Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner

Buchvorstellung

Habichte, die erfolgreichen Taubenjäger und Hühnerdiebe am Rande bäuerlicher Siedlungen, litten lange unter einem Imageproblem. In Fritz Engelmanns Buch Die Raubvögel Europas finden sich folgende Verse:

Der Habicht

Es haust im düstern Walde
Ein Habicht grimm und grau,
Er schont kein Tier der Halde,
Kein Vöglein auf der Au‘.

Und was er sinnt, ist Schrecken,
Und was er blickt, ist Wut,
Und was er ruft, ist Grauen,
Und was er treibt, ist Blut.

Habt ihm sein Weib erschlagen,
Zerschossen stets die Brut,
Kennt nur noch wildes Jagen,
Und Rache peitscht sein Blut.

Doch nie war sein Geschlechte
So mörderisch wie Ihr!
Er jagt mit gleichem Rechte
Und schonender als Ihr!

Selbst der heitere Robert Gernhardt, dichtete ihm die niedrigsten Charakterzüge an:

Der Habicht fraß die Wanderratte
nachdem er sie geschändet hatte.

Die Greife wurden als Schädlinge intensiv verfolgt. Da es Menschen kaum möglich ist, in Tieren nicht sich selbst zu erblicken, wurden ihnen »blutrünstige Gemütsart« sowie »Mordgier und Dreistigkeit« unterstellt. Noch 1907 hieß es in einem Vogelbuch über den Habicht, er sei »wegen seiner frechen Räubereien überall verhasst und gefürchtet«. »Man verfolgt den Habicht mit Pulver und Blei, schießt ihn vom Horst und stellt ihm nach, wie und wo man nur kann. Er verdient keine Schonung«. Überall schrumpften die Bestände dramatisch, in England waren Habichte sogar zeitweise ausgerottet.

Mit Aberglauben half sich, wer keine Flinte hatte. So wollte man in Westfalen junges Federvieh schützen, in dem man es neben einen blanken Kessel setzte. In der Oberpfalz hingegen sollte es helfen, drei ausgerissene Habichtfedern in eine andere Gemeinde zu bringen. Andere Rituale wurden an den Osterfeiertagen durchgeführt: Am Karfreitag Hühner durch einen hölzernen Reifen springen zu lassen, schützte sie gleichfalls vor dem Habicht.

Abb.: Das ist das typische Flugbild eines Habichts, der sich im Streckenflug befindet. Die Fänge sind eng an den Körper mit aerodynamischer Tropfenform angelegt und die Schwingen rudern mit schneller Schlagbewegung; Bildquelle: Buch

Dabei fing alles so gut an. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde seine Erlegung mit der Todesstrafe geahndet, da er sich aus mythologischen Gründen höchster Wertschätzung erfreute. Im 7. Jahrhundert kürte man den Habicht aufgrund seiner Tapferkeit zum königlichen Vogel. Als schneidige Jagdgefährten wurden die grauen Vögel für die Beizjagd abgerichtet.

Die wenigsten Deutschen sind heute darauf angewiesen, ihr Federvieh als lebende Vorratskammer zu halten, was merklich zur Entspannung des Verhältnisses Mensch vs. Habicht beiträgt.

Ähnlich wie Füchse (siehe: https://krautjunker.com/2020/06/06/fuchse-unsere-wilden-nachbarn/) finden Habichte aufgrund der Umgestaltung der Wälder und des ländlichen Raumes oftmals mehr Beute innerhalb als außerhalb der Städte. Singvögel, Stadttauben, Krähen und Enten sind oft reichlich vorhanden. In den Parkanlagen und Friedhöfen vermehren sich Eichhörnchen und Kaninchen munter. In Deutschlands Hauptstadt, dem dysfunktionalem Berlin (Wen wundert es?) entwickelt sich mittlerweile eine prächtige Wildschweinpopulation. Die Ursachen hat man nicht im eigenen Handeln, sondern der nahenden Klimakatastrophe sowie der Jägerschaft ausgemacht. Vermutlich stellen die cleveren Schwarzkittel schon eine eigene Liste für die Wahl zum Abgeordnetenhaus auf.

»Die Größe eines Habichtsreviers kann sehr unterschiedlich sein. Populationsdichte, Nahrungsverfügbarkeit, Habitatsstruktur und die Verfolgung durch Menschen spielen dabei eine wichtige Rolle. Generell können in manchen Großstädten sehr hohe Siedlungsdichten erreicht werden. Als geringster Abstand zwischen zwei benutzten Nestern wurde in Berlin eine Entfernung von nur 300 bis 400 Metern ermittelt. Dies ist jedoch ein Ausnahmewert und in Waldlebensräumen sind die Siedlungsdichten wesentlich geringer und die Reviere größer.«
So leben in Hamburg alleine 60 Brutpaare und in Berlin, wo ein Großteil der Fotos erstellt wurde, sind es sogar 100.

