Steinernes Schneidewerkzeug der Oldowan-Kultur

Werkzeug aus der Oldowai-Schlucht, Tansania

1,8 bis 2 Millionen Jahre alt

Dieser, in Tansania vor zwei Millionen Jahren bearbeitete und benutzte, Stein gehört zu den ältesten Werkzeugen der Menschheit. Wobei der „Mensch“ der dies benutzte, noch so rustikal aussah, dass er auch nach Mitternacht auf einem ostwestfälischen Schützenfest nicht mal als Berliner Student durchgegangen wäre.

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Man kann dieses Schneidewerkzeug als Vorstufe unserer Jagd- und Küchenmesser sehen.

Was mich wirklich fasziniert ist sein enormes Alter und wie lange Menschen – oder besser Vormenschen – nur mit Werkzeugen aus Naturmaterialien wie Stein, Holz und Horn arbeiten konnten. Zahlen sind für viele abstrakt, deswegen zeichne ich mal eine Strecke auf, die unsere Vorfahren zurücklegten.

Denkt man sich die 2.000.000 Jahre als eine Distanz von 1.000 m und schauen wir zurück, tauchten die die Neandertaler auf den letzten 150 Metern auf und verschwanden vor 15 Metern. Der erste nachgewiesene Homo sapiens lebte vor 195.000 Jahren in Äthiopien. Er ist 97,5 Meter von uns entfernt. Die Kupferzeit begann vor ca. 8.000 Jahren, also auf den letzten 4 Metern. Die Cheops-Pyramide, errichteten die Alten Ägypter 2.600 vor Christus, von uns aus gesehen in 2,31 Metern. Perikles sprach vor 1,22 Metern in Athen, „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheitdas Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.“ Jesus Christus wurde vor 1 Meter geboren. Mit der Entdeckung Amerikas, des Schießpulvers und des Buchdruckes endete vor 0.26 Metern das Mittelalter, und das Deutsche Kaiserreich der Hohenzollern ist nur 5 Zentimeter weg.

Das sind Eckdaten, oder? Und wenn man sich beim Anblick dieser Wegstrecke verinnerlicht, was für ein kurzes Aufleuchten die Neuzeit ist, akzeptiert man leichter, wieviel Steinzeit noch in uns steckt. Das erklärt auch, warum wir oft denken und handeln, als würden wir in Steinzeithorden mit hundert Mitmenschen leben und was für eine verletzliche Humusschicht unsere westliche Zivilisation ist.

Noch vor wenigen Jahrhunderten folgten viele vernünftige und aufgeklärte Menschen den Berechnungen des Erzbischofs von Armagh. 1650 berechnete er die Erschaffung der Welt, samt Eröffnung des Garten Edens, für Sonntag, den 23. Oktober 4.004. Man mag spontan über diese Ansicht lächeln. Ich bin der allerdings der festen Ansicht, dass unsere Wissenschaft nur den Stand unseres aktuellen Irrtums wiedergibt, und sich unsere Nachfahren in weniger als 366 weiteren Jahren, ob unserer „Erkenntnisse“ genauso an den Kopf packen werden.

Zurück zu dem Steinwerkzeug. Der Naturforscher und Filmemacher Sir David Attenborough beschrieb den Eindruck, den es auf ihn machte, wie folgt:

„Wenn ich diesen Stein in Händen halte, kann ich spüren, wie es war, draußen in der afrikanischen Savanne zu sein, wenn man Fleisch schneiden und beispielsweise einen Tierkadaver zerlegen musste, um an eine Mahlzeit zu kommen.

Wenn man ihn in die Hand nimmt, ist die erste Reaktion: Mensch, ist der schwer, und wenn er schwer ist,  verleiht das deinem Schlag natürlich einige Wucht. Zweitens fällt auf, wie wunderbar er in die Handfläche passt, und zwar so, dass eine scharfe Kante von meinem Zeigefinger zu meinem Handgelenkt läuft. Was ich jetzt in der Hand halte, ist also ein scharfes Messer. Mehr noch: Der Stein besitzt eine Wölbung, so dass ich ihn an der Kante, die extra abgeschlagen und scharf ist, fest greifen kann … Damit könnte ich auf wunderbar effektive Art Fleisch zerschneiden. Diese Empfindung verbindet mich mit dem Menschen, der den Stein tatsächlich mühsam einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal auf der einen Seite bearbeitet hat und dreimal auf der anderen Seite … insgesamt also acht bewusste Handlungen von ihm, als er den Stein mit Hilfe eines anderen Steins zugehauen hat, um diese fast gerade, scharfkantige Linie hinzubekommen.“

Unseren Vorfahren, die ohne beeindruckende Zähne oder Klauen ausgestattet waren, eröffnete das Steinwerkzeug ungeahnte Möglichkeiten. Sie konnten damit Fleisch von den Knochen eines Kadavers abschneiden, Bäume entrinden oder Wurzeln schälen. Er ist der erste Inhalt des Werkzeugkastens, mit dem wir, von Afrika ausgehend, nahezu jede Region der Erde eroberten.

