Buchvorstellung
Aus der Reihe Naturkunden des Verlages Matthes und Seitz Berlin wurden hier schon einige stets gelungene Bücher vorgestellt. Dementsprechend war meine Freude groß, in ein weiteres schön gestaltetes Buch des Genres New Nature Writing eintauchen zu dürfen. Diesmal dreht es sich um Hechte, die Krokodile der nördlichen Binnengewässer.

In der Kindheit des in der DDR aufgewachsenen Autors galten Hechte als die Verkörperung von Wildheit und Gefahr. Es gibt eine Tradition, den Hecht mit kriegerischen Attributen als Bezwinger, Überwältiger und kompromissloser Angreifer zu charakterisieren. »„Wer kennt ihn nicht diesen Räuber, diesen Haifisch in unseren Strömen, Flüssen, Seen, Teichen und Gräben, der alles verschlingt, was er überwältigen kann“, heißt es etwa in der erstmals 1847 erschinenen Abhandlung mit dem Titel Das Ganze der Angelfischerei und ihrer Geheimnisse eines Baron von Ehrenkreutz, die in den folgenden Jahrzehnten in unterschiedlichen Abwandlungen des Titels verlegt wurde. Und es geht weiter bis zu Weilhelm Doose, nach dessen Überzeugung der Hecht alles „überfällt, was er nur irgend bezwingen kann. (…) Dieses Draufgehen, ferner seine Kraft und Gewandtheit seine grenzenlose Brutalität stempeln den Hecht zu einem erstklassigen Sportfisch.“«
Nachdem Andreas Möller seinen ersten Hecht haken konnte und die Kraftexplosion des Raubtiers einen Adrenalinschub bei ihm auslöste, hat ihn die Faszination für Hechtfische (Esocidae) nicht verlassen.

»Der Hecht ist geografisch wie kulturell mit anderen Worten kein Fisch des Dolce Vita und Sovoir-vivre. Er erinnert in seiner ganzen Gestalt eher an Kreuzritterzüge und die frühmittelalterliche Christianisierung im Lande der Obotriten. An Nebelschwaden, Rabenvögel und die letzten Rauchsäulen vom Lagerfeuer Fürst Borwins im Morgengrauen an der Warnow. Dabei ist er viel, viel älter.«
Seitdem sich Hechte in Nordamerika aus heringsähnlichen Fischen entwickelten, verbreiteten sie sich in allen Gewässertypen des Süß- und Brackwassers nördlich des 25. Breitengrades. 1980 wurde mit dem Esox tiemani in Kanada ein fossiler Hecht gefunden, der 56 Millionen Jahre alt war. Im letzten Kapitel von Hechte werden der Nordische Hecht (Esox lucius), der Südliche Hecht (Esox cisalpinus), der Muskellunge (Esox masquinongy), der Rotflossenhecht (Esox americanus), der Grashecht (Esox americanus vermiculatus), der Ketten- oder Schwarzhecht (Esox niger) und der Amurhecht (Esox reichertii) mit schönen Illustrationen in Einzelporträts vorgestellt.

Ebenso wie die Forellenarten variieren die Hechtarten in ihrer Farbgebung stark und faszinieren seit jeher Betrachter wie Henry David Thoreau in Walden (1854):
»Ich habe einmal, der Länge nach auf dem Eise liegend, wenigstens drei verschiedene Arten dieses Fisches beobachtet: einen langen, schmalen, stahlfarbigen, der mit dem Flußhecht viel Ähnlichkeit hatte, einen hellgoldenen, mit grünlichen Reflexen, der ganz in der Tiefe schwamm, er gehört zu der Art, die hier am häufigsten ist, und einen dritten, goldfarbigen, der wie der zweite gebaut war, aber an den Seiten kleine dunkelbraune oder schwarze Flecken aufwies die, ähnlich wie bei der Forelle, mit blutroten Tupfen untermischt waren.«

