Vom Glück auf dem Land: Faltentintling (Coprinus atramentarius)

Die Autorenvorstellung ausnahmsweise am Anfang: Der Autor dieses Textes ist der Satiriker, Autor, Journalist und Sänger Wiglaf Droste. Ein in Herford geborener streitbarer Geist, den es zwangsläufig zu den anderen renitenten Unruhestiftern nach Berlin zog. Da er aber auch gerne gut isst, zieht es ihn von dort oft zu Vincent Klink in dessen Gourmet-Tempel Wielandshöhe nach Stuttgart. Mit diesem Küchenmeister, Fernsehkoch, Autor, Herausgeber und Verleger  kulinarischer Literatur erwarb er unsterblichen Ruhm und eine Lebenszeit-Absolution für seine Sünden durch die Herausgabe der kulinarischen Kampfschrift Häuptling Eigener Herd von 1999 bis 2013.

Wiglaf Doste

Wiglaf Droste, mittlerweile im schönen Leipzig und unterwegs lebend, verfügt nicht nur über das gefürchtete Talent, in einem kurzen Text mit seiner geschliffener Prosa gleichermaßen Linke und Rechte, Landvolk und Großstadtbewohner vor den Kopf zu stoßen. In seiner künstlerischen Laufbahn verscherzte er es sich weiterhin mit der bürgerlichen Welt, den Grünen, den Kirchen, den Autonomen, den Feministinnen, den DDR-Bürgerrechtlern, der Bundeswehr, den Unternehmern, den Gewerkschaftern und sogar Alfred Biolek.

Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn für sein vitales Dissidententum. Ich finde, er kann beide Gefühle gleichzeitig beanspruchen. Aufgrund seiner Könnerschaft in der Verwendung meines heimatlichen ostwestfälischem Regiolektes, seines  formvollendeten Wortwitzes sowie seiner  „Verbindung aus grobem Ton und feinem Stil“ überwiegt bei mir meistens die Liebe, auch wenn ich sein absurdes Gedankengut aufs Schärfste zurückweisen muss. Zum Feind haben möchte ich ihn keinesfalls, denn er kann seine Gegner (Gegner? Opfer!) nicht nur mit Worten zerreißen, sondern kennt auch geheime Gifte und träumt vom perfekten Verbrechen.

 

von Wiglaf Droste

Wer auf dem Land aufwuchs und von dort floh, weiß, was das Land ist: Idylle = Hölle = Idylle und so fort. Das Landleben hat etwas Geisttötendes, mitleidlos Auslöschendes. Hin und wieder aber tut es der alten Rübe wohl, wenn sie am Wiesengrund gelüftet wird. Denn auch die Großstadt hat verblödende Wirkung; Beweise dafür laufen zu Tausenden herum und sind, sofern sie Bewußtsein von sich erlangen, auf die laute Art stolz darauf. So irisierend das von Hermann Brood besungene „Berliner Tempo“ mit „Musik und Tam Tam“ auch ist: Ab und zu muß Ruhe einkehren zwischen den Ohren.

Auf dem Land kommt man auf gute Gedanken. Man kann die ruhige Weltkugel schieben und friedvolle Werke tun. Zum Beispiel ein Ameisennest hinter dem Kühlschrank stillegen. Mit Backpulver, denn die alten Hausrezepte sind noch immer die besten. Man läßt ein paar Tüten Backpulver auf die Ameisen herabrieseln und sieht ihnen beim Sterben zu. Es dauert ein bißchen, und es ist nicht so erhebend blutvoll wie ein patriotischer Film – es ist eben die kleine Landversion. Aber die reicht aus, um auf interessante und nützliche Weise in den Tag zu kommen. Man sitzt im Schlafrock neben dem kleinen Ameisengemetzel, trinkt Kaffee und überlegt, wie man es technisch hinkriegen könnte, mit Hilfe von Backpulver auch Atomkraftwerke für immer zu schließen. Sinnloser als rotgrün wählen oder fleißig beten ist das auch nicht.

