von Wolfgang Kretschmer
Pilze zu essen und zugleich deren Aktivitäten ausgeliefert zu sein, ist das Schicksal des Hominiden. Steinpilze zu sammeln und zu trocknen, sie wieder aufzuweichen und im Risotto mit fein gehackter Petersilie überstreut zu genießen, zählt zu seinen friedfertigen kulturellen Höchstleistungen. Millionen von Jahren schon hatten Pilze diese Erde und alles Getier besiedelt, bevor der erste Mensch seiner selbst gewahr wurde. Womöglich hat er sein Immunsystem samt Hirn auch in evolutionärem Kontakt mit der geheimen Übermacht der Pilze entwickeln können. „Wie viel Mensch steckt im Pilz und umgekehrt?“, fragt sich Dr. Kerstin Voigt, Leiterin des großen Pilz-Referenz-Zentrums der Uni Jena. Voigt streitet in ihrer Habilitationsschrift gar für die These, dass mit den Joch-Pilzen auch der Sex in die Welt gekommen sei, weil sie ganz schlau begannen, genetisches Material mit ihren Wirtspflanzen auszutauschen. Pilz und Mensch seien als parasitäre Lebewesen einander näher verwandt, als man gemeinhin ahne, meint die Wissenschaftlerin.
Mittlerweile hält sich die Krone der Schöpfung Pilze wie Haustiere, um Brot und Bier, Wein, Käse und Medizin zu machen. Fuß- und Atompilz hat der Mensch noch nicht unter Kontrolle. Auch den Handel mit getrockneten Steinpilzen nicht. Die Stiftung Warentest hat sich mit diesem trockenen Thema, Warencode 28000, noch nicht befasst. Die Wissenschaftler sind noch uneins, ob der Pilz eher ein Pflanze ist oder doch ein Tier. Vorsichtshalber erklären sie ihn zu einer sehr aktiven Art von Zwischending. Voigt meint, der Pilz sei ein stationäres Tier. Als größtes Lebewesen dieser Welt gilt ein an der US-Westküste in Oregon Bäume fressender, sich quadratkilometerweit ausbreitender Hallimasch. Diesen Pilz kann man auch hierzulande finden, und in manchem Dialekt heißt er „Heil im Arsch“. Erstaunlich ist der äußerst gewandte Umgang des mitteleuropäischen Menschen mit bildhafter Sprache, wenn es gilt, Pilzgewächse, „das Fleisch des Waldes“ zu definieren. Ein weiterer Hinweis auf modern anmutende Kenntnisse der Altvorderen die Pilze zur Jäger- und Sammlerzeit fürs Überleben nutzten. Bei der mehr als 5000 Jahre alten Ötzi-Leiche fand man einen getrockneten Birkenporling. Der schien damals in Wasser aufgekocht gegen sämtliche inneren Leiden zu helfen, nur nicht gegen feindliche Bogenschützen.
Wie aus der Zeit der Brüder Grimm lesen sich Namen wie Nebelgrauer Trichterling, Nackter Ritterpilz, Rotzer und Rübling. Als Cortinarius praestans ist der Blaugestiefelte Schleimfuß, auch Schleierei
ule geheißen, registriert. Die genannten Pilze sind wohlschmeckend aus der Pfanne zu genießen, wenn man sie denn in Wald und Flur noch findet und bei der Zubereitung einige Regeln beachtet. Die Ausschaltung der Erbtante per Pilzgericht scheint längst aus der Mode gekommen, weil das Altenheim hier schneller war. Der moderne arbeitslose Enkel bevorzugt die Selbstvernichtung mittels mexikanischer Zauberpilze. Was wir als Pilze verspeisen, ist wissenschaftlich betrachtet nur der Fruchtkörper. Die genießbaren Schirme, Hüte, Kappen und Keulen werden zum Zweck der Fortpflanzung zwar überirdisch manchmal nett präsentiert, roter Hut, weiße Tupfer, zugleich aber von einem unüberschaubaren Geflecht im Wald- und Wiesenboden ernährt. Das Waldsterben jedenfalls haben viele überlebt. Was Pilze womöglich im Weltraum treiben, warum und wie sie sich auf dieser Erdkugel einpflanzen und ob sie genetisch mit Algen verbandelt sind, ist noch nicht ausgeforscht. Die Bibel schweigt zu diesem Thema. Deutsche mögen Pilze zu Fressen gern. Fritz und Friederike zieht es frühmorgens auf die Wiesen und in die Wälder, um zu walken und zu joggen. Sie freuen sich über jeden Pfifferling und landen letztendlich doch bei den Heidelbeeren. In der Nachkriegszeit waren Heerscharen hungernder Deutscher in den Wäldern unterwegs, um „in die Pilze zu gehen“. Mittlerweile weiß kaum noch jemand Parasol und Schopftintling auseinanderzuhalten.
