Rezeptvorstellung
Austern-Sammeln im Wattenmeer, was für ein Fest! Besonders nach einem Jahr voller außergewöhnlicher Verbote, die sich aus der Corona-Pandemie und privaten kraftraubenden Herausforderungen ergaben. Meine ohnehin große Vorfreude steigerte sich sprunghaft, da dieses Mikro-Abenteuer mehrfach verschoben werden musste. Ein gemeinsames Wochenende für Menschen in den „besten Jahren“ zu organisieren, erfordert die Frustrationsschwelle eines Sonderpädagogen. Familiäre Pflichten, Bandscheibenvorfälle und berufliche Termine lassen zu wenig Luft für Eskapismus.

Die verlockende Aussicht gefragte Delikatessen auf dem sonnenbeschienen Meeresgrund zu sammeln, der einst als Doggerland den Eiszeitjägern als legendäres Jagdrevier diente und später am Lagerfeuer auf ein halbes Dutzend verschiedene Rezepte zu probieren, hielt mich bei der Stange. Weil es direkt vor unserer Haustür liegt, vergessen wir zu oft, was für eine außergewöhnliche Landschaft die Nordsee ist.

Alexandre Dumas, Autor von Romanen wie Die drei Musketiere, hielt Austern für von der Natur stiefmütterlich behandelte Weichtiere. Schlaf sei ihr einziger Sport und Fressen ihre einzige Freude, konstatierte er lakonisch. Dabei klären Austern stündlich fünf Liter Meereswasser, wenn sie ihre Nahrung aus dem Wasser filtern. In Masse können sie felsartige Riffe bilden und dabei den Meeresboden festigen. Die Küsten Nordeuropas umrahmten mächtige Austernbänke. Sie waren die Korallenriffe des Nordens. Vielleicht waren die heute grauen Fluten einst durch Austern kristallklar gefiltert?

Im fischverrückten antiken Griechenland (siehe: https://krautjunker.com/2016/06/21/kurtisanen-und-meeresfruechte-die-verzehrenden-leidenschaften-im-klassischen-athen/) galten Austern als Vorspeise. Die Römer schätzten die Austern noch mehr als Delikatesse. Ein gutes Diner war ohne diese Schalentiere nicht denkbar, wobei man sie zumeist entweder auf Eis oder mit Garum gewürzt servierte. Laut Gaius Crispus Sallust (* 86 v. Chr. in Amiternum, † 35 v. Chr.), der über Cäsars Britannienfeldzüge berichtete, waren Austern der einzig wertvolle Besitz der armen Briten. Angeblich zogen die Römer die britischen Austern denen der eigenen Küsten vor.

Der berühmte Schlemmer Marcus Gavius Apicius (* um 25 v. Chr.; † vor 42) welcher sich das Leben nahm, nachdem er 100 Millionen Sesterzen für die Küche verschwendet hatte und ihm nur noch 10 blieben (Stand 2015 umgerechnet 20 Millionen Euro) hatte angeblich einen Weg gefunden, Austern zu konservieren. Dies faszinierte seine Mitmenschen noch mehr als die Tatsache, dass er Schweine mit Feigen mästete, um besonders appetitliche Lebern genießen zu können. Kaiser Trajan (*53; † 117) ließ sich seine Austernportionen sogar in mit Eis und Meerwasser gefüllten Amphoren in sein persisches Heerlager senden. Auch in römischen Kastellen auf dem Boden Germaniens fand man Austernschalen.

Vom Mittelalter bis ungefähr 1800 waren Austern ein Arme-Leute-Essen. Je ärmer man war, umso mehr Austern kamen in die Pastete, um den Fleischmangel auszugleichen. Die preiswerten Proteinbomben, fettarm, vitamin- wie mineralstoffreich, galten in England mit Stout, einem obergärigen, schwarzen Bier, als Snack fürs Volk. In seinen Pickwick Papers (1836) schreibt Charles Dickens: „Es ist bemerkenswert, dass Armut und Austern immer zusammengehören.“ In London verzehrte die Bevölkerung im Jahr 1864 angeblich 700 Millionen Austern.

Lange dachte man, das Meer sei unerschöpflich, doch diese maßlose Überfischung konnte nicht lange gut gehen. Die Austern wurden seltener und kostbarer, schließlich eine Delikatesse fürs große Portemonnaie. Zur Lebenszeit von Alexandre Dumas stieg ihr Preis von 60 Centimes das Dutzend auf einen Franc dreißig, ohne dass es seinerzeit den durch Geldschöpfung aus dem Nichts bedingten Währungsverfall gab, unter dem wir heute leiden.
Die Form und das Aroma der Auster wecken bei vielen Männern Assoziationen mit dem weiblichen Intimbereich.

