Buchvorstellung des Bertram Graf v. Quadt
Flinten sind grauenhafte Gegenstände, launisch und heimtückisch. Manchmal machen sie genau das, was sie sollen: Ziele so verlässlich und sauber treffen, dass der Endorphinrausch den Schützen eigentlich fahruntüchtig werden lässt. Und am nächsten Tag lassen sie dich herzlos im Stich, ballern irgendwo sinnlos in der Gegend herum und vermeiden gekonnt auch den einfachsten Treffer. Noch grauenhafter sind gute Flintenschützen: die holen jedes noch so gemein fliegende Ziel herunter, fehlen dann eine komplett außer Reichweite fliegende Wurfscheibe und prahlen dann herum, wie schlecht sie doch heute schössen. Und Du, Menschlein, stehst da und schämst Dich.
So ging es mir lange. Ich bin heute ein vielleicht passabler Schrotschütze und diesen Status musste ich mir mühsam erarbeiten. Ich bin nicht talentiert. Natürlich habe ich geübt, habe Waggonladungen von Patronen verpulvert und selbstverständlich alles an Literatur verschlungen, was es da so gibt: Churchill, McDonald Hastings, Meran, Oppermann, Schäfer, Batha, Bentley, Fürstenberg. Das hat alles geholfen – ein wenig. Dabei wäre die Lösung so einfach gewesen.
Ich hatte mein zweites Buch auf den Markt gebracht, als Nicky Szápáry mich anschrieb und um ein Exemplar bat. Sein Vater kam darin vor: Lászlo Szápáry (* 1910; † 1998), einer der besten Flintenschützen seiner Zeit, jagdlich wahrscheinlich sogar der beste. Ich hatte das Glück, ihn als junger Bursch auf mehreren Jagden am Stand zu begleiten und das noch größere, viele Stunden mit ihm auf dem Jagdparcours meiner Schulstadt Hollabrunn zu verbringen. Danach verköstigte ich ihn in meiner Studentenbude. Er war da recht anspruchslos, nur viel musste es sein. Dabei war er ein auch im hohen Alter noch komplett durchtrainierter Mann, war zeitlebens ein großer Sportler, brillierte nicht nur mit der Flinte, sondern ebenso mit dem Tennisracket, war Langstreckenläufer, Skirennläufer, Boxer.
„Ich hab auch ein Büchl geschrieben, heißt Flinte. Schaus Dir mal an“, schrieb Nicky. Ich bestellte und bekam das meines Erachtens beste verfügbare Buch über das Flintenschießen. Nicky Szápáry (recte Nikolaus Graf Szápáry de Muraszombath, Széchysziget et Szapár) ist Schließlehrer und Sportschütze, zweifacher Olympiateilnehmer, trainierte unter anderem die deutsche Nationalmannschaft. Vor allem aber hat er Sportwissenschaften studiert und hat die für eine saubere Flintenführung notwendigen Bewegungsabläufe perfekt seziert und in seinem Buch „Flinte“ nachvollziehbar dargestellt.
Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte mit jeweils mehreren Kapiteln und führt den Leser ohne Umschweife und nutzlose Erlebnisberichte gezielt in und durch die Anfänge, den Aufbau und die wichtigsten Situationen des Flintenschusses – beginnend mit der Waffe und deren Eigenschaften über die Grundlagen der Flintenführung bis in spezielle Situationen wie Schuss im Sitzen, Stichfasan, Stehenbleiben, Winkelspiel etc.
Im Folgenden zitiere ich einige Absätze, die die Klarheit und Methodik des Buches wie des Autors besser illustrieren als ich es könnte:
»Der Baukran als Modell
Der Schütze mit der Flinte ist vergleichbar mit einem großen Baukran. Der Baukran bewegt seinen Ausleger durch eine Bewegung in seiner Basis. Der ganze Kran dreht sich und deshalb auch der Ausleger. Beim Flintenschützen sind die Fuß- und Kniegelenke die Basis, von wo die Bewegung ihren Ausgang nimm. AIs Folge wird damit der gesamte Körper gleichmäßig in die gleiche Richtung bewegt. Der Flintenschütze, der also seine Beine versteift und versucht, durch das Verspreizen der Beine einen festen Stand zu erreichen, erschwert die Aufgabe gegenüber jenem, der seine Beine bewegungsbereit und im Kniegelenk locker halt.
