalls nach eigener Wahrnehmung – vor allem dann ein, wenn man sich von einer buchstabengetreuen Befolgung der Rezeptvorgaben löst, den von Heiko Antoniewicz selbst angeregten Experimentiergeist walten lässt und sich hierbei auch auf eigene Intuition verlässt. Wenn man beispielsweise im Rezept Gambas, Quitte, Tomate, Kichererbse nicht – wie im Rezept vorgesehen – Quittenstücke mit einer Chilischote im Apfelsaft koch, sondern umgekehrt Apfelstücke mit einer Chilischote im Quittensaft ziehen lässt, ergibt sich eine außerordentliche reizvolle Kombination zwischen Apfel und Quitte mit einer spürbaren scharfen Note. Ähnliche Erlebnisse stellten sich bei Kombinationsversuchen mit Limettenöl, Kaffee und Schokolade ein.

Bildquelle: Dorling Kindersley Verlag

Hilfreich sind auch die in den Rezeptteil eingestreuten fünf Aromenportraits und Tastings, namentlich von Kaffee als Allrounder, Bitter: Rosmarin, Salzig: Sojasauce, Süß: Petersilienwurzel und Sauer: grüner Apfel.

Das Buch wird abgeschlossen von einem Register. Dieses macht allerdings gelegentlich einen eher unvollständigen Eindruck: So findet sich beispielsweise zwar unter dem Stichwort Hähnchen auch eines der Rezepte, das unter dem Stichwort Poularde gelistet ist, das zweite Poulardenrezept aber nicht; auch weitere Rezeptaufzählungen unter anderen Stichwörtern, wie etwa Spargel, sind unvollständig. Aber das ist ein vernachlässigenswerter Mängel.

Bildquelle: Dorling Kindersley Verlag

Insgesamt handelt es sich bei Aromen um ein sehr reizvolles und inspirierendes Kochbuch für ambitionierte Köche, die an Zubereitungen mit Geduld, Zeit und Mut herangehen. Es ist nichts für ungeduldige Menschen, die beim blinden Befolgen von Kochanweisungen geschmackliche Offenbarungen erwarten, oder die von vornherein nur schmecken wollen, was sie bereits kennen. Mit einem Mindestmaß an Experimentierbereitschaft – und hinreichend toleranten Tischgenossen – kann dieses Buch große Freude bereiten.

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Christoph Stumpf

Prof. Dr. Dr. Christoph Stumpf ist Jurist und Theologe. Ursprünglich aus Franken stammend, ist er inzwischen mit seiner Familie, Hunden und Pferden nördlich der Elbe ansässig geworden. Beruflich ist er als Anwalt tätig, in seiner Freizeit befasst er sich mit Kirche, Küche und Kindern.

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Outdoor-Becher aus Emaille. Die Kontaktmail für Anfragen befindet sich im Weblog-Impressum.

Titel: Aromen – Das Kochbuch

Autor: Heiko Antoniewicz

Verlag: Dorling Kindersley Verlag GmbH

Verlagslink: https://www.dorlingkindersley.de/buch/heiko-antoniewicz-aromen-das-kochbuch-9783831040094

ISBN: 978-3-8310-4009-4

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