Die muskulösen und reaktionsschnellen Greifvögel sind extrem erfolgreiche Jäger. Wie bereits in Im Bund mit den Herrschern der Lüfte (siehe: https://krautjunker.com/2020/06/01/im-bund-mit-den-herrschern-der-lufte-faszinierende-beizjagd-in-packenden-bildern/) beschrieben, bezeichnete man den Habicht im historischen Frankreich als »den gefiederten Küchenmeister«, weil er eine ganze Familie mit genug Fleisch versorgen kann. Helen Macdonalds Worte in H wie Habicht über die Natur dieser Tiere, prägten sich mir ebenfalls stark ein: »Der Habicht hatte mein Haus mit Wildnis erfüllt, ebenso wie eine Vase voller Lilien ein Haus mit Duft erfüllen kann« (siehe: https://krautjunker.com/2016/06/13/h-wie-habicht-helen-mcdonald/). Für den verkorksten Künstler Terence Hanbury White verkörperte sein Habicht das, was er selbst sein wollte: frei, wild, grausam. Ein »feenhaft magisches« Geschöpf der Wälder (siehe: https://krautjunker.com/2019/07/18/der-habicht/).

Doch selbst in Städten nehmen wir die Raubtiere selten wahr. Es gilt das Bonmot des Verhaltensforschers Oskar Heinroths, den Habicht erkenne man daran, dass man ihn nicht sehe.

Entweder lauern Habichte still und versteckt auf Beute oder kombinieren den Ansitz mit einem flachen Pirschflug. Haben sie ihr Ziel erfasst, zischen sie, jede Deckung ausnutzend, im Zielanflug wie Raketen durch die Luft, so dass wir sie zumeist nur kurz ins Auge fassen können. Ausgewachsene und erfahrene Tiere können rasant auf Maximalgeschwindigkeit beschleunigen und so ihre Beute überrumpeln. Seine relativ kurzen und breiten Flügel ermöglichen ihm die Jagd zwischen dicht stehenden Pflanzen. Sein auffallend langer Schwanz übernimmt die Funktion von Steuer und Bremse. Daneben jagen Habichte auch nach Art der Wanderfalken, indem sie solange mit niedrigem Kraftaufwand am Himmel kreisen, um sich urplötzlich im Sturzflug auf ihre Beute zu stürzen und diese in der Luft zu schlagen.
Das Verhältnis von Körpergewicht zu Jagderfolg ist bei Greifvögeln ein heikles. Zuviel Gewicht, zu langsam, kein Jagderfolg. Zu wenig Gewicht, zu wenig Energie, auch keine Beute. So konzentrieren sich Raubtiere für gewöhnlich auf leicht zu schlagende Tiere und spielen daher eine wichtige Rolle bei der Gesunderhaltung von Populationen.

Abb.: Wenn Habichte den Lebensraum Stadt erobert haben, sind sie häufig auf Dächern und Schornsteinen zu beobachten; Bildquelle: Buch

In Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner beobachten wir die zumeist unsichtbaren Greife im Jahresverlauf. Ihr versteckter Zyklus beginnt bei der Revierwahl und Balz. Jetzt legen die scheuen Tiere ihre Zurückhaltung ab, um in spektakulären Schauflügen umeinander zu werben. Ihre Stimmung zeigen sie an, indem sie ihre Unterschwanzfedern spreizen. Es sieht fast so aus, als präsentierten sie einen weißen Tüll-Unterrock, um den Partner scharf zu machen. Vogelkundler bezeichnen dies als »Flaggen«.

Es folgen Brut und Aufzucht der Jungen und später das Erlernen der Jagdmethoden. Wir sehen Habichte mit geschlagener Beute wie Tiefflieger über den Boden zischen, Habichtküken aus ihrem Horst schauen und verfolgen, wie ein Biologe einen Baum hochklettert, um die Nestlinge zu beringen. Interessant sind die Ausführungen über das Beringen von Jungvögeln sowie das Verhältnis von Habicht und Mensch bei der Falknerei. Auch die Unterschiede zu anderen Greifvögeln werden dargestellt, insbesondere zum kleineren Sperber, mit dem man ihn verwechseln kann, der aber auch von ihm gejagt wird.

Die Texte sind informativ, die Fotos außergewöhnlich und das Verhältnis von beiden gut ausbalanciert, so dass Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner mehr als ein Bildband ist, ohne ein trockenes Fachbuch zu sein.

»Für uns stellte sich der Habicht nicht als „böse“, sondern als ausgesprochen schöner Vogel dar, als geschickter Jäger, auch als fürsorglicher und sanfter Elternvogel, der seinen ihm von der Natur zugedachten Platz als Beutegreifer perfekt ausfüllt – und das ist wert, genau betrachtet zu werden.«

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Der Habicht. Vom Waldjäger zum Stadtbewohner

Autoren: Lutz Artmann, Dr. Norbert Kenntner, Dr. Christian Neumann, Stefan Schlegl

Verlag:  Oertel + Spörer Verlags-GmbH

Verlagslink: http://www.oertel-spoerer-verlag.de/tierbuecher/novitaeten/389/der-habicht.-vom-waldjaeger-zum-stadtbewohner#.X-NVVNhKhaQ

ISBN-13 : 978-3886278992

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