Wahrscheinlich waren unsere frühen Vorfahren noch nicht einmal Jäger, sondern Opportunisten. Es mag sein, dass sie sich die Beute sicherten, die große Raubtiere erlegt hatten. Mit dem Fleisch, dass sie nun mundgerecht verarbeiten konnten, hatten sie das große Protein-Los gezogen, denn nur aus dieser neuen Nahrungsquelle, konnten sie die Energieüberschüsse erwirtschaften, die für das Wachstum und den Betrieb großer Gehirne notwendig war. Noch schlauere Urmenschen konnten klüger handeln, bessere Werkzeuge entwickeln und Kinder mit größeren Gehirnen durchfüttern, welche noch erfolgreicher wurden. Ein Weg wurde eingeschlagen, der schließlich in unser Zeitalter führte.

Noch einmal zitiere ich Sir David Attenborough:
„Dieses Objekt bildet die Grundlage eines Prozesses, der bei den Menschen fast schon zu einer Obsession geworden ist. Es handelt sich um etwas, das aus einer natürlichen Substanz geschaffen wurde zu einem speziellen Zweck und auf spezifische Weise, wobei derjenige, der es herstellte, eine Vorstellung davon hatte, wozu er es benutzen wollte. Ist es komplexer, als es eigentlich sein müsste, um seine Funktion zu erfüllen? Wie mir scheint, ja. Musst er wirklich auf der einen Seite fünfmal etwas abschlagen und auf der anderen Seite dreimal? Hätten auch je zwei Mal gereicht? Ich glaube, ja. Ich glaube, der Mann oder die Frau, die dieses Werkzeug in Händen hielten, fertigten es nur speziell für diesen Zweck und bezogen möglicherweise eine gewisse Befriedigung aus dem Wissen, dass es diese Aufgabe höchst effektiv, höchst ökonomisch und höchst akkurat erfüllen würde. Später würde man sagen, er hat es wunderschön gemacht, aber das war damals wohl noch nicht der Fall. Die Menschen standen erst am Beginn einer Reise.“

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es nicht nur eine Facebook-Gruppe, sondern jetzt auch Outdoor-Becher aus Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

eine-geschichte-der-welt

Dieser von mir verfasste Text ist die Zusammenfassung eines Kapitels aus „Die Geschichte der Welt in 100 Objekten“. Vieles habe ich weggelassen, weniges hinzugefügt.

Anhand von durch Menschen erstellte Exponate des Britischen Museums, begleitet der Leser des Buches die Reise unserer Spezies von ihren Anfängen bis in unsere Zeit. Der Autor ist Neil MacGregor, seinerzeit Direktor des Britischen Museums in London und seit 2015 Gründungsintendant des Humboldt-Forums in Berlin.

Das Bild des Objektes ist nicht das Originalfoto aus dem Buch, sondern wurde, für eine Handvoll Rotweinkuchen, in Slot Halemesje zuerst per Hand nachgezeichnet und mithilfe eines mysteriösen digitalen Schamanismus am Computer nachempfunden. Hut ab vor der verborgenen Künstlerin!

Nur ein paar Pressestimmen zum Buch…

Tim Sommer, art – Das Kunstmagazin: „Dieses Buch ist so schön, so klug und so richtungsweisend, dass es eigentlich in jede Bibliothek gehört.“

Alexander Cammann, Literaturen: „MacGregors Geschichte der Welt in 100 Objekten ist eines der wundervollsten Sachbücher der letzten Jahrzehnte.“

Elisabeth von Thadden, Die Zeit: „Diese Geschichten sollten nie aufhören.“

Tilmann Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Macht süchtig.“

Spiegel Online: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/weltgeschichte-in-100-objekten-schreib-das-auf-kalaschnikow-a-795378.html

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Autor: Neil MacGregor

Verlag: C.H.BECK

Es gibt den Titel in zwei deutschen Versionen: http://www.chbeck.de/trefferliste.aspx?q=Die+Geschichte+der+Welt+in+100+Objekten&action=search&page=0

Kleine Leseprobe: http://www.chbeck.de/fachbuch/zusatzinfos/Leseprobe_Eine-Geschichte-der-Welt-in-100-Objekten.pdf

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Mehr Geschichte auf KRAUTJUNKER:

https://krautjunker.com/2016/10/27/der-auerochs-seine-faehrte-in-unserer-kultur/

https://krautjunker.com/2016/08/17/die-neandertaler-jaeger-mit-glueck-und-verstand/

https://krautjunker.com/2016/07/27/die-wikinger-das-zeitalter-des-nordens/

https://krautjunker.com/2016/07/13/feuer-fangen-wie-uns-das-kochen-zum-menschen-machte-eine-neue-theorie-der-menschlichen-evolution/

https://krautjunker.com/2016/06/21/kurtisanen-und-meeresfruechte-die-verzehrenden-leidenschaften-im-klassischen-athen/

https://krautjunker.com/2016/06/16/218/

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