von Vincent Klink

Als Kochlehrling, lange bevor ich einen Trüffel zu Gesicht bekam, ahnte ich schon heftig, daß diese Pilze etwas Besonderes sein müßten. Als argloser Bub vom Land brauchte ich eine ganze Weile, bis ich dahinterkam, daß mein Küchenchef, den man sich durchaus als Küchenbullen vorstellen darf, die Dinger meinte, die er in der Hose trug. Von wirklichen Trüffeln hatte auch er keine Ahnung. Es kursierten nur Legenden, und die echten Erddiamanten blieben für mich lange Jahre bestenfalls Vision. Eine Annäherung erlebte ich im Umgang mit schwarzem Speisegummi, als ich in der Kalten Küche mein Unwesen trieb. Kaltarbeiter, in der französischen Fachsprache Gardemangers genannt, sind in der feinen Küche für Schauplatten, Hummersalate, Krebstürme und Pasteten verantwortlich. Die dafür verwendete Garniermasse war in veritabel aufgemotzten Döschen abgepackt. Der Gummitrüffel war Trüffelersatz, den man zu tollsten Mustern ausschneiden konnte. Dieser optische Scheiß kann heute auf Gastronomieleistungsschauen noch immer bewundert werden.
Mein erster echter Trüffel kam als große Woge über mich, als ich mit meinem ersten verdienten Geld zu Bocuse ins Lyonnais fuhr.

Die Herren Ober beachteten mich weiter nicht, denn man sah mir den deutschen Bauerntölpel schon von weitem an. Die Routiniers im Frack vermuteten zu Recht, daß ich keine Ahnung von den hier üblichen Trinkgeldern hätte. So bemerkten sie auch nicht meinen Drehschwindel, hervorgerufen durch das vorsichtige Lüpfen der Blätterteighaube, die eine Löwenkopfterrine mit Trüffelsuppe behütete. Ein olfaktorischer Orkan, der mich fast um den Verstand brachte, bohrte sich in meine Nase. Übertreibe ich? Eigentlich nicht, eher umgekehrt, denn bis heute hat sich die Wucht dieses Erlebnisses in meinen Ganglien festgefressen.

Aus diesem Grund gehöre ich auch zur fanatischen Fraktion derer, die von Trüffeln phantasieren und immer den Schwarzen Perigordtrüffel meinen. In Deutschland – Italophilie ist seit Jahrhunderten in großer Mode – begeistern sich mittlerweile Unzählige für Trüffeln, was auch mit allgemeinem Wohlstand zusammenhängt. Viele Jungtrüffelianer meinen aber immer den Weißen Trüffel, der im Spätherbst in jedem besseren Ristorante zwischen Konstanz und Monstranz über Nudeln und sonstiges italienisches Allerlei gehobelt wird. Ganz klar, er duftet herrlich, dieser Tuber magnatum, wenn es einer ist.

