von Moritz Rott
In meiner Familie gibt es außer mir keine Angler. Keinen Vater, Opa oder Onkel, der mir das Angeln hätte ans Herz legen können. Dennoch hat mich der Angelvirus infiziert. Schon immer hat mich die Natur begeistert. Ich wollte sie nicht nur anschauen und in ihr herumrennen, ich wollte sie spüren. In ihr »jagen« und sie so entdecken. Als Kindergartenkind watschelte ich im Familienurlaub mit meiner roten Schubkarre über die Felder und sammelte tonnenweise Schnecken. Als Grundschüler verbrachte ich ganze Urlaubstage auf den Wellenbrechern der Nordsee und fing Krebse mit einer an einem Bindfaden befestigten und mit Garn garnierten Büroklammer. Im Alter von 13 Jahren fing ich im Italienurlaub meinen ersten Minifisch mit einer echten Angel. Spätestens ab diesem Erlebnis gab es für mich kein Zurück mehr. Da es in meiner Familie keine Angler gibt, habe ich sehr viel vom Wissen und von den Kenntnissen älterer Angler aus meinem Umkreis, zum Beispiel aus dem Angelverein in der Nähe meines Wohnortes, profitiert. Später habe ich dann mein Wissen mit jüngeren Anglern geteilt, die mittlerweile auf Jugendveranstaltungen auch schon die einen oder anderen Tipps weitergeben. Auch das ist für mich ein Inbegriff von Tradition – das generationsübergreifende Weitergeben und Teilen von Informationen.
Doch Angeln hat nicht nur für mich und mein Umfeld eine mittlerweile recht lange Tradition. Wie man an den typischen urigen, scheinbar steinalten Männern mit den Cordhosen und den mit Blinkern bestückten Förstermützen erkennt, gibt es das Angeln oder besser gesagt das Fischen beinahe so lange, wie es Menschen gibt.
Traditionen sind in der heutigen multikulturellen, globalen Welt häufig verpönt, gelten als altbacken und zukunftsfeindlich. Natürlich bedienen Traditionen mitunter das ein oder andere Klischee. Sie sind aber gleichzeitig Teil unserer Geschichte und bewahren damit ein kulturelles Erbe. Das gilt ganz besonders für das Angeln. Das Jagen und Fallenstellen scheint dem Menschen einfach im Blut zu liegen. Ich habe erst wenige Kinder am Wasser erlebt, die vom Fischefangen nicht begeistert gewesen wären. Wohl jeder von uns kann sich daran erinnern, wie er mit Begeisterung auf der Gartenwiese Schnecken und Würmer sammelte, am Teich Fröschen und Kaulquappen nachjagte oder an der Nordsee Krabben und Garnelen mit dem Kescher fing. Nicht, um diese zu verspeisen, sondern einfach, weil es irgendwie aufregend und interessant war.
In den letzten Jahren passt sich der Angelsport den Gegebenheiten der Moderne zunehmend an. Das zuvor beschriebene Klischee vom typischen Angel-Opi trifft man immer seltener am Wasser und meist nur noch im Vereinslokal an. Dort kann man dann den Geschichten der guten alten Zeit lauschen, als echte Männer ohne modernen Schnickschnack quasi mit bloßer Hand Meterhechte am laufenden Band aus dem Wasser zogen. In den einschlägigen Gaststätten findet man noch heute Vitrinen mit Angelpokalen und Fischtrophäen an den Wänden. Heute hält Hightech Einzug in den Angelsport. Fische werden nicht mehr ausgestopft, sondern fotografiert oder gefilmt. Angelruten sind nicht mehr aus Bambus, sondern aus Kohlefaser. Für die Angler der neuen Generation ist Angeln vor allem Sport und Naturerlebnis, der Nahrungserwerb gerät immer mehr in den Hintergrund. Das Abenteuer in der freien Natur steht im Fokus. Das auch deshalb, weil der Kontakt von Mensch und Natur immer seltener wird und für viele leider nicht mehr selbstverständlich ist. Tiere kennt man als Haustiere oder als Wurst, Golfplätze werden mit Natur verwechselt und der Gedanke, unter freiem Himmel schlafen zu müssen, löst bei vielen regelrechte Angstzustände aus. Es gibt immer weniger Möglichkeiten, Natur bewusst zu erleben. Angeln schlägt hier eine Brücke als Tradition des Menschseins. Wer einen Fisch fängt, hat sich als echter Jäger und Sammler bewiesen und ist nicht unbedingt von Supermärkten abhängig. Die Entscheidung, einen Fisch zu töten und anschließend zuzubereiten und zu verspeisen, ist natürlich herausfordernder als eine Bestellung im Fastfoodrestaurant. Wer über Stunden oder Tage am Wasser haust, muss mit Zelt und Schlafsack dem Wetter trotzen und sich mit echtem Feuer und ganz ohne Mikrowelle eine Mahlzeit zubereiten sowie mit der Erkenntnis zurechtkommen, dass eine Nacht in der Kölner Innenstadt nichts mit echter Dunkelheit in der Natur zu tun hat.
Aus meiner Sicht ist Angeln daher eine Tradition, die es aufrechtzuerhalten gilt. Eine Tradition, die uns an unsere Wurzeln erinnert. Das hat auch nichts mit antiquiertem und barbarischem Verhalten zu tun. Es geht darum, mit der Natur und unserer Umwelt zu leben und für sie Verantwortung zu übernehmen. Die Technik mag sich ändern. Ebenso die Frage, ob man den gefangenen Fisch nun später isst oder nicht. Doch was stets bleibt, ist der »Spirit«, die Seele und Essenz des Angelns. Wir Angler wollen und wollten schon immer eins: Fische fangen und Natur erleben.
Schon jetzt freue ich mich, irgendwann einmal mit meinen Kindern in die Natur hinauszuziehen und sie für unser wunderbares Hobby zu begeistern und damit eine neue Familientradition zu begründen.
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Anmerkungen
Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe.
Titel: 111 Gründe, angeln zu gehen: Das große Glück am kleinen Haken
Autor: Moritz Rott
Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-86265-453-6
Verlagslink: http://www.schwarzkopfverlag.net/store/p804/111_GR%C3%9CNDE%2C_ANGELN_ZU_GEHEN.html
Weiterer Beiträg aus dem Buch:
https://krautjunker.com/2016/11/21/der-8-grund-zu-angeln-weil-es-philosophie-ist/
https://krautjunker.com/2016/11/03/der-40-grund-zu-angeln-weil-es-ein-leben-lang-gluecklich-macht/
Weblinks zum Autor Moritz Rott:
https://www.carp-sounder.de/team/supporter/moritz-rott/
http://www.carpzilla.de/mag/60-sekunden-mit/60-sekunden-mit-moritz-rott-585.html
https://www.facebook.com/moritz.rott.71
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Das Foto ist weder aus dem Buch noch vom Autor, sondern zeigt Mitch Keil am Ufer des Saltstraumen bei Bodø. Der Saltstraumen ist der stärkste Gezeitenstrom der Welt und befindet sich in Norwegen nördlich des Polarkreises. Der 106 cm Dorsch in seinen Armen ist nicht sein dickster Fisch, aber dafür trägt er seine schönste Mütze.
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