Trophäe und Aberglaube

am

Buchvorstellung von Beate A. Fischer

»In keiner Wirtsstube fehlen sie, die Hirschgeweihe, Rehkrickerln und Gamskrucken, und so mancher Dachboden ist voll mit Trophäen, die einst für den Erleger von unschätzbarem Wert waren. Nach seinem Tod ist dieser persönliche Wert erloschen, und der Beschauer weiß nichts von den Mühen und den Erlebnissen, die für den wackeren Weidmann mit diesen Objekten verbunden waren. Häufig waren diese alten jagdlichen Erinnerungen natürlich auch mit finanziellen Aufwendungen verbunden, und die Erben glauben, Wertvolles in den Händen zu halten…. Die Anbieter waren dann regelmäßig enttäuscht, wenn ich Ihnen den Gang zum Knopfhersteller oder zu den Flohmärkten empfahl.«

»Trophäen sind nach der ursprünglichen griechischen Bezeichnung ‚Siegeszeichen‘ (tropaion, Mehrzahl tropaia). Sie wurden von den griechischen Feldherren nach dem Bezwingen der Feinde auf dem Schlachtfeld ausgestellt.«

Eine Trophäe gilt als ein als Zeichen des Triumphes, dieser kann über eine Person, ein Tier oder eine Sache, aber auch bei der Abwendung eines Risikos oder einer Bedrohung erreicht sein.  In der Steinzeit wurden Jagdtrophäen als Amulette zum Schutz um den Hals getragen. Die Griechen und Römer opferten Tierdecken, Klauen, Zähne und Geweihe ihren Jagdgöttinnen. Erst um 1500 wurden starke Geweihe ein Teil höfischer Inszenierung. Die bedeutendste aller dokumentierten Hirschtrophäen wurde von Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg – wo – natürlich in der Schorfheide (siehe: https://krautjunker.com/2020/05/02/jagd-und-macht-die-geschichte-des-jagdreviers-schorfheide/) erlegt. Sie befindet sich heute auf Schloss Moritzburg bei Dresden. Es beherbergt eine der umfangreichsten Trophäensammlungen der Welt.

Der Autor, Bernd E. Ergert, ist ein deutscher Historiker, Kunstmaler und Buchautor. Er war von 1990 bis 2005 Direktor des Deutschen Jagd- und Fischereimuseums in München und gilt als der Doyen der bayerischen Jagd- und Fischereigeschichte. Mit diesem handschmeichelnden kleinen Band hat er ein höchst amüsant zu lesendes kleines Büchlein vorgelegt. Ich habe es nicht mehr weglegen können, bevor die letzte Seite nicht verschlungen war. Es liest sich spannend wie ein Krimi und ein gutes Historienbuch zugleich.

Der Autor steigt mit einem kurzen Blick auf die Trophäe als Herrschafts- und Machtsymbol ein. Der wahre (Mehr-)Wert des Buches liegt in der Beschreibung des Glaubens und Aberglaubens um die Wirkung der Trophäen des Wildes ab dem zweiten Kapitel. Als Jagdtrophäe werden meist Geweihe, Hörner und Zähne von Säugetieren, zum Beispiel das Gewaff des Keilers oder die Grandeln des Rothirsches, die Krallen verschiedener Greifvögel und Vogelfedern (zum Beispiel die Spiegelfedern des Eichelhähers oder die Schwanzfedern des Fasan), aber auch Felle von Mardern, Füchsen und Bären, sowie Pfoten von Füchsen und Hasen gesammelt. Ergert läuft bei der Einführung in die kulthafte Verwendung der Trophäen bzw. Teilen des Tieres und der Beschreibung der jeweiligen Zuschreibungen zu Höchstform auf.

Dem Geweih des Hirsches sprach man die Kraft zu, den Teufel fernzuhalten. Zu diesem Zwecke wurden mittelalterliche Kirchen in den oberen Fensterreihen unter dem Dach mit Hirschgeweihen geschmückt, um Blitzschlag abzuhalten.  Die „Weihe“ der Kirche und das Ge-Weih des Hirsches sind daher nicht nur dem Wortstamm nach verbunden.

Das Geweih galt als Blitzableiter allen Bösen. Seine Bedeutung ging noch darüber hinaus. Die Entwicklung eines starken Geweihes wurde mit der Entfaltung der Manneskraft gleichgesetzt. Das jährliche Abwerfen des Geweihes war das Geschenk einer machtvollen Waffe an den Menschen. Die Geweihstangen wurden vielfältig eingesetzt, als frühe Pflugschar, als Waffe, Schmuck und Arbeitsgerät.

Das „Herzkreuz“ hat seit der Antike eine besondere Bedeutung – neben Edelsteinen und Pflanzen – als Talisman und Amulett und wurde bei Hirsch und Steinwild aus dem Knorpelgewebe um das Herz herausgelöst. Die Kraft der Tiere wurde zur Behandlung von Leiden aller Art – von Kinderkrankheiten über körperliche Gebrechen bis hin zu psychischen Krankheiten gebraucht.

