Eiszeitjäger: Das Magdalénien

Die Menschheit des 21. Jahrhunderts verfügt über Star-Wars-Technologie, mittelalterliche Sozialstrukturen und Steinzeitinstinkte, so heißt es. Auf KRAUTJUNKER habe ich mich mehrfach mit dieser Epoche beschäftigt, denn es fasziniert mich, dass dies der längste Zeitabschnitt der menschlichen Geschichte ist, von dem wir fatalerweise am wenigsten wissen. In dem Beitrag Steinernes Schneidewerkzeug der Oldowan-Kultur (Link siehe Anmerkungen) habe ich einen Zeitstrahl berechnet, um die abstrakten Eckdaten dieser ungeheuren Zeiträume zu visualisieren. Stellt man sich den Beginn der Steinzeit vor 2.000.000 Jahren als 1.000 Meter lange Strecke vor, so beginnt die Kupferzeit erst auf den letzten vier Metern. Das Mittelalter endete erst vor ungefähr 26 Zentimetern. So wie wir in der Neuzeit leben ist also, auf die Lebenszeit unserer Spezies gesehen, eine sehr neue Entwicklung. Kein Wunder, dass uns Steinzeit-Instinkte beherrschen.

Eine besonders spannende Epoche der Steinzeit ist das Magdalénien. So freue ich mich, aus dem Begleitbuch zu der von mir 2015 besuchten Ausstellung,  Eizeitjäger. Leben im Paradies, mehrere spannenden Fachbeitrag publizieren zu dürfen. Der Textausschnitt stammt aus dem Kapitel 

Jäger und Sammler am Ende der letzten Kaltzeit in Mitteleuropa – Das Magdalénien

von Michael Baales

In Westeuropa, primär in Nordspanien und in Südwestfrankreich, entwickelte sich um etwa 18.000 v. Chr. die klassische späteiszeitliche „Jägerkultur“ des späten Jungpaläolithikums, das Magdalénien (Aura et al. 2012; Ducasse 2012). Das Magdalénien erfährt eine schnelle Ausbreitung nach Osten (Miller 2012), so dass sich wieder ein mehr oder weniger einheitlicher Kommunikationsraum von Spanien bis in das östliche Mitteleuropa hinein etablierte. Süd- und Südosteuropa sowie die ukrainisch-russischen Steppen folgten dagegen teils eigenen Wegen, doch findet sich auch Verbindendes (z. B. in den Kunstäußerungen dieser Zeit).

Die früheste Expansion des Magdalénien weit nach Osten ist durch einige wenige Fundstellen dokumentiert. Besonders wichtig ist hier die Maszycka-Höhle in Süd Polen, wo seit dem späten 19. Jahrhundert ein umfangreiches Fundmaterial – darunter zahlreiche Menschenreste – geborgen worden war.

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Besondere Gerätschaften aus Rentiergeweih ließen eine enge Verbindung zur sog. Magdalénien-Fazies à navettes in Frankreich erkennen.Die (korrigierten) Radiokarbondatierungen dieser Funde um 16.200 v. Chr. beschreiben einen Zeitbereich (Kozlowski et al. 2012; Terberger 2013, 433), der nach der Klimakurve ein längerer, relativ milder Zeitraum war. Dies spricht dafür, dass einzelne Menschengruppen recht schnell von West- bis ins östliche Mitteleuropa vordringen konnten und dort einen – offenbar – weitgehend leeren Siedlungsraum vorfanden. Um hier aber existieren zu können, mussten sie mit den weit verstreut lebenden Nachbargruppen in Kontakt bleiben, da ansonsten das Überleben der eigenen Gruppe nicht gewährleistet war. Ein vitales soziales Beziehungsgeflecht war daher äußerst wichtig. Dies konnte nur durch hohe Mobilität aufrechterhalten werden, denn die wenigen Gruppen lebten verstreut in einem quasi menschenleeren Raum. Für die Fläche der heutigen Bundesrepublik Deutschland wird zu dieser Zeit nur von wenigen Tausend Menschen ausgegangen (Zimmermann 1996). Mobilität war also überlebensnotwendig. Und das spiegelt das Fundmaterial des Magdalénien wider, in dem auf ihren Fundplätzen regelmäßig exogene Rohstoffe – vor allem solche für Steingeräte (vgl. Poltowicz 2007; Maier 2012) – aus teils weit über hundert Kilometern Entfernung gefunden werden, die auf die regelmäßige Kontaktpflege von Gruppen untereinander deuten.

Wie eng die Kommunikation über weite Räume funktionierte, demonstrieren auch die Steinartefaktinventare, welche im gesamten Verbreitungsgebiet des Magdalénien generell die gleichen Veränderungen aufzeigen (vgl. Wiśniewski et al. 2012, 319). Für das jüngere  Magdalénien lässt sich dies auch in der Kunst zeigen: So sind die abstrahierten Frauendarstellungen vom Typ Gönnersdorf von Südwestfrankreich bis nach Süd-Polen verbreitet (Höck 1995; Fiedorczuk et al. 2007; Bosinski 2011). Angemerkt sei, dass das eben benannte Gestaltungsprinzip zu dieser Zeit aber auch weit darüber hinaus bis in die russisch-ukrainischen Steppen und vielleicht sogar bis nach Ägypten genutzt wurde (Eiswanger/Hutterer 2004). Auch einzelne Geräteformen zeigen die engen kontakte während des Magdaléniens. Aus dem nordwestschweizerischen Kesslerloch und der Teufelsbrücke bei Saalfeld in Thüringen sind aus Rengeweih gefertigte, skulptierte Speerschleuder-Hakenenden gefunden worden, die zum Typ mit „mit rudimentärem Pferdekopf“ gehören. Diese sind um 14.000 v. Chr. sonst primär in Südwestfrankreich verbreitet (vgl. Bosinski 1982, 54).

