von BEEF!
Rohe Nahrung ist ein Zeichen für Zivilisation. Denn die ersten Menschen haben Sand gegessen. Heißt es jedenfalls in afrikanischen Mythen. Noch heute gibt es bei den Dogon, einer afrikanischen Volksgruppe in Mali, das Ritual, vor dem Bau eines Hauses Sand zu verspeisen. Das soll angeblich an die frühesten Tage der Welt erinnern.
Der Brauch, Erde zu essen, nennt sich auch Geophagie, und es gibt ihn in vielen Teilen der Welt. Er kommt bei religiösen Zeremonien vor, manche empfehlen ihn bei Schwangerschaften, manchmal geschieht es aus purer Not. Einigen scheint es einfach geschmeckt zu haben.
Aber selbst in den frühesten Tagen der Menschheit, haben sich unsere Vorfahren nur in Ausnahmefällen von Erde ernährt. Obst, Wurzeln und Fleisch standen auf dem Speiseplan des Homo habilis, des „geschickten Menschen“, der, so vermutete man in den 1960er-Jahren, ersten Art unserer Gattung, die Steinwerkzeuge herstellte. Über eine Million Jahre lang war der Mensch ein Rohköstler, wenn auch kein veganer: Der älteste Nachweis menschlicher Nahrung ist 1,5 Millionen Jahre alt − mit Steinklingen abgeschabte Antilopenknochen und aufgebrochene Markknochen wurden entdeckt. Der Urmensch wäre wahrscheinlich BEEF!-Abonnent gewesen.
ENTWICKLUNGSSCHUB DURCH GEKOCHTE NAHRUNG
Doch zu dieser Zeit hatte sich der Speiseplan unserer Vorfahren bereits verändert. Vor etwa 1,9 Millionen Jahren waren die Backenzähne der frühen Menschen schmaler und das Darmvolumen kleiner: Der Homo erectus betritt die Bühne. 2011 kamen Forscher aus Harvard zu dem Schluss, dass dies dem Übergang von roher zu gekochter Nahrung zu verdanken war. Funde aus der Wonderwerk-Höhle in Südafrika lassen vermuten, dass der Mensch bereits vor mehr als einer Million Jahren das Feuer zur Nahrungszubereitung nutzte. Erste gesicherte Funde von Herdstellen aus der Nähe von Nizza und Peking sind etwa eine halbe Million Jahre alt.

Bald danach lässt sich der Gebrauch von Feuer in ganz Europa nachweisen. Die Folgen waren dramatisch: Vor allem gab es eine deutlich bessere Work-Life-Balance, weil wesentlich weniger Zeit für die Nahrungssuche aufgewendet werden musste. Neue Werkzeuge wurden hergestellt und an der gemeinsamen Feuerstelle soziale Fähigkeiten erlernt. So war das Kochen eine der entscheidenden Voraussetzungen zur Entwicklung des Homo sapiens. Jacques Barrau (1925-1997), der ehemalige Direktor des Pariser Musée de l’Homme, formuliert es so: „Die kulinarische Geschichte, wenn nicht die Geschichte überhaupt, begann damit, dass die Menschen das Feuer bändigten.“
DER ÜBERGANG VON NATUR ZUR KULTUR
In unseren Breitengraden wurde vor etwa 150.000 Jahren, in der mittleren Altsteinzeit, das Kochen von Speisen zur Routine. Feuerstellen waren die Zentren des Neandertaler-Zusammenlebens. Die Erhitzung der Nahrung machte die Liste des Essbaren deutlich länger, auch die Zubereitung veränderte sich: Neben Braten und Grillen trat das Kochen in Flüssigkeit, wenn auch nicht in einem Kochtopf. Vielmehr füllten unsere Vorfahren Erdgruben mit Wasser und brachten es durch die Zugabe heißer Steine zum Sieden. Das Essen wurde dadurch nicht nur leichter verdaulich, das Abtöten von Keimen und Parasiten ermöglichte auch die Vorratshaltung.
Als der Homo sapiens sesshaft wurde, setzte der nächste große Entwicklungsschub ein. Denn die freien Tage des Jagens und Sammelns waren passé. Vor etwa 17.000 Jahren erbauten Menschen im Nahen Osten dauerhafte Siedlungen und bauten Nutzpflanzen an. Hirtennomaden domestizierten Wildtiere und züchteten Vieh. Kulinarische Techniken wie Pökeln und Fermentieren wurden entdeckt: Man röstete Getreide und verarbeitete es zu Mehl und schließlich zu Brei oder Brot, erzeugte in gereinigten Schafsmägen Käse. Trauben wurden zu Wein vergoren, Bier wurde gebraut. Die Grundlagen für unsere heutige Ernährung wurden gelegt.
Diese enorme Entwicklung hat in unserem Gedächtnis tiefe Spuren hinterlassen. Der Schritt von der Natur in die Kultur war eng mit unserem Essen verknüpft. Der britische Primatenforscher Desmond Morris hat in seinem Bestseller „Der nackte Affe“ die These vertreten, dass wir Fleisch erhitzen, weil wir wie unsere Vorfahren die Temperatur der Beute spüren wollen. Vollziehen wir also beim Kochen jedes Mal einen nostalgischen Akt der Barbarei? Verwandeln wir uns an der Bratpfanne zurück in einen Steinzeitjäger?
Keineswegs, sagt der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss (1908- 2009). Für ihn markiert der Verzehr der durch Feuer erhitzten Nahrung den Beginn der Zivilisation. Bei seinem Studium der Mythen indigener Völker Südamerikas ist „Das Rohe und das Gekochte“ ein zentraler Gegensatz. Rohe Nahrung war der Ausgangspunkt. Sie faulte, wenn man sie sich selbst überließ und nicht weiter verarbeitete. Das Rohe und das Verfaulte, das waren die beiden natürlichen Zustände der Nahrung. Kochte man die Nahrung dagegen, verwandelte sie sich in etwas anderes, sie wurde buchstäblich Kultur. Lévi-Strauss destillierte aus diesen Beobachtungen sein „kulinarisches Dreieck“. Für viele ist es noch heute das gültige Zustandsmodell unserer Lebensmittel:
Abb.: Strauss: Das Rohe und das Gekochte (Quelle: Internet)
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Krautjunker-Kommentar: Das Kapitel im Buch ist noch mit einem weiteren Foto und einer anderen Grafik illustriert. Aus rechtlichen Gründen habe ich in diesem Blogbeitrag auf dieses Bildmaterial verzichtet.
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Anmerkungen
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Titel: BEEF! RAW: Meisterstücke für Männer
Autor: BEEF! Redaktion
Verlag: Tre Torri Verlag GmbH
Verlagslink: http://www.tretorri.de/novitaeten_2/beef-raw
ISBN: 978-3-96033-010-3
Fotocredit: Stefan Thurmann für Tre Torri Verlag
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