Gegessen werden Pilze in der sogenannten „Bürgerlichen Küche“ meist als Champignons aus der Dose auf der Pizza und zum Schnitzel in in sahniger Soße. Die Fülle von abgepackten frischen Champignons, Austernseitlingen und asiatischen Pilzen in gediegenen Supermärkten lässt allerdings ahnen, dass auch Fritz und Friederike mittlerweile gelernt haben, Pilzware zu putzen und im Verein mit einer raffinierten Tütendosis von Maggi und Knorr vom Herd auf den Tisch zu bringen. Viele Profi-Köche ahnen allenfalls woher genau etwa die getrockneten Steinpilze stammen, die sie in Wasser oder Wein, in Milch oder Sherry einweichen und später zum Risotto rühren. Wer sich als Hobby-Koch nicht selber bücken, Pilze finden, identifizieren und trocknen mag, bedient sich zur Urlaubszeit etwa in Italien auf Märkten aus einer schier überwältigenden Fülle von riesigen Tüten mit getrockneten Steinpilzen. Das die durchsichtigen Behältnisse einen ersten Blick auf die dürren Pilzschnittchen erlauben, täuscht darüber hinweg, dass bei der Ware viel gepfuscht wird. Das Hirn fühlt sich angenehm beseelt, wenn bei Öffnung der Steinpilztüte ein überwältigender Duft den Körper beschwingt. Im Roman Das Parfum erwähnt Patrick Süskind in keiner Zeile den (Stein-)Pilzduft, der den verdrucksten Sexismus dieses seltsamerweise so erfolgreichen Werkes konterkariert hätte. Auf der finalen Flucht zum Fischmarkt nach Paris frisst Grenouille nur um des Überlebens Willen auch Steinpilze vom Straßenrand. Getrocknete Steinpilze stimmen milde, nicht mörderisch. Für dieses sämtliche Sinne überwältigende Konzentrat aus Waldbodengeruch, Nebelnässe, später Sonne und moosiger Reife mit Liebstöckel-Note bringt man keine Jungfrau um, man lädt sie ein.
Die Südtirolerin Martha Höllriegl, 87, oberhalb von Brixen bei St. Leonhard, eine Pilzsammlerin aus Leidenschaft, meinte dass getrocknete Steinpilze stinken. Sie friert die Steinpilze ein. Drehe man den Steinpilz vorsichtig aus der Erde, rieche er „angenehm obstig“, schreibt Gabriele Textor in Trüffel und andere Edelpilze. Viel mehr über den „Herrenpilz“ erfährt man nicht im ziegelsteinschweren Buch von Deutschlands prominentesten Kulinaria-Händler Ralf Bos. Man muss das wunderschön fotografierte Werk mehrere Wochen lang in der Scheune lüften, um den 69 Euro teuren Druckerschwärzegestank aus der Wohnung zu vertreiben. Toller noch als die Deutschen treiben es die pilzverrückten Italiener. Zu den besten Jagdzeiten holt man sich für 5 Euro im zuständigen Südtiroler Rathaus den begehrten Pilz-Sammelschein. Der gilt mal für gerade, mal für ungerade Tage. Ganze Heerscharen von Familienverbänden reisen auch im Bus aus der Po-Ebene an und stöbern durch die Wälder auf der Suche nach „Porcini“, den Schweinesteinpilzen. In Südtirol und im Trentino gibt es im Herbst an Wochenenden auf vielen Waldsträßchen kein Durchkommen. Die Wege sind zugeparkt. Die Forstpolizei blockiert oft blitzartig Zufahrtsstraßen, Pilzscheine und Körbe werden kontrolliert.