»Das Herzkreuz ausgelöst habe ich hingegen schon des Öfteren: um es als kleine Trophäe aufzubewahren, als Schmuckstück einem lieben Menschen zu schenken oder um es als Talisman im Geldbeutel zu haben.«

Die Grandeln des Hirsch galten in der Steinzeit als Liebesamulett, da die Form der Grandeln an die Brüste einer Frau erinnern. In Ausgrabungen altsteinzeitlicher Funde in Frankreich wurde Frauenschmuck mit 77 Grandeln gefunden.

Abb.: Grandeln; Bildquelle: Buchseite abfotografiert von Beate A. Fischer

Neben Hirsch  und Rehwild kam dem Steinwild eine besondere Bedeutung in der Heilkunst  zu. Im 17. Jahrhundert verfügte Guidobald Graf von Thun unter strenger Strafandrohung einen Erlass, wonach alle Steinbockteile – insbesondere Herz, Herzkreuz, Blut, Lunge und Leber bei Hofe abzuliefern seien. Die inneren Organe waren in Wein zu waschen und zu dörren. Auch alle Knochen und Gehörne waren abgabepflichtig.

Die Gams erlangte durch den Gamsbart aber auch die Gamskugel oder auch „Bezoarkugel“ genannt, zu besonderer Bedeutung.

»Vor allem bei meist älteren Gamsgaisen kann man diese Zusammenballungen aus Haaren, Kräutern, Harz, Geäse usw. finden. Einst wurden diese Kugeln, in Silber gefasst oder in Säckchen vernäht, von Lungenkranken auf der Brust getragen.«

Der Bär – einst in Europa heimisch – galt als Zentralfigur des Jägeraberglaubens weltweit. Kraft und Potenz wurden ihm zugeschrieben und die Jagd auf den Bären spielte immer auf dem  schmalen Grat zwischen Tod und Triumph (siehe: https://krautjunker.com/2019/03/11/der-bar-geschichte-eines-gesturzten-konigs/).

»Die Sioux tanzen vor der Jagd. Bei den Ainu – einem Urvolk in Japan – tanzen Männer und Frauen, bei den Golden – einer Volksgruppe von Jägern und Fischern  am Amur – nur die Frauen. Vor der Jagd wird gefastet, Krähenbeeren, die bereits den Beerenmagen durchlaufen haben, essen die Samen der Nordländer. Die Eskimos essen den Schnee aus der Fährte des zu jagenden Bären. Sie vermeiden Tage vor der Jagd jeglichen Lärm. Die Tungusen in Sibirien wecken den Bären im Winterlager, ehe sie ihm zu Leibe rücken. Verstoßen sie gegen dieses Tabu, tötet sie der Bär im Schlaf. Sie verneigen sich auch vor dem Eingang der Höhle und bitten wegen der Störung um Entschuldigung. Als Abwehr gegen bösen Zauber werden die Bärenpranken über den Zelteingängen befestigt. Meist wird der Bär bei vielen der sibirischen Völker unter strenger Einhaltung bestimmter Regeln gemeinsam verspeist.«

Spannend wird es auch bei den kleinen Trophäen. Ich bin begeistert über die Damen!-Patronentasche mit Penisknochen von Bär, Dachs und Fuchs. Das ist sind Trophäen für die ich jeden dicken Hirsch stehen lassen würde.

Abb.: Patronentasche; Bildquelle: Buchseite abfotografiert von Beate A. Fischer

Nicht vergessen werden sollte das stolze Schwein. Viele Jäger, die ich kenne, ziehen die Wildschweinjagd allen Geweihten und Gehörnten dieser Welt vor. Das einzige, (noch nicht ausgerottete bzw. dem Jagdrecht entzogene) wehrhafte Wild in mitteleuropäischen Ländern hatte schon immer eine besondere Magie. Die Wildschweinjagd wurde in Oden besungen, die Gewehre in Bilder oder in Silber gefasst. Die mit der Saufeder erlegte Sau brachte dem Erleger Ruhm und Ehre und manchmal auch den Tod. Auch heute noch endet die Schwarzwildjagd für Treiber, Durchgehschützen und Hunde nicht selten mit schweren, lebensbedrohlichen Verletzungen.

Abb.: Schwarzwildgewehre; Bildquelle: Buchseite abfotografiert von Beate A. Fischer

Felle vom  Fuchs, Dachs und heute immer mehr auch dem Marderhund entwickeln sich langsam wieder zur geschätzten Jagdbeute. Besonders passionierte Raubwildjäger schätzen darüber hinaus die Zähne und Krallen wieder. Fuchs- und Dachsbälge wurden zur Abwehr böser Geister aufgehängt, Zahnamulette sollten Kinder schützen und Penisknochen galten dem Fruchtbarkeitskult.

Das französische Charivari  – eine frühe Form des Sammelarmbandes – ist ein aus Metallteilen zusammengesetzter Frauengürtel, an den man allerlei Kostenbarkeiten wie Zähne, Krallen, Penisknochen hängte.