Es lassen sich für das  Magdalénien auch regelrechte Kommunikationskorridore rekonstruieren, wo über lange Strecken indirekte Kontakte bestanden. So fanden sich am Mittelrhein, auf den berühmten  Magdalénien-Fundstellen von Gönnersdorf und Andernach (unweit Koblenz im nördlichen Rheinland-Pfalz gelegen), kleine Schneckengehäuse der Art Homalopoma sanguineum. Diese Schnecken leben noch heute an der Mittelmeerküste, also etwa 800 km vom Mittelrhein entfernt (Bosinski 2007a, 186). Das bedeutet nicht, dass die mittelrheinischen Bewohner damals bereits ihre Sommer an der Côte d’Azur verbrachten; vielmehr werden diese kleinen Schmuckstücke im Rahmen regelmäßiger Kontakte von Gruppe zu Gruppe als Preziosen immer weiter in den Norden „gewandert“ sein (Baales 2005; 105 f.).

Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Jäger auch weite Wanderungen unternahmen. So sind auf Schieferplatten der mittelrheinischen Fundstellen mit ihren unzähligen Gravuren von schematischen Frauen- und realistischen Tierdarstellungen (siehe Beitrag G. Bosinski in diesem Band) auch solche von Robben zu finden (Bosinski 2007a, 253 ff.), doch ist es zweifelhaft, ob diese Tiere den Rhein soweit hinauf geschwommen sind. Möglicherweise sahen Mitglieder mittelrheinischen Jägergruppen die Tiere an den weit entfernten Meeresküsten, was aufgrund der Meeresspiegelabsenkung während der letzten Kaltzeit eine noch deutlich größere Distanz bedeutete, als sie es heute schon ist. Interessant ist, dass in Andernach kürzlich ein organisches Gerät aus – höchst wahrscheinlich – Walknochen (Langley/Street 2013) im Fundmaterial identifiziert werden konnte (doch kann dieses Stück natürlich auch wie die Meeresschneckenschalen von benachbarten Gruppen weitergereicht worden sein). Ein Begleiter des Menschen war bereits der Hund, der möglicherweise schon viele Jahrtausende zuvor aus gezähmten Wölfen domestiziert worden war (Thalmann et al. 2013), und der den Menschen als erstes Nutztier (z. B. zum Materialtransport) und als Notreserve (vgl. Street 1989b) zur Verfügung stand. Der Hund ist der erste bis heute nachwirkende Eingriff des Menschen in seine Umwelt.

Die Jäger und Sammler des Magdalénien lebten in einer nahezu menschenleeren Steppenlandschaft, in der saisonal wandernde Tierherden aus Pferden und Rentieren die Lebensgrundlage bildeten, an die sich die Menschen in ihrer Lebensweise anzupassen wussten. Mammute und Wollnashörner waren in Mitteleuropa zu dieser Zeit zwar auch noch anzutreffen, wurden aber im Laufe der Zeit immer seltener. Die Hauptwaffe der Jäger war die Speerschleuder, eine Kompositwaffe, von der sich nur Teile des Hakenendes – das oft kunstvoll ausgestaltet war (s. o.) – sowie die Geschossspitze des Speeres aus Geweih oder Elfenbein erhalten hat (Stodiek 1993). Der Hauptteil bestand aus Holz, das es also auch in gewissem Umfang in dieser baumarmen, tundrenartigen Steppenlandschaft gegeben haben muss. Ob zu dieser Zeit – vielleicht sogar noch früher schon in Westeuropa – bereits Pfeil- und Bogen bekannten waren, ist umstritten (vgl. Junkmanns 2013). Immerhin wird von der Spätmagdalénienstation Saaleck in Sachsen-Anhalt ein sog. Pfeilschaftglätter beschrieben (Grünberg 2004, 256).

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Die Speerschleuder war im späten Jungpaläolithikum eine effektive Jagdwaffe.

KRAUTJUNKER

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

Eiszeitjäger Leben im Paradies

Titel: Eiszeitjäger – Leben im Paradies

Koordination: Liane Giermsch und Ralf W. Schmitz

Redaktion, Lektorat: Morten Hegewisch und Heidrun Voigt

Autor des Kapitels: Michael Baales 

Verlag: Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH; Auflage: 1 (22. Oktober 2014)

ISBN-13: 978-3943904802

Verlagslink: http://www.na-verlag.de/?s=Eiszeitj%C3%A4ger

Bildnachweise: Das Titelbild ist von meinem Ausstellungsbesuch, die beiden Fotos im Text durften mit freundlicher Genehmigung des Verlages dem Kapitel des Buches entnommen werden.

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Ausstellungs-Link: http://www.landesmuseum-bonn.lvr.de/de/ausstellungen/archiv/eiszeitjaeger/eiszeitjaeger_1.html

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KRAUTJUNKER über die Steinzeit

https://krautjunker.com/2017/03/19/die-speere-von-schoeningen-homo-erectus-und-die-%E2%80%8Adeutsche%E2%80%8A-vorgeschichte/

https://krautjunker.com/2016/11/28/steinernes-schneidewerkzeug-der-oldowan-kultur/

https://krautjunker.com/2016/08/17/die-neandertaler-jaeger-mit-glueck-und-verstand/

https://krautjunker.com/2016/07/13/feuer-fangen-wie-uns-das-kochen-zum-menschen-machte-eine-neue-theorie-der-menschlichen-evolution/

https://krautjunker.com/2016/06/16/218/

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