Bereits in der Antike hatten Austern den Ruf sexueller Appetitanreger. Schließlich wurde die griechische Liebesgöttin Aphrodite, von der sich das Wort Aphrodisiakum ableitet, in einer Muschel geboren. In den Stillleben des Barocks, die voller Symbole stecken, verweist die Auster auf Sexualität. Ludwig XIV. (* 1638 i; † 1 1715) verschlang vor seiner Hochzeitsnacht mit Maria Theresia von Spanien ganze 400 Stück Austern. Der französische Generaloberst von Paris Andoche Junot (*1771; † 1813) soll sich allmorgendlich mit 300 Austern gestärkt haben. Casanova gönnte sich täglich 50 Stück. Das Appetit Lexikon von 1894 empfahl dem wahren Kenner „nie über 60, höchstens 72 Stück hinaus“ zu gehen.
Seinerzeit lebte in der Nordsee nur die Europäische Auster (Ostrea edulis). Gesammelt haben wir jedoch die invasive Pazifische (Magallana gigas), um der Natur selbstlos zu dienen. Ursprünglich wurden diese schmackhaften Mollusken an der Küste der japanischen Hauptinsel Honshu gezüchtet. Heute zählen sie zu den 12.000 gebietsfremden Pflanzen- und Tierarten, welche seit Ende des 15. Jahrhunderts durch Menschen eingeschleppt wurden. Die 10 bis 15 Prozent, welche die Artenvielfalt oder die Land-, Forst- oder Seewirtschaft bedrohen, gelten als invasiv. Die Menschheit sei viel zu sehr auf den Klimawandel fokussiert, klagte der berühmte Soziobiologe Edward Wilson. Er schätzt, dass auf unserem blauen Planeten rund zehn Millionen Arten von Algen, Pflanzen, Pilzen und Tieren existieren. Vor dem Siegeszug der Menschheit verschwanden grob geschätzt zehn Arten pro Jahr. Mittlerweile sind es vermutlich tausend bis zehntausend und es geht immer schneller. Sobald die Schwelle von zehn- bis hunderttausend erreicht wird, kollabieren Ökosysteme und dann wird es auch kritisch für die Ernährung der Menschen. Für Edward Wilson steht die Bedrohung durch invasive Arten direkt hinter dem Abholzen des Regenwaldes.
Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) zählt übrigens die Hauskatze zu den 100 Worst Invasive Species, also den schlimmsten invasiven Arten. Die Jura-Professoren Han Somsen und Arie Trouwborst von der Universität Tilburg verurteilen unbeaufsichtigte Katzen-Streifzüge unter Berufung auf die internationale Biodiversitätskonvention von 1992, die Vogelschutzrichtlinie der EU und die Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“ als illegal. Nach Ansicht der Rechtswissenschaftler stünden alle EU-Staaten in der gesetzlichen Pflicht notfalls Katzen bejagen zu lassen. Hauskatzen bedrohen den Bestand von weltweit 367 Arten und waren an der Vernichtung von bisher 40 Vogel- und 21 Säugetierarten maßgeblich beteiligt. Selbst wenn sie für die erfolgreiche Jagd zu ungeschickt sind, reicht ihre bloße Anwesenheit, Vögel in Stress und Panik zu treiben. Diese vernachlässigen die Pflege ihrer Brut, welche unter niedrigeren Überlebenschancen leidet.
Bitter ist es, wenn invasive Arten in neuerer Zeit bewusst eingeführt werden. Die Pazifische Auster wurde im Auftrag der deutschen Regierung angesiedelt, nachdem zuvor die Bestände der Europäischen Auster in den 1960er Jahren erst durch Überfischung und Umweltverschmutzung schwanden und schließlich ein besonders harter Winter zum Zusammenbruch führte. Doch auch von Frankreich und den Niederlanden breitete sich die Art aus.
Die Gelehrten streiten sich, ob die Pazifische Auster nun so bedrohlich wie der Waschbär oder einfach nur eine vitalere Version der Europäischen Auster ist. Schließlich wurde die Sandklaffmuschel vor tausend Jahren von den Wikingern mitgebracht und gilt mittlerweile als einheimische Art. Vielleicht sollten wir die romantische Vorstellung einer unberührten Wildnis zugunsten des komplexeren Bildes eines globalen, halbwilden Gartens aufgeben…
In unserem Fall standen in den halbwilden Gärten mit Weingläsern und Austern bedeckte Tische. Frisches Essen an der Küste unter der Sommersonne, was für ein Glück! Für die ersten Austern bei Axel brauchte ich noch recht lange und zur Sicherheit einen Stahlhandschuh, danach ging es flotter und auch mit Handtuch.