Anders als Barsche, Zander oder andere Raubfische bilden sie keine Schwärme, die im Mittelwasser jagen, sondern pirschen als Einzelgänger durch die Unterwasservegetation der Uferregionen. Ihr torpedoartiger Körper ermöglicht es, kurzfristig auf 40 km/h zu beschleunigen, was sie deutlich schneller als ihre Beute macht. Unverwechselbar ist ihr entenschnabelartig abgeflachtes Löffelmaul, in dem 600 Zähne sitzen. Den großen Hechtaugen, obwohl unbeweglich, entgeht kaum etwas in einem horizontalen Sichtbereich von 180 Grad und einem vertikalen von 150 Grad. Wie eine moderne Autofokus-Optik, kann der Hecht schnell von einer Nah- auf eine Fernperspektive umschalten. Weiterhin verfügt er mit der Seitenlinie ein Sinnesorgan, welches die Druckwellen des Wassers auswertet sowie über ein empfindliches Gehör. Der Hecht ist ist ein Lauer- und Sichträuber, der in seinem Habitat jedoch nicht an der Spitze der Nahrungskette steht. Kannibalische Artgenossen, Seeadler und Fischotter, insbesondere jedoch Menschen, machen den Jäger zum Gejagten. Die geschützten Kormorane vertilgen imposante Mengen an Fisch, darunter auch Hechte. Teilweise entnehmen sie Binnengewässern 30 Prozent der gesamten Biomasse an Fischen.
Geschult durch seine langjährige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Naturliebe und Technikkritik in Deutschland, über die Braunen seit den 1930er Jahren bis zu dem aktuellen Zeitgeist der Grünen, deckt Andreas Möller die Irrationalitäten unserer Naturschutz-Politik auf:
»Der Mensch greift somit nicht nur in die Natur ein, indem er Lebensräume von Pflanzen und Tieren baulich beeinflusst oder das Einschleppen von Pilzsporen oder Viren durch Mobilität und Logistik begünstigt. Er greift auch dadurch in die Natur ein, dass er einzelne Arten unter Schutz stellt, deren anwachsende Populationen anderen Arten das Leben erschweren.
Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Rückkehr des Wolfes. So reißen Wölfe zwischen Brandenburg und der Lüneburger Heide, aber auch in Süddeutschland und Österreich mittlerweile mehrere Tausend Herdentiere pro Jahr. Dennoch sieht mancher in der Rückkehr einstmals vertriebener Wildtiere eine Art Wiedergutmachung an der Natur – eine moralische Rehabilitation, die in ihrem Ausblenden negativer Folgen der Wiederansiedlung von Raubtieren inmitten von Kulturlandschaften tatsächlich Züge eines fatalen Natur-Verkennens trägt. Die amerikanische Biologin Elizabeth Kolbert nennt das die außer Kontrolle geratene Kontrolle der Natur. Sie bezeichnet Arten, die, nachdem sie vertrieben und wieder zurückgebracht wurden, in einer völligen Abhängigkeit von den Menschen stehen, darum als „Stockholm-Spezies“.
Auch der Kormoran einst vom Aussterben bedroht, leidet im übertragenen Sinne am Stockholm-Syndrom. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es nicht nur vergleichsweise viele invasive Arten wie Waschbären und Marderhunde, die Niederwild und Bodenbrütern zusetzen. Hier brüten auch die mit Abstand meisten Kormorane in Deutschland: rund 15.000 an der Zahl nahezu die Hälfte aller deutschen Brutpaare, deutlich mehr als in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Bayern. Zusammen mit den Jungtieren addiert sich die Zahl der Kormorane dabei schnell auf das Fünffache, was zu einem immensen täglichen Fischbedarf im Tonnenbereich führt. Insider spotten: mehr, als die EU-Fangquote den örtlichen Fischern zugesteht.«