Die Schwingtür als Modell
Verwenden wir nun als Verständnishilfe eine Türe als Modell. Schwingt man ein Türblatt in der Angel, so kann man unschwer erkennen, dass sich die Oberkante des Türblattes in einer Ebene bewegt. Stellt man sich nun vor, dass an das Türblatt eine Flinte montiert ist und schwingt man damit hin und her, so bewegt sich der Flintenlauf auch in einer Ebene oder auch entlang einer Geraden, je nachdem, wie man es betrachten mochte. Auch die meisten unserer Ziele bewegen sich annähernd entlang einer Geraden. Denken wir nur an streichende und ziehende Vögel oder auch an Wurfscheiben. Übertragen wir dieses Modell auf unseren Körper und bewegen wir diesen wie in einem Scharnier um eine einzige Drehachse, so müsste die Flinte sich auch hier automatisch entlang einer Geraden bewegen. Die Aufgabe besteht nun darin, meine Drehachse auf die jeweilige Bewegungsbahn des Zieles so einzustellen, dass jede Drehbewegung parallel dazu verläuft (…) Als Merksatz kann man sich einprägen: „Die Schultern parallel zur Bewegungsbahn des Zieles, Brust zeigt zum Ziel.“
Präziser und nachvollziehbarer lässt sich die richtige Körpersteuerung meines Erachtens kaum beschreiben. Die richtige Haltung dabei illustriert Szápáry einfachst mit dem Vergleich zum Boxsport (Siehe Abbildung).«

Häufig kommen beim Wurftaubenschießen oder auch auf der Jagd Schüsse vor, die das Ziel mit wunderbarer Präzision treffen, bei denen man sich aber keinerlei Gedanken gemacht hat, den Schuss sozusagen „vegetativ“ abgegeben hat. Der nächste Schuss auf ein ähnlich fliegendes Ziel geht dann aber gern meilenweit vorbei, weil man versucht hat, den Schuss von eben bewusst zu wiederholen. „Paralysis by analysis“ – „Lähmung durch Analyse“ nennen englischen Schießlehrer dieses Phänomen gern. Szápáry erklärt es deutlich einfacher:
»Besser als der gezielte Schuss: Der Schnappschuss
Wieso klappt der Schnappschuss besser als der gezielte Schuss? – Die Antwort ist sehr einfach: Beim Schnappschuss wird agiert, während bei einem gezielten Schuss lediglich reagiert wird. Der Unterschied liegt in ein paar wenigen Sekundenbruchteilen. Beim Schnappschuss passiert etwas in der Gegenwart in Bezug zur Gegenwart. Ziel und Schussabgabe sind in der gleichen Zeitebene. Beim gezielten Schuss hingegen passiert etwas in der Gegenwart in Bezug zur Vergangenheit. Die Entscheidung zur Schussabgabe liegt in der Vergangenheit, und bis der Schuss das Ziel erreicht, ist dieses längst woanders.
Recht häufig kann man Schützen beobachten, die zunächst nicht auf das erscheinende Ziel reagieren, dann allerdings den Schuss geradezu ,,hinwerfen“. Und das, obwohl ihnen genügend Zeit zur Verfügung gestanden wäre, sich vorzubereiten. Aus einer durchaus normalen Situation wurde somit ein Schnappschuss. Beim Schnappschuss ist die Zeit zwischen der Zielerkennung und der Zielaufnahme bis zur Schussabgabe viel zu kurz, um einen Bewegungsablauf bewusst zu steuern. Das Ziel erscheint plötzlich, man muss auf kürzestem Wege mit der Schussabgabe fertig sein.
Schützen, die das tun, haben offenbar die Erfahrung gemacht, dass sie öfter treffen, wenn sie ihre Handlung zeitlich einengen. Man fordert dadurch einen intuitiven Ablauf heraus – und hat damit keine Zeit, Fehler zu machen! Die naheliegendste Methode dafür ist, im spätestmöglichen Zeitpunkt anzuschlagen. Allein schon dadurch beraubt man sich der ,,Gefahr“, die Mündung anzusehen, um diese bewusst in ein bestimmtes Verhältnis mit dem Ziel zu bringen. Genau hier verliert man nämlich sonst jenen Sekundenbruchteil, der die Gegenwart zur Vergangenheit macht.«
Ich konnte das sowohl bei Nicky, seinem Bruder Peter (ebenfalls ein hervorragender Schütze) als auch bei deren Vater László mehrfach auf Jagden mit hoch und über weites Feld anstreichenden Fasanen beobachten – den Schuss auf solche Ziele rechnen viele namhafte Autoren zu den schwierigsten auf der Jagd. Alle holten mit kurzen, präzisen Bewegungen die Vögel sicher und tot herunter. Denn alle hatten sie sich ein genaues Fenster am Himmel ausgesucht, in das der Vogel kommen musste, bevor sie ihn überhaupt ansahen. Sie hatten sich in der Handlung eingeengt, sich so zum intuitiven Schuss gezwungen. Nicky Szápáry beschreibt das anschaulich durch ein gemeinsames Jagderlebnis mit seinem Vater:
»Der Trieb war längst angeblasen, und mein Vater saß scheinbar unbeteiligt auf einem Sitzstock, ohne einen hoch anstreichenden Gockel zu bemerken. Ich machte mich fertig, um einen verzweifelten Weitschuss zu versuchen, nachdem ihn der Fasan ungesehen überflogen hatte. Dazu kam es aber nicht. Aus seinem Augenwinkel musste er so wie ich den Vogel beobachtet haben, und als dieser auf Schussdistanz herangekommen war, stand er ruhig auf, hob gleichzeitig den Schaft seelenruhig zur Wange, ein ruhiger Schwung, ein Schuss, und der Gockel klappte am Himmel zusammen. Alles geschah wie in Zeitlupe. Der Fasan war noch nicht einmal auf dem Boden gelandet, da war die Flinte bereits nachgeladen und mein Vater saß wieder auf dem Sitzstock, als wäre nichts passiert. Da war keine Hast, keine Hektik, keine überflüssige Bewegung – offenbar „alles zu seiner Zeit“ und wie in Zeitlupe. Mit einem Wort: Perfektion.«
Flinte ist mir zu einem wichtigen Ratgeber geworden, der mir über die Verzweiflungsmomente, die jeder Schrotschütze kennt, oft hinweggeholfen hat. Nicht umsonst sieht mein Exemplar inzwischen stockfleckig und etwas ramponiert aus. Das Buch ist 2016 im österreichischen Jagd- und Fischereiverlag erschienen und im Internet noch gut erhältlich. Ich kann es jedem, der Antworten auf scheinbar unlösbare Fragen zum Flintenschuss hat, nur bestens empfehlen.