Die ersten Austern schlürften wir roh mit Zitronensaft und leckerem Weißwein zur Begleitung. An einem Fischrestaurant oder Büdchen hat mich das bisher nie so überzeugt, aber jetzt hatte ich Feuer gefangen.

Später am Abend bei Beate hatte ich die Gelegenheit fröhlich weintrinkend einen Großteil der Beute zu öffnen, während im Haus Beate und Luisa ein halbes Dutzend Rezepte aus The Øyster King Cookbook vorbereiteten.


Es war ein ganz unvergesslicher und sehr genussreicher Abend bei Beate, bei dem wir in froher Runde Austern a là Française, Tabasco-Austern, Austern Priapos, Wattenmeer Ponzu Austern mit Queller, Austern Rockefeller und Austern Wassard und Austern Ceviche verspeisten.


Ganz besonders begeisterte mit das Rezept mit Ponzu und Queller…
Wattenmeer Ponzu Austern mit Queller

Zutaten für 4 Personen
12 frische Austern
frischer Ingwer
50 g Forellenkaviar
200 ml japanische Sojasauce
1 EL Yuzu- oder Limettensaft
1 EL Zitronensaft
6 EL Mirin
6 EL süßer Reiswein-Essig
4 TL brauner Zucker
1 EL Sesamöl
1 Bund frischer Queller
Zubereitung
Den Ingwer in sehr feine Streifen schneiden und im Sesamöl golden anbraten.
Die restlichen Zutaten (bis auf die Austern, den Ingwer und den Forellenkaviar) für die Ponzu mischen.
Die Austern öffnen, lösen und in den tiefen Schalen belassen. Auf jede Auster einen Esslöffel der Ponzu geben und mit einem halben Teelöffel des Forellenkaviars sowie dem gebratenen Ingwer garnieren.
Sofort servieren.
Von dem Queller (lat. Salicornia europaea), auch Küsten- oder Meeresspargel genannt, war ich so angetan, dass es mich wie einen Verbrecher an den Tatort zurücktrieb, um die fleischigen, Stängel zu zupfen. Das Küstengemüse wächst wild in den Salzmarschen der meisten mitteleuropäischen Küsten. Beim Ernten sollte man darauf achten, die Pflanzen nicht zu entwurzeln. Queller ist von saftiger, geradezu fleischiger Konsistenz und schmeckt knackig herb. Zu Hause dachte ich mir ein japanisch inspiriertes Salatrezept mit Ponzu aus, ebenfalls eine Entdeckung am Wochenende.

Queller Salat mit Sesam und Ponzu

Zutaten für 4 Personen
600 g frischer Queller
4 EL Ponzu
4 EL Sesamöl
4 EL Reisessig
4 EL Sesamkörner (weiß, geröstet)
Salz und Pfeffer
Spritzer Agaven-Dicksaft
Zubereitung
Queller waschen (mühsamer als gedacht, da mit kleinen Algen bedeckt).
Ponzu, Sesamöl und Reisessig mischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Zum Schluss ein Spritzer Agaven-Dicksaft hinzufügen.
Den Queller mit der Marinade vermischen und mit gerösteten Sesamsamen bestreuen.
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Da in der KRAUTJUNKER-Facebookgruppe viele begeisterte Kunden von Petromax (siehe: https://www.petromax.de/) sind und ich selbst seit einem grandiosen Outdoor-Kochkurs bei Carsten Bothe von Venatus (siehe: https://krautjunker.com/2017/06/05/dutch-oven-kochkurs-bei-venatus/) viel Freude mit meinem Petromax Dutch Oven habe, erhielt ich zum Testen eine Petromax Kühlbox kx25. Mit Kühlelementen auf Niedrigtemperatur gebracht, konnte ich in der Kühlbox jede Menge der kostbaren Delikatessen ohne Elektrizität sicher und kühl nach Hause transportieren, wo das Schlemmen weiterging…

Alles in allem ein absolut gelungenes Wochenende, auf dessen Fortsetzung ich mich schon freue! Nochmals besten Dank an die liebenswürdigen Gastgeber und Begleiter Beate, Axel und Michael!
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe und Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: The Øyster King Cookbook
Autor: Jesper Danneberg Voss u. Colin John Seymour Jr.
Verlag: SPLENDID PAPERS
ISBN: 978-3964432100
Mehr aus The Øyster King Cookbook: https://krautjunker.com/?s=The+%C3%98yster+King+Cookbook
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