Fern aller Romantik des Wälderdurchstreifens ist der Handel mit getrockneten Steinpilzen längst zum Massenmarkt verkommen. Mit Ware aus aller Herren Länder konkurrieren Sammler in Südtirol um die duftende Zutat für Pasta und Risotto. Die Lebensmittel-Industrie und deren Chemiker plündern geschmackliche Pilz-Varianten aus, um sie für Fertignahrung neu zusammenzusetzen. Der Gesetzgeber kommt kaum noch nach, die Steinpilzqualität in der Soße oder in der Tortellini-Füllung zu überprüfen, er scheint mittlerweile vor den Multis in der Pilzbranche und deren globalem Geflecht kapituliert zu haben. Ausgerechnet in der als bürokratisch geltenden Schweiz wurde zum 1. Mai 2002 „die obligatorische Handelspilzkontrolle aufgehoben“, meldete das Kantonale Labor Zürich. Fortan habe der Importeur oder der Gastwirt nach Artikel 23 des eidgenössischen Lebensmittelgesetzes Selbstkontrolle auszuüben, um dem Kunden einwandfreie Ware anzubieten. Leicht pikiert schoben die Labor-Experten nach, „dass die Qualität von im Handel erhältlichen Trockenpilzen nach wie vor inakzeptabel ist“. Auf 12 Prozent Wasseranteil heruntergetrocknet wird Boletus edulis, so der Fachbegriff für den echten Steinpilz (Herrenpilz, Doberling, Steinkopf, Pülstling), nach Deutschland geliefert aus Litauen, Lettland, Estland, aus Bulgarien, Pakistan, Bosnien, Portugal, Indien, Ecuador, Italien, China, Kanada, Russland, Ukraine, Türkei, Polen, Serbien, Südafrika und Usbekistan. Der fachkundige Selbersammler aus dem Spessart oder der Rhön darrt die in feine Scheiben geschnittenen einwandfreien frischen Steinpilze auf einem trockenen Tuch ausgelegt oder auf einen Faden gezogen an eine luftigen Ort an der Sonne,
Im Backofen bei nur etwas geöffneter Ofentür, ein Kochlöffelstiel hält Abstand, muss die Temperatur stundenlang immer unter 40 Grad bleiben. In den meisten Herkunftsländern wird die Pilzware oft bei erheblich höherer Temperatur an Sammelstellen auf Rosten nahe dem Feuer getrocknet. Daher findet man verkokelte Ware in der Tüte. Die Steinpilze werden mit Kohlendioxid begast, um Salmonellen abzutöten, Das nennt sich Entwesung. Auch verdorbene und verwurmte Pilze werden getrocknet, sie riechen dann schon bald muffig und dürften nicht gehandelt werden. Sie werden häufig unter ansonsten einwandfreie Ware gemischt. Manchmal wird auch ein Steinchen zugefügt. Bei einer 15-Gramm-Packung ist das schlichter Betrug. Lagert man selbst getrocknete oder gekaufte Steinpilzware an dunklen nd trockenen Orten, halten sie sich lange. Ein grauer Belag auf getrockneten Steinpilzen gilt als unbedenklich, weil beim Trocknen Mineralstoffe auskristallisieren. Für ein Steinpilzrisotto als Vorspeise bei vier Personen am Tisch reichen 15 bis 20 Gramm getrocknete Schwammerln. Die können bei ökologisch zertifizierter Ware etwa um drei bis vier Euro kosten. Fremdkörper werden gleich herausgetan, und dann lässt man die trockenen Steinpilze mindestens eine Stunde lang, je nach Menüplan, in einem Viertelliter Leitungswasser, Wein oder Sherry aufquellen. Weil die Ware oft schlecht geputzt wurde, fingert man die gequollenen Pilzstücke aus der braunen Brühe, nimmt die letzten Laub- und Moosreste weg und spült die Pilze rasch unter frischem Wasser. Fühlen sie sich schleimig an, sofort alles fortwerfen. Ebenso das Pilzwasser, denn darüber kann man sich Salmonellen in die Küche holen. Bei einwandfreier Ware gießt man das Einweichwasser durch ein mit Tuch ausgekleidetes Sieb in einen Topf, in dem man die Flüssigkeit zusammen mit einem halben Liter selbst gefertigter Gemüse- oder Huhn-Rindfleisch-Bouillon reduziert. Einen Viertelliter Bouillon nachgießen.