Sein Name kommt nicht von ungefähr, denn er kann pfundschwer werden und ist auf alle Fälle ein Magnat strengen Wohlgeruchs. Doch riechen nicht alle Weißen Trüffeln gleich stark. Je größer diese erdfarbene Knolle, um so besser. Aber auch der Reifezustand ist nicht ohne Belang. Ein Teil davon geht auf dem Transport nach Deutschland verlustig. Großzügig verströmt er gleich nach dem Ausbuddeln sein Aroma. Was strömt, das versiegt auch irgendwann einmal. Daher sind die oft vierzehn Tage alten Pilze in deutschen Restaurants nur noch auf halbem Speed. Im Piemont, tagesfrisch, sind die Dinger gefürchtet und in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht geduldet, denn Busfahrer, Kondukteur et al könnten dem Wahnsinn verfallen.
Trüffeln gedeihen im Dunkeln – es gibt ungefähr dreißig verschiedene Varietäten, bis hin zu den kartoffelriechenden Furunkeln des Weserberglandes (Choiromyces maeandriformis). Nicht nur diese Placebos, alle Trüffelknollen gedeihen unter der Erdoberfläche. Hören können sie nicht, obwohl manchmal ohrenähnliche Extremitäten aus der Wonnekugel treiben, die bis zu einem Meter tief im kalkhaltigen Boden rumort. Die Römer nannten sie Knolle, also Tuber. Eine nichtswürdige Bezeichnung. Wenn der Pilz auf den Namen Tuber melanosperum hört, kann er sich über diese Blasphemie sogar schwarz ärgern. Das tut er bevorzugt in der Provence, der Gegend um Perigord und in Umbrien um die Trüffelkapitale Norcia.
Der Weiße Trüffel dagegen heißt Tuber magnatum pico (Oktober-Dezember). Diese Bezeichnung sollte man sich angewöhnen, dess es gibt noch den völlig harmlosen, gleich aussehenden Frühlingstrüffel, den Bianchetti (Tuber albidum) (Januar-März). Der Magnatum also wächst auf ton- und kalkhaltigem Böden im Piemontesischen, in der Gegend um Monferrato und Alba. Bemerkenswert ist, daß dieses Terroir reichlich Silizium aufweist. Außerdem schmarotzt er am Wurzelwerk von Pappel, Linde und Weide. Eichentrüffeln sind jedoch die edelsten. Sie haben fast dunkelbraune Färbung und höheres spezifisches Gewicht und lieben kompakte, trockene Böden. Wie alle Trüffeln sind sie keineswegs eine Knolle, sondern ein eng gewickelter dünner Schlauch, meterlang, gefüllt mit Sporen. Er hätte es schwer, sich als Leptosom der längelang unsichtbar zu machen. Also bevorzugt er es, sich selber zu umarmen und zu einem festgefügten Knäuel zu vermengen. Er riecht derart betörend, daß die Sau glaubt, der Eber wäre über ihr. Den Hunden geht es genauso, deshalb sind nur Hündinnen im Einsatz. Dieser mysteriöse Duft wurde vom Gastrophilosophen Brillat-Savarin folgendermaßen beschrieben: „Wer Trüffel sagt, spricht ein Wort aus, das bei dem Geschlecht, welches Röcke trägt, erotische und feinschmeckerische Gefühle erregt, und bei dem Geschlecht, welches Bärte trägt, erotische Erinnerungen lebendig macht.“
Trüffeln kosten viel Geld, und wo es ums Geld geht, da ist auch der Schmu nicht weit. Es sei laut und lang geklagt: Mit den sogenannten Gas-Chromatographen konnte man alle diese herrlichen Duftkomponenten analysieren. Und seitdem dies gelang, wird in den Gourmetküchen das künstliche Trüffelöl über die Edelspeisen gekippt. Meist ahnen die Köche nicht einmal, daß sich im Ölfläschchen der Beschiß gefangenhält und nur darauf wartet, bis Unwissende den Flakon entkorken. Aus China kommen seitdem in rauhen Mengen weiße „Tuber Nullschmeck“, die mit dem künstlichen Trüffelöl geimpft werden und zur dummen Freude vieler Gourmets beitragen.
Placebos können sehr hilfreich sein, wir wissen es. Wenn sie nur nicht so teuer wären. Oder gerade deshalb? Im letzten Herbst gedieh der Preis für Weiße Trüffeln auf über siebentausend Mark je Kilo. Klar, daß Trüffeln ein Mysterium sind, schlimm aber, daß sie dadurch zum Statussymbol verkommen sind. Eine der schlimmsten Strafen wäre für mich, im Spätherbst ins Piemont reisen zu müssen, um mich unter die idiotisierten Ferrarifahrer aus Mailand und die unerträglichen Aficionados aus Germanien zu mischen. Gute piemontesische Köche graust es ebenso. Deshalb werden Neu- bzw. Portemonnaie-Gourmets kräftig geschröpft, damit die dortige Gastronomie doch noch ihre Freude an diesen Heinis hat.
Der italophile Wahnsinn und natürlich meine Trüffelinitialzündung bei Bocuse trieben mich immer wieder dem Perigordtrüffel zu. Das Kilo zu maximal tausend Mark. Auch nicht gerade ein Schnäppchen, aber das Hantieren mit dem Tuber melanosporum ist hundertprozentig amateurfrei und von Kennerschaft umgeben. Von außen sehen die Dinger ungefähr genauso aus wie die hochempfindlichen Organe, die sie finden, wie schwarz glänzende, porige Hundeschnauzen. Schneidet man sie durch, kommt die Wahrheit an den Tag. Echter Schwarzer Trüffel ist nicht nur außen, sondern auch innen schwarz und durchzogen mit hellweißen Fäden.

