von Magnus Nilsson
Wild ist seit der Jungsteinzeit in der gesamten nordischen Region fester Bestandteil der Ernährung. Zuerst sicherte die Jagd das Überleben, später wurde sie immer mehr Freizeitbeschäftigung, trug aber weiterhin stark zur Ernährung der Menschen bei. Ich selbst wuchs als Kind der Mittelschicht in einer Stadt in Nordschweden auf, und meine Eltern mussten nicht jagen, um die Familie zu ernähren. Dennoch kehrte mein Vater, wie 270 000 andere Schweden auch, alljährlich im September in seinen Heimatort zurück, um Elche zu jagen, wie es sein Vater vor ihm getan hatte und wie es die Menschen – mit Ausnahme der wenigen Jahrhunderte, in denen das Großwild der Krone und dem Adel vorbehalten waren – schon seit Urzeiten tun.
Abb.: Bildquelle Nordic – Das Kochbuch
Bis ich von zu Hause wegging, um das Gymnasium zu besuchen, hatte ich vielleicht eine Handvoll Mal Rindfleisch gegessen, da es bei uns schlicht Elch gab. Das schwedische Wort für Fleisch, kött, war für mich, bis ich auf die Kochschule ging, praktisch gleichbedeutend mit Elchfleisch.
Abb.: Photo by Ivars Krutainis on Unsplash
Mit Ausnahme von Dänemark habe ich in allen nordischen Ländern Menschen getroffen, die hauptsächlich von Wild leben. Auch wenn die Jagd heute größtenteils Freizeitsport ist, ist es doch interessant, wie sehr dieser früher so existenziell wichtige Teil des Lebens sich vor allem in den entlegeneren Regionen in der Mitte und im Norden Schwedens und Dänemarks, im Norden und Osten Finnlands und auf den Atlantikinseln gehalten hat.
Welche Art von Wild die Menschen bis heute jagen, ist, wie überall auf der Welt, vor allem vom Angebot der Natur bestimmt. In Schweden mit seinen ausgedehnten Nadelwäldern und vielen Elchen ist Elchfleisch üblich, während die Färöer Papageitaucher jagen und die Inuit auf Grönland gelegentlich einen Narwal erlegen.
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Bei Niedrigtemperatur gegartes gefrorenes Fleisch, anschließend gepökelt und kalt serviert
Tjälaknul / Tjälknöl (Schweden)
Diese typisch nordschwedische Zubereitung zäherer Schnitte – vorwiegend von Elchfleisch – wurde Anfang der 1980er-Jahre von einer Frau namens Ragnhild Nilsson aus dem Örtchen Torpshammar erfunden. Es heißt, sie habe ihren Mann angerufen und ihn gebeten, ein Stück Elchfleisch bei sehr niedriger Temperatur im Ofen aufzutauen. Er vergaß das Fleisch im Ofen und so garte es über Nacht durch. Ragnhild versuchte dann, das trockene Fleisch zu retten, indem sie es in eine Marinade einlegte, und heraus kam sehr leckeres, zartes Fleisch.
Inzwischen nimmt man ein zäheres Fleischstück wie etwa Schulter und wickelt es gefroren in Alufolie ein, damit es während der langen Garzeit nicht austrocknet. Die niedrige Gartemperatur und die lange Garzeit sorgen dafür, dass viel des zähen Bindegewebes aufbricht – wie etwa beim Schmoren im Topf – wodurch das Fleisch zart wird. Das Einweichen in der gewürzten Salzlake macht das Fleisch saftig und aromatisiert es.
Servieren Sie tjälaknul kalt und in dünne Scheiben geschnitten und dazu beispielsweise einen Grünkohlsalat (Seite 90), ein paar Pellkartoffeln (Seite 117), Johannisbeergelee (Seite 691) und Braune Sauce (Seite 671). Auch Kartoffelgratin (Seite 119) ist eine beliebte Beilage.
Zubereitung: 8–12 Stunden, je nach Größe und Form des verwendeten Fleischstücks
Marinierzeit: mindestens über Nacht
Rezept für 4 Personen
1 kg Elchschulter (alternativ Rinderschulter), gefroren
Für die Salzlake
45 g Salz
2 EL Zucker
10 Wacholderbeeren
2 Lorbeerblätter
10 schwarze Pfefferkörner
1 Zwiebel, in Spalten geschnitten
Den Backofen auf 75 °C vorheizen.
Das gefrorene Fleisch fest in Alufolie einschlagen und im vorgeheizten Backofen 8–10 Stunden garen, bis es eine Kerntemperatur von 62 °C erreicht hat. Die genaue Garzeit hängt vom Ofen und von der Form des Fleischstücks ab.