»Es liegt nahe, dieses Schmuckstück auch als Komposit-Amulett zu bezeichnen. Fast alle dieser kleinen, in Silber gefassten Anhängsel stammen aus der Tierwelt und haben Talisman- oder Amulettcharakter. Der Brauch, dass man neben Silbermünzen und Standeszeichen auch kleine Jagdtrophäen trug, erfreute sich im alpenländischen Raum großer Beliebtheit und geht auf uralte Wurzeln zurück. So empfiehlt Hildegard von Bingen neben mineralischen und pflanzlichen auch tierische Substanzen als Hilfsmittel, die durch den physischen, äußeren Kontakt oder auch allein durch das Getragen werden Heil und Segen bringen und vor Dämonen schützen.«

Abb.: Charivari; Bildquelle: Buchseite abfotografiert von Beate A. Fischer

Im süddeutschen Raum gab es die „Fraiskette“. Man legte Kindern kleine Ketten mit Wolfszahn, Bärenkralle, Auerhahnzunge, Herzkreuz und anderen Amuletten um den Hals, um sie vor Leid und Krankheit zu schützen.

Auch das Flugwild wie Auerhahn, Schnepfe, Haselhahn kommt in diesem spannenden Büchlein nicht zu kurz. Ganz vorn steht für den alpenländischen Jäger natürlich das Auerwild. Das Auerwild ist das einzige Flugwild, welches zum Hochwild zählt, also jagdlich dem Hohen Adel vorbehalten war.

»Der Auerhahn gleicht einer Mythe aus uralter Zeit, aus einer Zeit, in der es noch keine Menschen gab.«

Des Weiteren wird den Trophäen aus dem nassen Element Raum gegeben. Der Fisch war ein Symbol von Leben, Liebe und Fruchtbarkeit. In den Anfängen des Christentums war der Fisch das Zeichen für Christus schlechthin. Der Fisch wurde zum Symbol für die ersten verfolgten Christen und beruht auf dem griechischen Wort Ichthys (Fisch) für Jesous Christos, theon hyios, soter (Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter).

Abb.: Trophäen des Schuppenwildes; Bildquelle: Buchseite abfotografiert von Beate A. Fischer

»In der Jagdkunst der Eiszeit fanden magische und religiöse Vorstellungen ihren Niederschlag. Sie  verband Mensch und Tier, welche eingebettet waren in eine gemeinsame Umwelt, in eine Umwelt, deren Gefahren die Menschen  – Frau und Mann – nur zu gut kannten. Diese Umwelt musste respektiert und bewältigt werden. So sehe ich alle Kunstwerke des Eiszeitalters als Botschaften, angefangen von den gravierten Geweih- und Knochengeräten, über Waffen, Amulette aus Mammut- und Höhlenbärenzähnen, Venusfigürchen bis hin zur überwältigenden Höhlenkunst. Sie sind zugleich Botschaften an die Beutetiere und deren als dem Menschen ebenbürtig gedachte Seelenwelt. Es sind Versuche, Regeln zu finden, die Jäger und Gejagte verbinden und gegenseitig verpflichten.«

Es macht Spaß, dem Autor beim Herauslösen des Herzkreuzes über die Schulter zu schauen und mit ihm durch die Welt der Jagdmythen zu spazieren, vermittelt er doch – ohne ins Esoterische abzuschweifen – einen großen Schatz an Jagdwissen und -tradition fernab der üblichen Themen deutscher Waidgerechtigkeit. Zum Schluss soll der Autor selbst nochmal zu Wort kommen und damit ist eigentlich alles über dieses wunderbare Buch gesagt:

»Mit dem Schreiben dieses Buches habe ich die Absicht verbunden, dem historisch interessierten einen kleinen Einblick in das Schatzkästchen des alten Jäger- und Volksglaubens zu ermöglichen. Für den jungen Jäger sind die Zeilen vielleicht Anregung, wie unsere „Vorderen“ mehr in der Jagd zu sehen als nur die „Hörner“.«

*

KRAUTJUNKER-Rezensentin:

Beate A. Fischer, geboren 1973, Jägerin seit 6 Jahren, Hundeführerin – verliebt in einem Vizsla sowie Co- und Stiefmutter eines Fox, schießt leidenschaftlich gern Jagdparcour und Flugwild, außerdem hat sich die afrikanische Sonne in ihr Herz gebrannt. Sie lebt im kühlen Nordfriesland auf einem Resthof, arbeitet als Rechtsanwältin und schreibt manchmal auch mal andere schöne Texte. 

***

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille…

Titel: Trophäe und Aberglaube

Autor: Bernd E. Ergert

Verlag: Österreichischer Jagd- und Fischerei-Verlag

Verlagslink: https://jagd.at/?seite=buch&id=773

ISBN 978-3-85208-142-7

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Luisa sagt:

    Sehr gelungene Buchvorstellung! Jetzt bin ich auch ein neidisch auf die Damenpatronentasche und bereue, dass ich den Grizzlypenis samt Knochen an meinen Jagdfreund abgab… der benutzt Bärenpenisknochen gern als Kaffeerührstab.

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    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Falls so ein Kaffeerührstab demnächst bei Dir übrig ist, findest Du in mir einen dankbaren Abnehmer, liebe Luisa.

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