Ein weiteres wunderbares Kapitel aus dem leider längst vergriffenem Buch Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer von Michael Rudolf. Ich bin vor einiger Zeit durch die ebenfalls bedauerlicherweise eingestellte „kulinarische Kampfschrift“ Häuptling Eigener Herd auf den Titel aufmerksam geworden. Mein Dank gilt dem Reclam Verlag für die Genehmigung, Michael Rudolf auf KRAUTJUNKER zu feiern. Der tragischerweise 2007 in Thüringen verstorbene Brauingenieur war der einzige Schriftsteller, dessen Texte im westdeutschen TITANIC-Magazin und dem ostdeutschen EULENSPIEGEL erschienen sind. Ich hoffe, dass Hexenei und Krötenstuhl zumindest als E-Book seine Auferstehung feiern wird. In den „Anmerkungen“ unter diesem Text finden sich noch weitere Kapitel aus seinem Buch.
Der Schuppigen Porling tritt am häufigsten im Mai und Juni, seltener von April bis September, auf abgestorbenen oder stark geschwächten Laubbäumen auf.
von Michael Rudolf
Es ist Ostersonntag. Wie jedes Jahr um diese Zeit völlig anderes Wetter. Der Elfenteich liegt heuer ruhig, sogar vollständig aufgetaut. Bei geeignetem Licht erinnert er an eine riesige türkise Glasplatte. Seine Form spielt ins Dreieckige, sein Inhalt wird aus einem gerinfügig oberhalb gelegenen Sumpfgebiet gespeist. Knappe achtzig Meter lang, sechzig Meter breit, vielleicht vier Meter tief. Den Waldparkplatz erreicht man privat motorisiert, von da sind es noch eintausendfünfhundert Meter, die man – aufgebläht vom Karfreitagsbraten – laufen, zur Not auch mit dem Klapprad bewältigen kann. Auf dem Dammweg monstermäßige Eichen und Linden, die den Weiher die Hälfte des Tages vor der zudringlichen Sonne schützen. Die andere Hälfte ist mit mittelalterlichen Ulmen-, Eschen- und Fichtengehölzen umkränzelt.
Fehlt der röhrende Hirsch.
Doch es kommt viel schlimmer. Die frohe Osterbotschaft lautet: Hier wird angebadet.
Ein nicht unerhebliches Randmilieu praktikziert nackig angezogen etwas, das seine Ungeheuerlichkeit allein schon in der Abkürzung manifestiert: FKK. Freikörperkultur oder freie Körperkultur feiert heute seine Auferstehung.
Mit einem Schlag ist die Ruhe von der Erde getilt. Die Bälger werden angepflockt, die Claims für Badedecken, Handys und Kofferradios abgesteckt. Neutrale Beobachter fragen sich eben entsetzt, ob die Bäume dagegen resistent sind, da haben die ersten Wagemutigen ihr Versandhausornat abgeworfen und besteigen das eisige Osterwasser. Quieken, Jodeln und andere paarungsbegleitende Lautformungen werden zügig reaktiviert. Und mit Daumen und Zeigefinger gibt man scherzhaft die Wassertemperatur wieder.
Auftritt der markige Platzhirsch vom Dienst, der röhrend, mit baumelndem Gemächt nicht akkreditierte Spanner verjagt. Drathige SozialdemokratInnen verwalten das Kaffeegeschirr, wechseln die Wischtücher aus, schauen auf Ordnung (Abfallbeutelchen aufhängen!) und zählen mit, wer wen wie oft oder nicht gegrüßt hat.
Von Elfen jedoch weit und breit keine Spur. Dafür Schuppige Porlinge.
Aber ehe sich die Fußpilz-FKK-Bande verzogen hat, ist es stockfinster. Wie also bis zu den weiträumig abgesperrten Porlingsvorkommen vordringen? Mit dem Mut der Verzweiflung ignorieren wir die imperativen Kommunikationsformen der Nackten, denn der Lohn wird himmelsgleich sein. Die Realität ist mit einem Mal sowieso abgeschaltet, denn wir pulen Schuppige Porlinge von den Baumstämmen, die das Auenwaldrelikt stilecht auskleiden. Beschimpfungen perlen ebenso an uns ab wie das Infragestellen unseres Geisteszustandes. Ein lockeres Pfund der stämmigen Fruchtkörper wandert in den eigens mitgeführten Karton, nicht ohne vorher einzeln gestreichelt worden zu sein. Das gehört dazu. Gurkendominierte Duftmarken hüllen uns ein. Konzentrische braune Schuppen lagern auf dem exzentrischen ockeren Huttrichter. Weißliche, fast eckige Röhren haben sich von unten in das Hutfleisch gebohrt und täuschen eine Wabenstruktur vor. Ein Pfund, mit dem man wirklich wuchern kann. Nur den Stiel brauchen wir nicht und auch nicht ihre trotteltumben Blicke, wenn wir die Sichtachsen der Ausgezogenen schneiden.
Im Gegensatz zu uns haben sich die Tiere des umliegendes Waldes längst mit der Badeplage arrangiert. Sie stören die Zweibeiner nicht mehr beim Kacken im Gebüsch, fressen ihnenauch nicht mehr die Kinderwägen leer. Es will fast scheinen, daß der Mensch Mutter Natur wieder ein Stückchen abgerungen hat. Wenigstens zu Zeiten der Badesaison. Und die endet erst um Allerheiligen.
Dann können Sich Fuchs und Hase endlich wieder ungestört „Gute Nacht“ sagen.
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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Becher aus Porzellan und Emaille. Kontaktmail für Anfragen siehe Impressum.

Ich bedanke mich bei dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf meinem Weblog und empfehle einen geneigten Blick in das aktuelle Verlagsprogramm.
Titel: Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer
Verlag: Reclam Leipzig, 2001
Autor: Michael Rudolf
ISBN: 3-379-01736-1
Link zum aktuellen Verlagsprogramm: https://www.reclam.de/programm
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Folgende Beiträge aus dem Buch sind bereits auf KRAUTJUNKER erschienen:
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Für die Bereitstellung des Fotos bedanke ich mich bei Roland Letscher.
copyright ©Roland Letscher
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