In der Fachzeitschrift Die Höfische und Herrschaftliche Küche erregte sich im Oktober 1913 ein Autor darüber, dass bislang empfohlen werde, das Pilzsudwasser wegzuschütten. „Sudwasser? Aber nein! Brühe ist das. Die wohlschmeckendste, würzigste, köstlichste, feinschmeckendste aller Brühen.“ (Engel, Timber, Südwestverlag 1976) In Olivenöl werden fein gehackte Schalotten und so viel Risotto-Reis, wie in eine normale Kaffeetasse passt, glasig geschwitzt. Kurz darauf wird mit Mosel-Riesling oder piemontesischem Roero Arneis abgelöscht und nach Zugabe der Steinpilze gerührt und gerührt, während man ständig von der Pilzwasser-Bouillon nachgießt. Nach der Al-dente-Probe wird der Topf von der Feuerstelle gezogen, man kippt noch ein wenig Wein und vielleicht etwas Sahne nach und lässt den Reis in Ruhe der schlutzigen Vollendung entgegenquellen. Niemals Parmesan darüberreiben. In tristen Jahreszeiten erinnern sich dann Fritz und Friederike an die Pilzjagd bei den Heidelbeeren. Die Fülle der Speisen, in denen getrocknete Steinpilze die Lust auf einen Braten wecken ist unübersehbar. Man kann sie filigran fein gehackt in den Nudelteig walken sowie in Gratins, in Füllungen, in Suppen (russische Schtschi Krapiwaja), in Soßen und Terrinen verwenden. Es kursiert sogar ein Rezept, in dem römisches Maggi, „Liquamen“ genannt, mit Steinpilzpulver hergestellt wird.
Im Unterschied zu anderen Pilzen gelten getrocknete Steinpilze trotz ihres Chitin-Gerüstes als gut verdaulich. Sie enthalten viel Eiweiß, reichlich Kohlehydrate und Mineralstoffe. Im Jahr 2002 (aktuelle Zahlen waren nicht erhältlich) vertilgten die Deutschen etwa 3,2 Kilo frische und konservierte Pilze pro Kopf. An getrockneten Pilzen wurden 22.500 Tonnen insgesamt eingeführt. Wie hoch der Anteil getrockneter Steinpilze daran war, konnte auf Nachfrage die ZMP, die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle, nicht ausweisen. „Die Importe sind nicht nach Pilzarten getrennt, und Preis erheben wir nur für frische Pilze.“ Das Bayerische Amt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) teilte auf Anfrage mit: „Weder über Importzahlen von Trockenpilzen noch über eine Info-Kette Zoll-LGL liegen hier Informationen vor – Handelsdaten fallen nicht in unsere Zuständigkeit. Trockenpilze werden stichprobenartig u.a. auf Keimbelastung und Madengängigkeit (siehe Leitsätze für Pilze und Pilzerzeugnisse des Deutschen Lebensmittelbuches) untersucht.“ Der graue Markt ist offen wie ein Scheunentor. Andere Pilze werden untergemischt. Als radioaktiv belastet gilt die Importware nicht mehr. Auch die porcinigeilen Italiener wollten vielleicht gar nicht genau wissen, dass hinter ihrem Rücken Steinpilze für Pasta und Risotto etwa aus Bulgarien herangeschafft werden. Im Internet kann man einen Vertrag nachlesen. „Funghi STS was born thanks to a threesome (two Italians and a Blugarian) to let a dream come true: to bring to Bulgaria the Tuscan way of enjoying good meals and viceversa – to bring to Italy, and elsewhere, exceptionally tasty fruits like mushrooms and other underwood products.“ Die Bulgarier gelobten extreme Sorgfalt beim Sammeln und Säubern der Pilze. Selbst der Experte mit feiner Nase wird selten in Erfahrung bringen, was er da gerade auf dem Markt gekauft hat, denn der Dickbauchröhrling gedeiht in vielerlei Arten. Josef Holzer, Ökowirt der Seppila-Alm im Südtiroler Gsiesertal, schrieb dem Autor: „Ich habe schon des Öfteren ‚waggonweise‘ Steinpilze aus dem hohen Nordosten (Polen, Lettland u.s.w.) angeboten bekommen. Die werden wohl im Endeffekt auch alle ‚nostrani‘.“
In Deutschland wird der Gewürz- und Trockenpilzmarkt von der Firma Fuchs, Stammsitz Halle, NRW, beherrscht. Die genießt keinen besonders guten Ruf mehr, seit sie sich die Firmen Ostmann, Ubena und Wagner einverleibt hat und 2002 vom Bundeskartellamt wegen Wettbewerbsverhinderung abgestraft wurde. Fuchs-Agenten hatten Einzelhändler bestochen, um Wettbewerber etwa bei EDEKA und REWE aus dem Geschäft zu kegeln. Fuchs-Pressesprecherin Maren Barkowsky rückte trotz mehrmaliger Nachfrage keinerlei Informationen darüber heraus, wo und wie die vom Konzern vertriebenen Steinpilze gesammelt und auf welche Weise die Ware getrocknet und auch zu Pilzpulver geschreddert wird. Dies sei ein „Geschäftsgeheimnis“. Auch die Fira Niklas, die EDEKA, Kaufland und Norma beliefert, verweigerte jegliche Information über die Herkunft ihrer getrockneten Steinpilze, obwohl sie sich auf ihrer Website besonders ökologisch geriert. Die Firma aus dem Bayerischen Wald wirbt: „Wachsendes Interesse des Verbrauchers, zahlreiche Aufträge und Anfragen sprechen für einen hohen Absatz von hochwertigen Pilzprodukten. Ständige Präsenz vor Ort mit weitreichenden Kontakten in aller Herren Länder sichern dem Unternehmen für die Zukunft einen guten Absatzmarkt. […] Unsere Pilze kommen aus heimischen Wäldern, aber auch als Importware aus verschiedenen Ländern, wie zum Beispiel Bulgarien, Kanada, Frankreich, Jugoslawien, Litauen, Österreich, Polen, Portugal, Türkei, USA, Südafrika u.a. Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne die Untersuchungsbefunde zu.“ Auf die Bitte um Aufschlüsselung der Herkunftsgebiete ihrer getrockneten Steinpilze hieß es für den Autor nur Pustekuchen.
Glaubt man dem niedersächsischen Grünen-Politiker Manfred Cybalski aus dem Landkreis Leer, ist es keine einfache Sache, etwa in der Ukraine in den Pilzmarkt einzusteigen. Beim Aufbau seines Karpaten-Pilz-Projekts kam er nicht voran. Man werde bestohlen und kriege kein Bein auf den Boden, klagte er und cancelte am Ende seine aufwendige Karpatenpilz-Website. Während „Iglo“ auf seinen Tiefkühlspinat-Packungen die Kunden einlädt, sich über die Herkunft der Ware zu informieren, machen Deutschlands Pilzhändler um ihre Produkte ein Geheimnis, als hätten sie etwas zu verbregen. Dabei kann man nachlesen, wie es sein sollte. Die Slowakei etwa stellte einschlägige Gesetze ins Internet. „Personen, die mit dem Sammeln, Verarbeiten und in Verkehrbringen von frischen Steinpilzen befasst sind, müssen eine fachliche Bescheinigung für diese Tätigkeit haben.“ Weiter heißt e: „Das Aufkaufen getrockneter Steinpilze bei Kleinsammlern ist nicht zulässig.“ Dass große deutsche Pilz-Händler sich sämtlichen Nachfragen verschließen, wäre ein Grund, deren Waren zu meiden.
Der Schweizer Martin Häfliger gründete 2002 „biofungi“. Der studierte Biologe realisierte eine Geschäftsidee. „Ich hatte 18 Jahre selber Bio-Pilze gezüchtet und sah im Import von guten Qualitäten von Biotrockenpilzen eine Geschäftsmöglichkeit. Es gab in ganz Europa damals nur einen ernsthaften Anbieter von Bio-Trockenpilzen.“ Häfliger knüpfte Kontakte nach China, Ecuador und Bosnien. In einem Andendorf in Ecuador werde der Gewinn aus der Pilzsammlerei auf alle verteilt, sagt Häfliger. In China kauften private Firmen die von meist von Bauern gesammelten Pilze auf, dann würde gereinigt, sortiert und exportiert. In Bosnien „suchen Hunderte von Leuten die Pilze und liefern diese frisch oder getrocknet in regionalen Sammelstellen ab.“ Und welche Leute bücken sich durch die Wälder und sammeln? „Meistens Bauern und andere Leute, die auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen sind. Jeder kann hier ohne Investitionen Arbeit finden – er braucht nur einen Sammelkorb und zwei Beine. Reguläre Löhne gibt es nicht. Die Sammler arbeiten eigenverantwortlich und bieten ihre Mengen dem Meistbietenden an. Die Preise schwanken jährlich je nach Angebot und Nachfrage.“
Auch Häfligers „biofungi“ funktioniert nur dank einer globalen Logistik. Die Pilze aus Ecuador und China werden in Kühlcontainern transportiert. Die bei „tegut“ angebotenen luftgetrockneten „Bio-Steinpilze“ werden im mecklenburgischen Lebenshilfewerk Hagenow abgepackt. Die Bio-Pilzprodukte aus aller Welt dürfen Häfliger zufolge durch keinerlei Kontaminierungen belastet sein. Sammler werden kontrolliert und die Sammelmengen dokumentiert. Trockenpilze werden mittels CO2, Kohlensäure und Dampf begast und entwest. Phostoxin und andere Schädlingsmittel seien nicht erlaubt. Häfliger vertreibt auch konventionelle Pilzware, „weil Bio nicht die Mengen macht, um davon zu leben.“ Man müsse sich keine Sorgen machen, dass der Steinpilz irgendwo auf der Welt durch heftiges Sammeln ausgerottet werde, sagt der deutsch3e Pilzpapst Walter Pätzold, universitätsgeprüfter Fachberater für Mykologie, Leiter der „Schwarzwälder Pilzlehrschau“ in Bad Hornberg. Pätzold moniert Verunreinigungen in getrockneter Steinpilzware und dass die Ware oft umdeklariert werde.