Nicht nur Ameisen bedrücken als Plage das Land. Auch die Nacktschnecke macht sich breit. Weich und schleimig kraucht sie auf allen Wegen, fläzt sich fett auf Feuerholz herum und ist nicht einmal eßbar. Im Gegenteil: Die Nacktschnecke wird zur Nahrungskonkurrentin. Schmatzend fällt sie den schmackhaften Pilz, vertilgt den Rotfußröhrling und den Perlpilz, den Steinpilz, wie auch den unter Lärchen wachsenden Goldröhrling, den man auch den Alfred Biolek unter den Pilzen nennt, denn wie dieser schleimt er beim Kochen. Giftiges und Ungenießbares wie den Samtfußkrempling, den Pantherpilz oder die Dreifarbige Koralle ignoriert die Schnecke und macht sich frech noch über Riesen- und Safranschirmlinge her. „Toadstools“, also Krötenschemel nennt der pilzängstliche Brite alle Pilze außer den langweiligen Champignons, die er als „Mushrooms“ verehrt und verzehrt. In Wahrheit aber lungert auf dem Pilz nicht die Kröte, sondern der Schneck.

Von Schnecken unbehelligt allerdings fand ich eine Kolonie Faltentintlinge. Ich geriet in Euphorie. Der Faltentintling ist, jung gegessen, wohlschmeckend, aber das war nicht der Grund für meinen Jubel. In Verbindung mit Alkohol nämlich ist der Faltentintling erheblich giftig. Von Kennern wird er deshalb auch Verwandtenpilz genannt.

faltentintling-1s

Kaum war der Pilzkorb gefüllt, trommelte ich die Verwandtschaft zusammen. Ich holte den besten Roten aus dem Keller. Hier sollte nicht am falschen Ende gespart werden. Die Blase rückte an, komplett mit Kind und Kegel, und ich bewirtete sie üppig. Schwierigkeiten gab es nur, als einige Mütter meinten, die Kinder dürften noch keinen Alkohol trinken. „Ach komm, zur Feier des Tages nur ein Viertelgläschen“, bat ich und zerstreute freundlich alle Einwände. Dem Faltentintling reicht ein Viertelgläschen.

Selber trank ich keinen Tropfen, nahm aber reichlich von den Pilzen, was sich später, bei der Polizei, als klug erwies. Die Untersuchung meines Mageninhalts wurde mit den Obduktionsberichten abgeglichen. Ich durfte gehen und machte mich auf den Heimweg in die Stadt. Das Landleben ist manchmal einfach zu geruhsam.

 

Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER existiert eine Gruppe bei Facebook.

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Dieser Text ist ein Kapitel des leider vergriffenen Buches „Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer“ von Michael Rudolf, 2001 bei Reclam Verlag Leipzig erschienen. Der Klappentext macht keine leeren Versprechungen, sondern untertreibt: „Eine Entdeckungsreise ins Wunderland der Pilze mit wirklich sehr schönen Gastbeiträgen von Wiglaf Droste, Vincent Klink, Eva Rudolf und Horst Tomayer.“ Der leider verstorbene Autor war der einzige Texter, der parallel für das West-Satiremagazin TITANIC und das Ost-Satiremagazin EULENSPIEGEL geschrieben hat. Auf diesem Weblog sind bereits mehrere Beiträge aus dem Buch zu finden, weitere werden folgen.

hexenei und krötenstuhl

Ich bedanke mich bei dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf meinem Weblog und empfehle einen geneigten Blick in das aktuelle Verlagsprogramm.

 

Titel: Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer

Verlag: Reclam Leipzig, 2001

Autor: Michael Rudolf

ISBN: 3-379-01736-1

Link zum aktuellen Verlagsprogramm: https://www.reclam.de/programm

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Pilzfoto- Titelbild: copyright © Werner Weiß

Pilzfoto im Text: copyright © Roland Letscher

Künstler Portrait: copyright © Axel Martens http://www.axelmartens.de/ (Die Bildrechte erteilte Tom Produkt, siehe folgenden Weblink)

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Weblink zu Wiglaf Droste: http://www.tomprodukt.de/wiglaf-droste

Wiglaf Drostes neuestes Buch: http://www.edition-tiamat.de/home.htm

Es gibt von Wiglaf Droste auch einiges an Lesungen und Liedern im Internet. Live ist seine Wortgewalt am beeindruckendsten.

Restaurant Wielandshöhe: https://www.wielandshoehe.de/de/Home.html

Häuptling Eigener Herd: http://www.edition-vincent-klink.de/de/Home.html

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