Buchvorstellung
Die Kirche des evangelischen Diakons Udo Schroeter ist die Küste der dänischen Küste Bornholm und die Gemeinde von Männern, die sich um ihn schart, nennt sich »Der Stamm«. »Jedes Jahr kommen Neue dazu; einige sind seit vielen Jahren dabei.«
Sie machen sich zu ihm auf, da sie ihr Leben als unbefriedigend und zermürbend empfinden. Unerreichbaren Vorgaben, unzufriedene Kunden, volle Terminkalendern lassen sie einen Kontrollverlust über ihr Leben erleiden. Wann ist es Zeit, aufzuhören? Immer muss noch eine E-Mail beantwortet oder ein Angebot abgegeben werden. Die Männer haben verlernt, sich selbst zu führen und auf sich aufzupassen, bis sie schlussendlich zu Boden gehen.
Schroeter predigt als Therapie gegen die hohe Schlagzahl eines digitalisierten und globalisierten Berufslebens das Brandungsangeln. In Ein Mann, ein Meer – entdecke den Jäger in dir beschreibt er, die Philosophie und den Ablauf einer Woche seines Basic-Seminars, welches man für aktuell 1990,- Euro inkl. Verpflegung, Unterkunft, Watbekleidung und Angelgerät – exkl. Anfahrt (siehe: https://udoschroeter.com/infos-seminare/) bei ihm buchen kann.
Gemeinsam errichten sie am Ostseestrand ein Lager,entzünden und unterhalten ein Feuer, machen Beute und bereiten sie zu, probieren Neues, entdecken Heilsames und erzählen Geschichten. Bis auf die selbstgefangenen Fische ist die Ernährung vegetarisch und zuckerfrei. Wie ausschweifend erscheinen im Vergleich hierzu die Zeiten, von denen Funny van Dannen in seinem Lied Junge Christen sang.
»Ja wir sind auf Achse von früh bis spät.
Ja wir sind auf Achse bis die Welt vergeht.
Mit Fanta und mit Butterkeks.
Ja, wir sind junge Christen unterwegs.«
Also keine zuckrige Limonade oder gar Kekse aus Butter und Zucker. Alkohol ist natürlich auch tabu. Mit der Bibel in gerechter Sprache bin ich nicht vertraut, vermute jedoch, dass die zahlreichen Nennungen von Wein durch Fair-Trade-Kräutertee ersetzt wurden. Zuckerfrei.
Zurück bleiben Terminkalender, Mobiltelefone, unnötiges Outdoor- und Angel-Getakel. Diese Entscheidung zur Einfachheit soll für Männer, die in ihrer alltäglichen Welt Raum und Übersichtlichkeit verloren haben, Struktur schaffen und die Frage beantworten, was man zum Glücklichsein braucht, mal abgesehen von Wein.

Ziel ist es, sich den Kernfragen des Lebens zu stellen:
»Wer bin ich wirklich?
Bin ich mir im Augenblick selbst treu?
Wofür brenne ich?
Was trägt mich?«
Insbesondere »die Jagd«, wie Udo Schroeter das Brandungsangeln nennt, soll zu einer spirituellen Erfahrung werden, denn sie kultiviert seine Vorstellungsgabe. Sie ist es,die einen Jäger auszeichnet.
»Sie ist entscheidend für seinen Erfolg. Ohne dieses vielschichtige Bild angelt er an den Fressplätzen der Fische vorbei, und seine Mühe bleibt vergeblich.
Auf der Jagd taucht der Jäger in seinen Gedanken und in seinem Tun tief in sein Revier ein und verbindet sich auf diese Weise mit der archaischen Welt, die noch immer tief in jeder Zelle seines Körpers verbunden ist, auch wenn er sie in seinem Alltag immer seltener berührt. Einer Welt, in der noch alles mit allem verbunden ist.
Dann taucht er in etwas viel Größeres ein und kommt so dem Grund seines Seins nahe.
Es eröffnet sich ihm eine umfassende Perspektive: das Meer, die Unterwasserwelt, die Lichtverhältnisse, der Küstenstrom, das Wetter, die Jahreszeit und die eigene Intuition – sie sind Teile eines größeren Ganzen.
Die Jagd wird für den mann zu einer spirituellen Erfahrung, weil sie ihn an seine All-Verbundenheit erinnert und er darin selbst und seinen Schöpfer aufs Neue berührt.
Eine derartige Verbindung zu unserem archaischen Urwissen und ähnliche Glücksmomente eines tief erfüllten Seins erleben wir leider sehr selten.«

Hinter sich lassen soll man das Internet, das Hamsterrad der Arbeit und den Konsum. Laut Schroeter bindet all dies unsere Kräfte, schafft nur kurzlebige Glücksmomente und lässt uns am Ende des Tages müde und leer zurück, weil wir uns innerlich nach etwas anderem sehnen.
»Im Meer zu stehen und Fische zu fangen ist für den Jäger deshalb wie ein Nach-Hause-Kommen. Die Verschmelzung der inneren mit der äußeren Welt. Wenn ein Jäger auf die Jagd geht, kommt er bei sich selbst an und fühlt sich in jeder Zelle lebendig. Die Suche nach Glück und Zufriedenheit hat ein Ende.
Das Erleben in der Natur ruft im Jäger auch die Erinnerung an die Kraft der Stille ach. Eine Kraft, die ihm in seiner lauten und schnelllebigen Alltagswelt meist abgeht.
Die Welt des Jägers ist so kraftvoll und heilsam, dass wir schon nach kurzer Zeit innerlich und äußerlich ruhiger werden.«
Das Rad der Jagd
Ebenso wie eine Woche bei ihm orientiert sich sein Buch an dem von ihm entwickeltem »Rad der Jagd«.