Der Experte rät zu grundsätzlich Misstrauen bei der Firmen-Selbstkontrolle. Artenreinheit und Qualität der Ware seien nicht gewährleistet. Man könne allenfalls sicher sein, so etwas Ähnliches wie Steinpilze gekauft zu haben, Herkunft und Kontrolle der Ware seien aber in der Regel völlig unklar. Geraldine Friedrich sagte als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Fachzeitschrift DGfM der Deutschen Gesellschaft für Mykologie: „Ich würde mir keine getrockneten Steinpilze kaufen, weil ich da häufig noch in trockenem Zustand die Madenfraßgänge sehe. Und bei getrocknetem Zustand lässt sich auch nicht mehr gut erkennen, in welchem ‚Gammel-Stadium‘ die Pilze vor dem Trocknen waren. Das ist nämlich in der Tat ein Problem: Die meisten Pilzvergiftungen (sie ja nicht immer superdramatisch verlaufen) kommen aus verdorbener Ware und nicht aus giftigen Arten.“ Walter Pätzold empfiehlt, man sollte darauf achten, „ob der Anteil gestochener Ware (madig zum Zeitpunkt der Verarbeitung) die eigene Ekelgrenze und die Bestimmungen des Deutschen Lebensmittelbuches nicht überschreitet, ob schimmelige (Aspergillus aus warmen Herkunftsländern) Anteile da sind, ob viel Pulver (Pilzpulver oder Madenmehl?) in der Verpackung enthalten ist und ob alles wie ‚Steinpilz‘ aussieht.“
Fritz und Friederike sollten auch nach der Heidelbeerzeit in diesem Herbst wieder einmal mit dem Weidenkörbchen im Wald spazieren gehen. 2007 ist in einigen Regionen ein gutes Pilzjahr. Unweit vom Fliegenpilz findet sich oft auch der Boletus edulis. Es muss beim Steinpilz-Trocknen nicht immer so zugehen wie bei Siebecks, wo der zur Übertreibung neigende Wolfram im Herbst 2004 große Not hatte, einen Haufen von geschenkter Ware zu verarbeiten. Er schrieb in der ZEIT: „Getrocknete Steinpilze halten ewig minus drei Tage und sind ein aromatischer Geschmacksverstärker für Schmorbraten und Risotto. Man muss sie in Scheiben schneiden und in einen luftigen trockenen Raum hängen. Beim Steinpilzschneiden besteht die Gefahr dass unschuldige Maden in Mitleidenschaft gezogen werden. […] Ich drehte das Radio auf volle Lautstärke, als ich das Messer ansetzte.“ Letztendlich hatte der Mann die Sache nicht im Griff. Die Pilze sind ihm verschimmelt.
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Anmerkungen

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Titel: Häuptling Eigener Herd, Heft 32
Herausgeber: Wiglaf Droste und Vincent Klink
Verlag: © 2007 Edition Vincent Klink
Website: https://vincent-klink.de/
ISBN: 978-3-927350-30-4
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Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Vincent Klink, Küchengott im Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart. Ich empfehle den Besuch seines Gourmet-Tempels.
