Geruchsproben aus dem Kulturbeutel: Samtiger Maronenröhrling (Xerocomus spadiceus)

von Michael Rudolf

Können sich die geneigten Leser überhaupt unter dem Tränenden Rettichfältling etwas vorstellen, dem Stumpfglockigen Saftling, dem Blaugestiefelten Schleimkopf, dem Bewimperten Filzkrempling vielleicht? Schöne, vielleicht sogar zutreffende Namen, doch so manches Mycel würde die Entfaltung seines Fruchtkörpers protesthalber unterbinden, wüßte es, daß er dann Hasenpfotentintling, Strengriechender Ellerling, Muschelförmiger Krüppelfuß, Ranziger Rußnabeling, Schwanztrüffel, Borstiger Knäuling, Olivbrauner Mordsschwamm, Gallertartiger Zitterzahn oder Wurstbreitäubling heißen soll. Es wäre sicher auch deprimierend, wissentlich als Schwachreagierender Ledertäubling dahinzuvegetieren.

Noch ärger wird’s, wenn es an die genauere Beschreibung geht. Da haben die Mykologen richtig tief im Kulturbeutel gekramt. Speziell für den Geruch, dem angeblich subjektivsten unserer Sinn. Gut, der Queradrige Milchling rieche nach „Apfelkompott“, der Blasse Milchling dafür nach „Stachelbeerkompott“. Der Geruch des Düsteren Röhrlings spielte zuweilen ins „Unangenehme“, oft apothekenartig“. Die Stinkmorchel stinke nach „stark faulenden Zwiebeln“, der Birnenstäubling „unangenehm nach Leuchtgas“, der Großsporige Egerling dito „unangenehm“, aber „nach Urin und Verwesung“. Nicht ganz eindeutig sei das beim Rauhhaarigen Rißpilz, der zwischen „widerlich, hingegen nicht spermatisch“, aber „später nach frischen Walnüssen“ dufte. Schwierig auch die Bestimmung beim Rhababerfüßigen Rauhkopf, der schicksalhaft ohne Geschmack sei, sich aber mit „Lokomotivengeruch“ an der Schöpfung räche, und vollends durcheinander geht`s beim Würzigen Schleimkopf zu, der entweder „nach Lavendel, Orangenblüten oder Majoran, Muskat, resp. Alten Lumpen“ odiere.

Die Lage spitzt sich just für den Pilzsucher zu, der die gefundenen Pilze nicht sofort bestimmen kann. Denn nach längerem liegen verbreite der Staubfüßig Trichterling einen Dunst „fast nach Katzendreck“, während der Unverschämte Ritterling (so was gibt`s!) „unerträglich nach leerem Sauerkrautfaß“ stinken solle. Desaströs ist es für Finder des Elfenbeinschnecklings, dessen Transpiration (säuerlich aromatisch) „ähnlich der Raupe des Weidenbohrers“ sei. Und der Edelreizker stellt die Sammlercombo vor das Problem, in seiner „obstartigen Duftwolke“ die „blattwanzenartige Komponente“ ausmachen zu müssen. Der Karbolegerling dufte ziemlich „nach Eisengallustinte“, der Kleinschuppige Waldegerling „spezifisch wie ausgelöschte Kerze“. Da sei es direkt beruhigend, wenn der Frühlingsrötling mehr Frischluft um sich duldet und „nur schwach“ ausdunsten soll, „jedoch nicht nach Mehl“.

Leider macht nur eine verschwindend kleine Minorität das Pilzeschnüffeln wirklich zum Vergnügen. Der Zitronengelbe Glockling könnte „ananasartig und nach Amyacetat“ riechen, der Graue Wulstling „an Biskuit anklingend“, der Verfärbende Schneckling „nach Toilettenseife“, der Schwarzschuppige Schirmling „weihrauchartig“, der Ziegelrote Faserkopf „süßlich spirituös, an Senfsoße“ und der Zedernholztäubling „deutlich an Zigarrenkisten erinnernd“.

Aber liebe Natur, liebe Mykologen, was für ein Aufwand! Dabei würden „einfacher, würziger Pilzgeruch und Pilzgeschmack“ völlig ausreichen, oder „erfrischend“ und „angenehm“ wie beim Samtigen Maronenröhrling mit seinem dunkelbraunen Samthut, der sich unter sehnigen Bauwurzeln hervorbiegt, seine Lamellen helle Gelbtöne Ausprobieren und den Stiel nußbaumbraun masern läßt. Das wären doch endlich mal klare Worte. Oder was meinen unsere Leser?

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Anmerkungen

Von KRAUTJUNKER gibt es eine Facebook-Gruppe sowie Outdoor-Becher aus Porzellan und Emaille. Die Kontaktmail für Anfragen befindet sich im Weblog-Impressum.

hexenei und krötenstuhl

Titel: Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer

Verlag: Reclam Leipzig, 2001

Autor: Michael Rudolf (* 1961; † 2007) 

ISBN: 3-379-01736-1

Link zum aktuellen Verlagsprogramm: https://www.reclam.de/programm

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Folgende Beiträge aus dem Buch sind mit Erlaubnis des Reclam Verlages bereits auf KRAUTJUNKER erschienen:

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Der Text erschien ebenfalls in der kulinarischen Kampfschrift Häuptling Eigener Herd Nr. 32. Eine leider eingestellte Reihe, die ich sehr liebe und deren Lektüre ich jedem meiner Leser ans Herz legen möchte.
Häuptling Eigener Herd

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. Ira Moritz sagt:

    Ich habe leider nicht ganz so ein feines Näschen, ich wäre mit weniger sprachlicher Sensorik auch zufrieden gewesen. Es geht wahrscheinlich vielen so, den Geruchssinn ist heute bei den meisten Menschen nicht mehr sehr differenziert, das glaube ich wahrzunehmen.

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    1. KRAUTJUNKER sagt:

      Der ostdeutsche Autor dieses Textes, Michael Rudolf, war vom Brotberuf Brauingenieur und aus Leidenschaft Satiriker. Sogar der Einzige, der parallel für das Ost-Magazin EULENSPIEGEL und das West-Magazin TITANTIC geschrieben hat. Auf Wikipedia kann man sich genauer über ihn informieren. Der Text ist also nicht ganz bierernst zu nehmen, sondern als Spaß über die Komplexität der Natur und begrenzten Möglichkeiten unserer Sprache zu verstehen.

      Meine Geruchs- und Geschmacksnerven sind leider nicht die besten. Soweit ich weiß, sind diese Sinne bei Kindern am feinsten entwickelt, was erklärt, warum sie viele Speisen eklig finden, die wir Großen mögen. Dann können Frauen noch weit besser schmecken und riechen als Männer. Mit zunehmenden Alter lassen diese Sinne ebenso nach wie das Gehör und Augenlicht.

      Vermutlich lässt sich das auch alles wieder lernen. In „Der Geschmack von Laub und Erde“ (siehe: https://krautjunker.com/2017/04/08/der-geschmack-von-laub-und-erde-wie-ich-versuchte-als-tier-zu-leben/) hat der Autor als Dachs gelebt und konnte nach mehreren Wochen Mäusepipi auf dem Waldboden erschnüffeln und so die Nester der schmackhaften Nager finden.

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      1. Ira Moritz sagt:

        Super, dass Du alles für mich in den rechten Kontext rücken konntest. Ich schätze Dein Engagement, es ist heutzutage nicht so einfach Menschen/Blogger zu finden, die mit so viel Herzblut dabei sind. Vielen Dank dafür!

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