Hellflächiges Innenleben kommt höchstens bei unreifen Trüffeln vor. Immer hellbraun unter der schwarzen Schale sind Sommertrüffeln (Tuber aestivum, Mai-November). In gekochtem Zustand werden diese kulinarischen Irrläufer dunkelbraun, doch niemals tiefschwarz wie der Perigordtrüffel.
Der läßt sich auch nicht so einfach roh auf Nudeln hobeln. Dies geschieht zwar immer häufiger, ist aber vollkommen idiotisch, und man weiß dann auch gleich, daß der Koch „sein Sach“ nicht gelernt hat. Redet man in Frankreich von Trüffeln, so ist stets der Schwarze gemeint. Schon der übliche französische Chauvinismus gebietet, sich über den Albatrüffel auszuschweigen. In der Tat treffen verschieden Küchenwelten aufeinander. Italien ist, grob besehen, das Land ohne Saucen. Die französische Küche wird jedoch vom Saucenkoch beherrscht. Er ist der höchstbezahlte in der Brigade. Zwar kann man Schwarze Trüffeln beispielsweise in Blätterteig einbacken oder in der Glut schwiemelnder Holzasche garen. Feinste Verbindungen geht er aber mit dunkeln Saucen ein. Er verströmt keinen leichten Duft, sondern Fülle und dunkle Schwere, die sich bevorzugt mit rotem Fleisch steigert. Sehr liebe ich ihn, unter die Brusthaut geschoben, als Korsage für Taubenbrüstchen oder als mystisches Feuer für Wild, Rindfleisch und dunkelfleische Perlhühner.
Der „Schwarze Diamant“ erfordert Kochkunst – mit ihm ist man zwangsweise unter Profis. Das macht auch sein Mysterium aus, und das trennt auch häufig den Hobbykoch vom Berufskoch. Wer mit dem Perigordtrüffel nicht umgehen kann, der wird ihn nie verstehen.

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Anmerkungen
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Dieser Text ist ein Kapitel des leider vergriffenen Buches „Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer“ von Michael Rudolf, 2001 bei Reclam Verlag Leipzig erschienen. Der Klappentext macht keine leeren Versprechungen, sondern untertreibt: „Eine Entdeckungsreise ins Wunderland der Pilze mit wirklich sehr schönen Gastbeiträgen von Wiglaf Droste, Vincent Klink, Eva Rudolf und Horst Tomayer.“

Ich bedanke mich bei dem Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf meinem Weblog und empfehle einen geneigten Blick in das aktuelle Verlagsprogramm.
Titel: Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer
Verlag: Reclam Leipzig, 2001
Autor: Michael Rudolf
ISBN: 3-379-01736-1
Link zum aktuellen Verlagsprogramm: https://www.reclam.de/programm
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Fotos: Wikipedia
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Folgende Beiträge sind bereits erschienen:
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Der Autor dieses Textes, Vincent Klink, ist Küchenmeister, Autor, Verleger, Herausgeber und einer der ganz Großen für mich.
Sein aktuelles Buch heißt Ein Bauch spaziert durch Paris. Ich habe es bereits mit Genuss gelesen und möchte es gerne weiterempfehlen.

Verlagslink: http://www.rowohlt.de/hardcover/vincent-klink-ein-bauch-spaziert-durch-paris.html
Eine große Inspiration für diesen Weblog KRAUTJUNKER ist die leider eingestellte kulinarische Kampfschrift HÄUPTLING EIGENER HERD, welche Vincent Klink über mehrere Jahre zusammen mit Wiglaf Droste herausgab.
http://www.edition-vincent-klink.de/de/Home.html
Ebenfalls möchte ich auf diesen Fernseh-Beitrag über den Großmeister hinweisen: http://www.ardmediathek.de/tv/Dokumentarfilm/Das-Salz-in-der-Suppe-Vincent-Klink/SWR-Fernsehen/Video?bcastId=1105036&documentId=31416626
Schlußendlich hier der Weblink zu seinem Gourmettempel, dem Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart: https://www.wielandshoehe.de/de/Home.html
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