»Der Takt von Einatmen und Ausatmen.
Der Takt von Tag und Nacht.
Der Takt von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Der Takt des Meeres, bestimmt von Ebbe und Flut.
Der wahre Takt des Lebens.«

Die einzelnen Kapitel verfügen über so unterschiedliche Inhalte wie Fragestellungen zum eigenen Leben, eine »Kleine Knotenschule«, Outdoor-Rezepte für Meerforellen, Empfehlungen zur Erholung sowie Gleichnisse. Vor allem immer wieder Geschichten von Erlebnissen während seiner Seminare, die bei den Stammesmitgliedern zur Selbsterkenntnis und Neuorientierung führten.
Eine Idee Schroeters, die bei mir haften blieb: Diese Situationen nimmt er zum Anlass, dem Neumitglied seines Stammes einen neuen Namen zu geben: Blanke Rolle, Nasser Bär, Pattex, Copper, Strandläufer, Troubadix… Unwillkürlich fragt sich wohl jeder beim Lesen dieser inspirierenden Erzählungen, welchen Nom de Guerre man selbst verliehen bekommen würde.
Die schöne Gestaltung des Buches mit zahlreichen stimmungsvollen Illustrationen und Fotos vermitteln eine gute Atmosphäre von Natur und Freiheit am Meer.
Resümee

Ursprünglich schwankte ich, ob ich meine knappe Zeit diesem Buch widmen sollte. Mittlerweile ist jedes siebte Buch in Deutschland ein Ratgeber, überall werden einem Seminare angeboten, weil viele Menschen Wegweiser aus einem Zustand der Unzufriedenheit und Orientierungslosigkeit suchen. Ich gehöre nicht dazu.
Die Botschaften von Diakonen der EKD betrachte ich zuerst einmal skeptisch, da mich die linksalternative Esoterik und Kapitalismuskritik nicht ansprechen, welche mittlerweile die evangelische Kirche in Deutschland dominieren. Ich halte es eher mit Thomas von Aquin als mit Martin Luther und mehr mit Hayek als mit Habeck, auch wenn diese Einnordung völlig aus der Mode gekommen zu sein scheint.
Udo Schroeter ruft diejenigen auf, welche sich auf einem Weg befinden, der sie unglücklich macht, umzukehren. Die eigenen Bestimmung zu erkennen und ihr zu folgen. Den Ort zu finden, an dem man sich wirklich lebendig fühlt. Wo man die eigenen Talente und Gaben entfalten kann, ohne fortwährend Kraft zu verlieren.
Das ist grundsätzlich richtig, aber auch nicht ganz neu.
Seine Empfehlungen gehen oft in Richtung Entschleunigung und Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft.
Das mag dem Zeitgeist entsprechen und das sein, was man vor einem Burnout hören möchte. Ich bezweifel aber, ob sich für vitale Menschen der Weg zu einem erfüllten Leben öffnet.
Ein Beispiel ist sein »Gesetz der Widerstandslosigkeit«.
»Wenn die Bäume gegen den Wind wachsen würden, wären sie viel kleiner.
Wenn die Vögel aufhören würden, sich tragen zu lassen, würden sie abstürzen.
Wenn die Fische ständig gegen den Strom schwimmen würden, würden sie sich total erschöpfen und daran sterben.«
Ich glaube eher, das Handeln im Widerspruch zu als allgemeingültig geltenden Wahrheiten der Weg zum Erfolg ist. Je weniger schwierig und riskant eine Arbeit ist, um so geringer sind Ertrag und Erfüllung. Harmonie mag entspannend sein, aber Konfliktfreude zum richtigen Zeitpunkt kann Blockaden brechen.
Grundsätzlich hat mir Ein Mann, ein Meer gefallen und zum Denken angeregt. Zu den seltenen Büchern, die mir vollkommen neue Perspektiven schenkten, zählt es nicht. Dafür erreicht es für mich sprachlich und philosophisch nicht die Höhen, die dem Wanderer einen Blick über das Nebelmeer schenken. Sich in der freien Natur in den Vorzeitmodus des Jägers und Sammlers zu versetzen, um in diesem archaischen Urzustand über große Fragen zu grübeln, ist jedoch eine ausgesprochen inspirierende und beglückende Idee. Die richtigen Antworten kann man sich nur selbst erjagen. Waidmannsheil dabei.
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Verlagsvorstellung des Autors:
Udo Schroeter wurde 1963 in Preetz in SchleswigHolstein geboren. Schon seit frühester Kindheit verbrachte er jede freie Minute am Wasser und fing Fische. Seit 2006 lebt der ausgebildete Diakon gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen auf der dänischen Insel Bornholm und arbeitet dort als Coach, Seminarleiter und Fotograf. Er ist Autor des Bestsellerbuches Bin am Meer.
https://udoschroeter.com/
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Interview mit dem Autor: https://www.psychologiebringtdichweiter.de/persoenlichkeit/am-meer-koennen-maenner-ihre-kraft-zurueckfinden
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Von KRAUTJUNKER existiert eine Facebook-Gruppe.

Titel: Ein Mann, ein Meer – entdecke den Jäger in Dir
Autor: Udo Schroeter (siehe: https://udoschroeter.com/)
Illustrator: Timo Zett (siehe: http://timozett.de/wordpress/)
Verlag: bene!
Verlagslink: https://www.droemer-knaur.de/buch/9620708/ein-mann-ein-meer
ISBN: 978-3963400384
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Ein schöner Text über das Brandungsangeln auf Meerforellen:
https://krautjunker.com/2016/11/11/was-willstn-da-schreiben-mit-christoph-scheuring-in-daenemark/