Nicky Szápáry erteilt auf Anfrage Unterricht.
Nähere Informationen auf http://www.shotgunpro.com
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KRAUTJUNKER-Kommentar: Aufmerksame Leser dieses Blogs werden es bemerkt haben. Von diesem Klassiker des Flintenschießens wurde schon zuvor eine Buchvorstellung hier veröffentlicht. Diese Rezension wurde ohne vorangegangene Absprache aus einer Lust und Laune heraus geschrieben und mir überraschend serviert. Ich finde ihn so lesenswert, dass ich ihn nicht ablehnen konnte.
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Bertram Graf v. Quadt

Man kann sich gegen schwere erbliche Belastungen nicht wirklich zur Wehr setzen. Damit war die Jagd unausweichlich. Beim Blick in die Generationen gibt es auf weite Sicht keinen männlichen Vorfahr – und nur wenige weibliche – die nicht gejagt hätten. Vater, Mutter, beide Großväter und so weiter und so fort – alles Jäger, und zum Teil hochprofilierte Jäger: der Vater meiner Mutter, Herzog Albrecht v. Bayern, hat die bedeutendste Monographie des 20. Jahrhunderts über Rehwild verfasst („Über Rehe in einem steirischen Gebirsgrevier“) und darin mit viel Unsinn über diese Wildart aufgeräumt. Meine Mutter war an den Forschungen dazu intensiv beteiligt, gemeinsam mit meinem Vater hat sie die Erkenntnisse im gemeinsamen Revier im Allgäu umgesetzt. Nun will und muss aber jeder junge Mensch rebellieren. Ich habe mir dafür aber nicht das jagdliche Erbe ausgesucht, sondern die Schullaufbahn, das nie begonnene Studium, das Ergreifen anrüchiger Berufe (Journalist, pfui!) und anderes mehr. Und ich kann im Rückblick sagen: das war die richtige Entscheidung.
https://wykradt.com/

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Titel: Flinte
Autor: Nicky Szápáry
Verlag: Österreichischer Jagd- und Fischereiverlag
Verlagslink: https://www.jagd.at/?seite=buch&id=743
ISBN: 978-3852081410
Schöne Flinte, ging es mir spontan durch den Kopf. Viele von uns Jägern kennen solche Anblicke gar nicht mehr, einfach weil es vielerorts kein Niederwild mehr gibt. Das ist traurig. Es ist keine Naturkatastrophe, es ist der Mensch, der diese Verarmung der Lebensräume auf dem Kerbholz hat. Es könnte anders sein, würden wir es nur wollen. Jagd kann aktiver Naturschutz sein, früher nannte man das Hege – viele haben leider nicht verstanden, dass es nicht genug ist, dabei nur das Wild in den Focus zu nehmen. Wer den Lebensraum hegt, wird dem Wild die Lebensgrundlagen erhalten oder auch wieder erschaffen. Mit nur wenigen, gut durchdachten Veränderungen in der Landwirtschaft, die nicht die Welt kosten würden, sondern ganz im Gegenteil eine nachhaltige Bodenverbesserung erreichen könnten, wären große Fortschritte möglich. Ich sehe bei uns zuhause, dass es geht. Allan Savory beschreibt es in seinen Büchern z.B. „Holistic Management“ und Vorträgen, zu sehen auf YouTube. Solches Wissen sollten wir Jäger haben, dann könnten wir die richtige Hege leisten. Danach kommt dann die Jagd, so ist es im Leben eines richtigen Jägers.
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Über einen diesbezüglichen Blogbeitrag für den KRAUTJUNKER würde ich mich nicht nur persönlich sehr freuen, ich glaube auch, er stieße auf ein großes Interesse in diesem Forum. Die neuen Medien sind eine Chance für die Bürger, ihre Stimme zu erheben und Mitbürger zu erreichen, die ansonsten nie Kenntnis von diesen Gedanken erhielten…
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