Wie ich es beim Genre New Nature Writing liebe, wechselt das Buch von der wissenschaftlichen Analyse zum Blick des archaischen Jägers und seiner demütigen Anbetung der lebendigen Schöpfung.
»Am See angekommen, achtet man daher wie ein Trapper auf die Zeichen der Umgebung, auf Witterung, Gerüche das Schilpen der Vögel, auf Farbtöne und Schattierungen des Wassers. Jede Fahrt mit dem Auto oder der Bahn vorbei an einem Tümpel oder Graben lässt den Angler sekundenschnell das Wasser und die Ufervegetation abscannen. Dort, unter den Weiden, könnte das Versteck eines kapitalen Zanders sein! Oder hier, im Gumpen, den die Strömung in Jahrmillionen aus dem Flussbett herausgewaschen hat, das Jagdrevier einer alten, in der Natur geborenen Bachforelle! Der Außenstehende sieht nur eine Wasseroberfläche, der Angler die ganze Welt darunter.
(…)
Seitdem ich erstmals von Jakob Böhme und anderen Mystikern des Mittelalters las, deren Natursprachenlehre im frühen 20. Jahrhundert eine Renaissance in der Naturlyrik von Autoren wie Wilhelm Lehmann oder Oskar Loerke erfuhr, blicke ich anders auf den See und die Schilfregion. Für Peter Huchels Frühwerk spielt auch die sogenannte Matriarchatslehre Johann Jakob Bachofens eine zentrale Rolle, welche das Schilf als einen Ort der unablässigen Schöpfung begreift. Flüsse und Seen werden zu magischen Orten, vormals slawisch besiedelte Moor- und Seenlandschaften sind voller Naturzeichen, so etwa in Havelnacht:
Hinter den ergrauten Schleusen
nur vom Sprung der Fische laut,
schwimmen Sterne in den Reusen,
lebt der Algen Dämmerkraut,
lebt das sanfte Sein im Wasser,
grün im Monde, unvergilbt,
wispern nachts die Büsche blasser,
rauscht das Rohr, ein Vogel schilgt,
nah dem Geist, der nachtanbrausend
noch in seinem Flusse taucht,
in dem Schilf der Schleusen hausend,
wo der Fischer Feuer raucht.
Man muss es nicht übertreiben mit solchen Inspirationen durch die Literatur, zumal dann, wenn man gerade mit einer hoffnungslos verhedderten Angelschnur oder Wasser im undichten Gummistiefel kämpft. Vor allem morgens und abends, wenn sich Frosch-, Insekten- und Vogellaute übertönen, das Glucksen aufsteigender Gase im schlammigen schlammigen Untergrund ebenso zu hören ist wie das Schlagen von Fischen unter Seerosenblättern, ist jeder See aber tatsächlich ein pantheistischer Kosmos. Nirgendwo sonst gibt es eine solche Dichte an Leben und Stofflichkeit. Nicht am Meer, nicht im Wald, nicht in den Bergen. Jedes Tier scheint dann Teil einer geschlossenen Ordnung zu sein.«

Insgesamt ein schönes Büchlein, in dem sich wissenschaftliche Erkenntnisse, Angelpassion, Wertschöpfungs-Analysen des Speisefisches, Kulturgeschichte und Poesie abwechseln und immer wieder interessante Bücher wie Das Evangelium der Aale oder Nordwasser empfohlen werden. Nur wenige Stellen irritierten mich, wie die lobende Erwähnung Peter Wohllebens, die fälschliche Ansicht, dass der Mensch unter natürlichen Bedingungen kein erfolgreicher Großwildjäger sei oder die verzerrten Perspektive auf August Friedrich von Kotzebue und Karl Ludwig Sand.

Hechte ruft dazu auf, sich in unserer digitalen und entwurzelten Epoche angelnd in einer Nahrungskette zu verorten. Durch die intensive Beobachtung der Natur und Lektüre kluger Bücher gewinnen wir ein besseres Verständnis der Vielschichtigkeit der Ökologie. Es sind glückspendende Erlebnisse unter freiem Himmel, im Idealfall gekrönt von einem köstlichen Mahl wie in Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg:
»Und nun das Mahl selber! Das wäre kein echtes Spreewaldsmahl, wenn nicht ein Hecht auf dem Tisch stünde.
Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Schleie. Der Fisch will trinken, gebt ihm was, daß er vor Durst nicht schreie.«

Schade, dass Hechte nur ein Büchlein ist. Ich hätte gerne noch weiter gelesen.
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Verlagsvorstellung des Autors

Andreas Möller, 1974 in Rostock geboren, befasst sich seit seiner Doktorarbeit zur Naturliebe und Technikkritik der Deutschen während der Weimarer Republik (Aurorafalter und Spiralnebel. Naturwissenschaft und Publizistik bei Martin Raschke 1930-1932, 2005) mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Natur. Er war Journalist bei Deutschlandfunk Kultur, leitete die Politikberatung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und ist heute Kommunikationschef des Maschinenbauers Trumpf. Nach Traumfang. Eine Geschichte vom Angeln (2009), Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird (2013) und Zwischen Bullerbü und Tierfabrik. Warum wir einen anderen Blick auf die Landwirtschaft brauchen (2018), das 2019 mit dem Preis der deutschen Agrarfachpresse ausgezeichnet wurde, ist Hechte. Ein Portrait sein fünftes Buch, das unser Verhältnis zur Natur im Lichte sich wandelnder Landschaften auslotet.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Hechte
Autor: Andreas Möller
Herausgeberin: Judith Schalansky
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Verlagslink: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/hechte.html
ISBN-13 : 978-3751802130