Während das Fleisch gart, die Salzlake zubereiten. Dazu alle Zutaten mit 1 Liter Wasser in einen Topf geben. Kurz aufkochen, dann den Topf sofort vom Herd nehmen. Die gewürzte Salzlake vollständig auskühlen lassen.
Das Fleisch aus dem Ofen nehmen, sobald es gar ist, und in die kalte Salzlake legen. Es sollte vollständig bedeckt sein. Ganz einfach kann man das sicherstellen, indem man das Fleisch mit der Lake in einen Gefrierbeutel gibt, die Luft herausdrückt und den Beutel verschließt. So ist das Fleisch vollständig von Flüssigkeit umgeben. Über Nacht marinieren.
Kurz vor dem Servieren die Lake wegschütten, das Fleisch trocken tupfen und dünn aufschneiden.
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Dieses Rezept ist ein klassischer Fall für den KRAUTJUNKER-Spezialagenten Marcus Topel, den jagenden Hobbykoch aus der Uckermark. Zwar gibt es seit jüngster Zeit wieder vereinzelt Elche in Vorpommern und im Nordosten Brandenburgs, aber sie genießen eine ganzjährige Schonzeit, da sie in Deutschland auf der „Roten Liste“ stehen. Er hat hier ein weibliches Stück Rehwild verwendet. Trotz offensichtlicher Unterschiede in Größe und Körperbau sind Rehe und Elche als Mitglieder der Familie der Trughirsche nahe Verwandte.
„Die hier verwendete Ricke konnte er am Silvestermorgen erlegen.
Ich hatte mich noch vor Sonnenaufgang im Revier an eine Waldkannte setzen wollen vor der auf dem Raps schon sechs Stück Rehwild standen. Da es aber noch dunkel war, war ein Schuss unmöglich gewesen.
Zu halb neun wollte ich mich wieder auf den Rückweg machen und entschloss mich noch zu einer kurzen Pirsch über den Raps, um zu schauen ob die Rehe in einer Senke stehen. Der Plan ging auf. Über den Zielstock konnte ich der Ricke die Kugel antragen, welche den auch im Knall verendet war.
Da es auf Grund der vielen Niederschläge zu nass zum Befahren des Grünstreifen an der Waldkannte war musste ich das Stück bis zum Auto tragen, um es nicht mit Erde und Matsch zu verunreinigen. Fast ein Kilometer mit über 17 kg ist ein guter Morgensport.“
Diese Übung hat Marcus weniger angestrengt, als es hier womöglich rüberkommt. Aufgrund eines leichtsinnig formulierten Heiratsantrages ist er es seit vielen Jahren gewohnt, seine Ehefrau überall auf Händen hin und her zu tragen. Dies stärkt beim Mann die Muskulatur und die Frauen nutzen nicht so ihre Schuhe ab. In der Uckermark denkt man praktisch.
Hier die fotografische Dokumentation seines kulinarischen Experimentes am eigenen Herd (vor meinem inneren Auge saß seine Frau dabei die ganze Zeit auf seinen Schultern und gab kluge Kommentare ab):
Und wie hat es ihm geschmeckt?
„Am besten kann man das mit einem Kochschinken vergleichen. Sowohl Textur wie auch der Geschmack ähneln dem Ganzen sehr. Ich würde auch sagen, das man am besten ein Stück Fleisch nimmt, da es auch so gebunden beim Aufschneiden zerfällt.
Die Zeit für die anschließende Pökeln hab ich nach Gefühl gemacht,da ich im Rezept die nicht gefunden hab. Ich hatte das Fleisch am Morgen in die Lake gelegt und jetzt am Abend aufgeschnitten. Die Zeit war ausreichend gewählt. Der Geschmack der Gewürze und das Salz waren komplett durchgezogen.“
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Anmerkungen
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Titel: Nordic – Das Kochbuch
Verlag: Phaidon by Edel
Autor: Magnus Nilsson
Verlagslink: http://www.edel.com/de/buch/release/magnus-nilsson/nordic/ & https://www.prego-shop.de/magnus-nilsson-nordic-kochbuch
Buchtrailer: https://www.youtube.com/watch?v=vQ9rsSv4B_A
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Titelbild: Photo by Ivars Krutainis on Unsplash
Leseproben aus und Rezension über Nordic:
https://krautjunker.com/2016/09/23/islaendischer-verrotteter-hai-kaestur-hakarl/
https://krautjunker.com/2016/11/07/nordic-pilze/
https://krautjunker.com/2017/06/19/frikadellen-a-la-kapitaen-lindstroem/